Die unbekannte Seite einer Region
„Das Projekt Jüdisch-Fränkische Heimatkunde ist sehr komplex und besteht aus mehreren Bausteinen“, erklärt Dr. Susanne Talabardon, Professorin für Judaistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Leiterin des Projektes. „Wir wollen jüdische Friedhöfe im Raum Oberfranken dokumentieren und planen eine Museumsausstellung über die Geschichte der Juden in Bamberg.“ Außerdem erforscht die Gruppe vor Ort ein DP-Lager, ein Lager für sogannte Displaced Persons, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten. Sie hatten das Vernichtungslager überlebt und irrten nach ihrer Befreiung traumatisiert durch das zerstörte Europa. Die DP-Lager boten Unterstützung für die Rückkehr ins eigene Land oder Hilfe bei Neuansiedlungen.
Dokumentation jüdischer Friedhöfe: Ein Wettlauf gegen die Zeit
Derzeit erforschen die Wissenschaftler hauptsächlich zwei jüdische Friedhöfe im Bamberger Umland, in Zeckendorf und Walsdorf. Der Zeckendorfer Friedhof liegt mit seinen ca. 600 Grabsteinen malerisch am Rande eines Waldgebiets zwischen Zeckendorf und Demmelsdorf. Nicht-Ortskundigen ist es fast unmöglich ihn zu finden. Über Feld- und Waldwege bahnt der Besucher sich seinen Weg. Auch wenn der Zeckendorfer Friedhof wesentlich kleiner ist als der Walsdorfer – dort dokumentierten die Wissenschaftler bereits 1085 Grabsteine – gibt es viel zu tun. Jeder einzelne Grabstein muss fotografiert, abgemessen, kunstgeschichtlich beschrieben und mit Forschungsergebnissen aus den 1990er Jahren verglichen werden. Da ist jede helfende Hand willkommen: „Neben Studierenden, Promovenden und Professoren helfen uns auch Schüler häufig bei der Arbeit“, erzählt Rebekka Denz, Lehrbeauftragte an der Professur für Judaistik.
Die Dokumentation der Grabsteine muss zügig geschehen, darin ist sich Denz mit Seniorenstudent Dieter Schleyer einig. „Vergleicht man die Grabsteine mit den Aufnahmen, die vor zwanzig Jahren gemacht wurden, kann man deutliche Unterschiede erkennen. Die Inschriften sind oft schlechter lesbar und viele Grabsteine sind stark eingesunken“, sagt Schleyer. Die Arbeit der Forscher spielt nicht nur eine wichtige Rolle für das persönliche Erinnern und Gedenken. Sie bietet auch wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entwicklung der jüdischen Kultur in Oberfranken. Die älteren Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert sind schlicht und tragen nur hebräische Inschriften, während die jüngeren ab der Mitte des 19. Jahrhunderts groß und manchmal pompös sind, christliche Elemente aufweisen und meist deutsche Inschriften tragen. „Diese Anpassung zeigt eindeutig, dass die Juden sich in Franken heimisch fühlten“, so Denz.
Museumsausstellung für 2013 geplant
Die Erforschung der Friedhöfe in Walsdorf und in Zeckendorf ist auch für die geplante Museumsausstellung der Judaisten wichtig. Da der jüdische Friedhof in Bamberg erst Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, seien viele Bamberger Juden zuvor in Walsdorf und teilweise auch in Zeckendorf begraben worden. Die Grabsteine geben unter anderem wichtige Aufschlüsse darüber, wer mit wem verwandt gewesen sei, erklärt Denz. Die Ausstellung, die gemeinsam mit den Historischen Museen der Stadt Bamberg und der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg organisiert wird und voraussichtlich ab 2013 im Historischen Museum Bamberg zu sehen ist, soll jedoch nicht nur über genealogische Beziehungen aufklären. Die Organisatoren wollen zeigen, dass Bamberg seit der Bistumsgründung vor ca. 1000 Jahren nicht nur christlich geprägt ist, sondern auch eine bemerkenswerte jüdische Geschichte hat.
Das Konzept für die Museumsausstellung steht zwar noch nicht vollständig, aber wichtige Elemente konnte Susanne Talabardon mit ihren Studierenden schon entwickeln: „Wir planen eine moderne Ausstellung. Unser Ziel ist es nicht, die Besucher mit Unmengen von Daten zu konfrontieren, sondern Geschichten zu erzählen und über jüdische Lebensentwürfe zu informieren.“ Die Besucher sollten beispielsweise angeregt werden, jüdische Vergangenheit und Gegenwart im Rahmen von Spaziergängen durch Bamberg selbst zu erkunden. Auch ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte, der Holocaust – von den Juden selbst als Schoah bezeichnet – soll in der Ausstellung dokumentiert werden. „Wir wollen einen Raum einrichten, in dem den Opfern des Nationalsozialismus gedacht wird. Mithilfe eines Tonbands sind die Namen der Bamberger Opfer zu hören“, meint Isabell Arnold, Koordinatorin der Ausstellung. Das Tonband solle von Bamberger Bürgern besprochen werden.
Viel Lob für Studierende
Dass jüdisches Leben in Bamberg nun ausführlich erforscht wird, sei zweifelsohne von großem Wert für die Stadt, betont Talabardon. Dahinter steckt aber auch jede Menge Arbeit. „Was die Studierenden hier leisten, ist außergewöhnlich. Sie entziffern ja nicht nur hebräische Grabinschriften, sondern schreiben auch Museumstexte und entwickeln eine Software für die Dokumentation der Forschungsergebnisse und die Ausstellung. Ohne sie gäbe es weder das Friedhofsprojekt noch die Ausstellung“, zeigt sie sich stolz über ihr Team. An dem Projekt arbeiteten deshalb nicht nur Judaisten, sondern auch Historiker, Kunstgeschichtler, Religionspädagogen, Informatiker sowie weitere Interessierte aus verschiedenen Fachrichtungen mit. Die Studierenden können hier lernen, wie man gleichzeitig eigenverantwortlich und im Team arbeitet und außerdem eigene Ideen entwickelt, so Talabardon. „Vieles organisieren die Studierenden selbst, beispielsweise die Exkursionen zu den Friedhöfen. Langfristig ist es mein Ziel, für das Projekt relativ überflüssig zu werden“, meint sie schmunzelnd.