Frankreich, Italien und Co. umfassend verstehen
Politik, Alltagskultur, Medien: Der erste Inhaber der neu eingerichteten Professur für Romanische Kultur- und Literaturwissenschaft vermittelt Studierenden weit mehr als die Literaturen der romanischen Länder. Prof. Dr. Kai Nonnenmacher, bislang Privatdozent für Romanische Philologie an der Universität Regensburg, ist seit dem 15. Juni 2018 Professor an der Universität Bamberg. Im Interview erklärt Kai Nonnenmacher, warum es genauso wichtig ist, etwa die französische Sicht auf die #metoo-Sexismusdebatte zu kennen wie die Sprache und Dichtung zu verstehen.
Wie ergänzt Ihre neu eingerichtete Professur das fachliche Angebot der Universität Bamberg?
Kai Nonnenmacher: Die Universität Bamberg hat in den letzten Jahren jeder Philologie eine Kulturwissenschaft ergänzend zu den Sprach- und Literaturwissenschaften beigesellt, dies wird mit meiner Professur auch für die Romanistik umgesetzt. Ich bin von meiner Ausbildung her Literaturwissenschaftler mit den Schwerpunkten Französisch und Italienisch und werde auch weiterhin Veranstaltungen von den mittelalterlichen Trobadors, also den Dichtern und Sängern, bis zu den Romanen des 21. Jahrhunderts anbieten. Auch der klassische Literaturkanon für die Lehramtsstudiengänge findet Berücksichtigung.
Hinzu treten mit der Neuausrichtung meiner Professur in Forschung und Lehre auch andere kulturelle Bereiche, die über Sprache und Literatur hinausgehen: Beispielsweise politische Diskurse, Themen der Alltagskultur, neue Medien oder Erinnerungspolitik in den romanischen Ländern. Diese Kulturräume werden heute umfassender als nur philologisch untersucht, aber Kulturwissenschaft hat sich zugleich auch von der bloßen Faktenvermittlung der Landeskunde im engeren Sinne entfernt.
Worin besteht Ihr Selbstverständnis als Professor?
Ich möchte dazu beitragen, diesen Spagat zwischen Sprache und anderen kulturellen Bereichen zu meistern. Wir stehen heute vor der Herausforderung, Studierenden in verkürzter Zeit weiterhin die große Tradition der romanischen Literaturen nahezubringen, andererseits sollten sie auch beispielsweise eine Zeitung „ihres“ Landes verstehen und bei den zeitgenössischen Debatten mit einem weiteren kulturellen Blick kompetent mitreden können, und dies mit historischer Tiefe ebenso wie gegenwartsbezogen.
Können Sie dafür konkrete Beispiele nennen?
Nehmen Sie nur die Revolution der politischen Kultur mit Emmanuel Macron, der sich der identitären Verunsicherung Frankreichs entgegengestellt hat und sich zugleich der alten ideologischen Lageraufteilung verweigert, oder das Manifest prominenter Frauen wie Catherine Deneuve, in dem sich Französinnen gegen die amerikanische #metoo-Sexismusdebatte wehren, weil die „Verführung à la française“ von ihr bedroht sei. Nehmen Sie die Schließung von Mittelmeerhäfen für Flüchtlingsschiffe in der neuen italienischen Regierung aus Cinque Stelle und Lega Nord, die symbolische Bezüge zum antistaufischen Lombardenbund des 12. Jahrhunderts aufruft.
Haben Sie ein besonders wichtiges / schönes / spannendes Forschungsprojekt, das Sie gerne kurz vorstellen möchten?
Ich wehre mich seit einer Weile gegen die Tendenz in der heutigen Romanistik, die Mediävistik zu vernachlässigen, habe bereits in Regensburg im Forum Mittelalter mitgearbeitet und freue mich über die Möglichkeiten des Bamberger Zentrums für Mittelalterstudien. Hier erwähne ich nur die Danteforschung oder die besondere Kontinuität der italienischen Lyrik. Mich beschäftigt auch die Geschichte der Philologien, als historische Reflexion der Entwicklung unseres Fachs. Ein Schwerpunkt liegt zugleich auf dem unmittelbaren Gegenwartsroman vor allem Frankreichs: Literatur hat immer einen Eigenwert als Zugang zur Wirklichkeit, umso mehr in einer fremden Sprache und Kultur. Außerdem forsche ich zum Beispiel zum politischen Denken.
Was verstehen Sie als Literaturwissenschaftler unter „politischem Denken“?
Ich habe in den letzten Jahren begonnen, gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo den Zusammenhang von politischer Ideengeschichte und Textstrukturen zu untersuchen, zunächst mit einem Tagungsband über das politische Denken in Italien zwischen Mittelalter und Renaissance. Eine interdisziplinäre Buch- und Tagungsreihe soll in Bamberg fortgeführt werden, mit Themen wie der Entstehung der Idee des Volks in der Neuzeit, der politischen Romantik im Europa der Nationalstaaten oder mit dem Denken von Differenz in der pluralisierten Moderne. Bildlichkeit, Argumentationsstile oder gar Literarizität von Texten dürfen nicht vernachlässigt werden, wenn wir eine Geschichte politischer Ideen schreiben wollen.
Was sind die wichtigsten Ziele als Lehrender bzw. Forschender in Ihren kommenden Jahren an der Universität Bamberg?
In Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen stärke ich in den nächsten Jahren die kulturwissenschaftliche Ausrichtung der Bamberger Romanistik. Ich beantrage die Förderung eines Forschungsprojekts, um auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs Gelegenheit zur Qualifikation zu geben. Neben den genannten Schwerpunktinteressen bin ich in nächster Zeit erstmal neugierig auf die Kolleginnen, Kollegen und Studierenden an der Universität.
Das ausführliche Interview mit Kai Nonnenmacher finden Sie online auf seinem persönlichen Blog. Seinen Lebenslauf und Forschungsprojekte stehen auf den Seiten der Professur.