Traurigkeit, Schmerz und Verzweiflung
Das Leiden und der Tod Christi sind zentrale Elemente des christlichen Glaubens. Zahlreiche Künstler haben in Bildern oder Skulpturen Jesu Kreuzestod dargestellt. In der Übung „Jesus-Schmerz&Emotions-Projekt“ im Rahmen des Psychologieseminars „Pain: Psychology and Physiology“ untersuchten Studierende die Wirkung der Mimik des Sterbenden Jesu auf den Betrachter. Die Ergebnisse stellten der Schmerzforscher und Seminarleiter Prof. Dr. Stefan Lautenbacher und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Miriam Kurz, am 3. Februar den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des „Schmerz-Seminars“ vor.
An der kleinen Studie haben mehr als 110 Probanden teilgenommen. In einem elektronischen Fragebogen sahen sie sich 20 Gesichtsabbildungen von Jesus Christus am Kreuz an. Dabei sollten sie beurteilen, welche Gefühle und wie stark diese im Gesicht von Jesus ablesbar sind. Die fünf Emotionen Schmerz, Traurigkeit, Angst, Freude und Verzweiflung konnten von gering bis hoch bewertet werden.
Subjektive Wahrnehmung einer objektiven Mimikbeschreibung
Das Projekt zeigt, dass die Befragten vorwiegend negativ bewertete Emotionen beim Betrachten der Fotos assoziierten. Dabei gab es keine großen Unterschiede zwischen Schmerz, Traurigkeit und Verzweiflung. Doch warum sahen manche Menschen verstärkt Schmerz und andere verstärkt Leid in Jesu Gesicht? Nach Lautenbacher spielen hier die abgefragten Merkmale „Geschlecht“ und „Religion“ des Betrachters eine Rolle: „Frauen sehen zum Beispiel in dem Gesicht Jesu mehr Schmerz als Männer und Protestanten nehmen mehr Leid in den Abbildungen wahr als Katholiken.“
Die Jesus-Abbildungen ließen sich in Ähnlichkeiten einteilen, die von einer gesamten Gruppe wahrgenommen wurde. Bei dieser Einteilung in sogenannte Cluster erwies sich Traurigkeit als das vorherrschende Merkmal. Eine Erklärung, warum die Mehrheit diese Einteilung vornahm, lieferte Miriam Kunz, die sich am Lehrstuhl mit Mimikforschung beschäftigt: „Wenn bei den Jesus-Abbildungen die Mundwinkel nach unten hängen und die Augenbrauen nach oben gezogen sind, verbindet der Beobachter dies mit großer Trauer. Ein geöffneter Mund und eine zusammengezogene Nasenfalte symbolisieren dagegen häufig starken Schmerz.“
Doch diese Mimikbeschreibung ist nicht objektiv und zudem abhängig von anderen Faktoren, wie das folgende Beispiel zeigt: Bei einigen Bildern gaben die Befragten an, großen Schmerz zu erkennen, obwohl der Mund bei den dargestellten Figuren geschlossen war. Die Erklärung: Auf diesen Abbildungen war viel Blut zu sehen, verursacht durch die Dornenkrone. Die Einschätzungen der Probanden zeigen, dass das Sehen von Blut mit dem Empfinden von Schmerzen verknüpft und das Merkmal „geöffneter Mund“ dadurch offenbar überdeckt wird.
Ein weiteres Cluster bildete „große Verzweiflung und Trauer“. Kunz zufolge komme diese Zuordnung durch den Blick in den Himmel. „Das Nach-oben-sehen verbinden viele Menschen mit Hilflosigkeit.“
Studierende ergreifen die Initiative
Die meisten Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer des „Jesus-Schmerz-Projekts“ stehen noch am Anfang ihres Studiums. Umso erfreulicher sei es, mit was für einer Begeisterung sich die Studierenden in das Projekt gestürzt hätten, honorierte Lautenbacher. „Die jungen Leute haben die meisten Jesus-Abbildungen in Bamberg gefunden und sie selbst fotografiert. Auch die Fragestellung und das Konzept des Fragebogens haben sich die Studierenden selbst erschlossen.“ Die praktische Ausführung der Untersuchung durch einen elektronischen Fragebogen konnte durch den Studenten Philipp Schmieder, der Kenntnisse in elektronischer Datenerhebung mitbrachte, zügig umgesetzt werden. Außerdem habe die Planung und Umsetzung der Studie außerhalb der Seminarzeit stattgefunden, weswegen die Eigeninitiative der Studierenden noch höher zu bewerten sei, meinte Lautenbacher.
Nach dem unerwarteten Erfolg des studentischen Projekts überlegt der Schmerzforscher, ob er die Untersuchung weiterführen und auf eine breitere theoretische Grundlage stellen soll. Der Psychologe kann sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, beispielsweise mit einem Kunsthistoriker, gut vorstellen.