Internationale Jazzgrößen in Bamberg
Der Amerikaner Charles Mingus, Jazz-Bassist und Komponist des 20. Jahrhunderts, war ein ungemütlicher Zeitgenosse. Sein Publikum nannte er eine „Bande von Knalltüten“, als es sich während eines Konzertes unterhielt, einem Musikerkollegen schlug er im Streit einen Zahn aus. Als man ihn einmal auf sein ungestümes Wesen ansprach, soll er geantwortet haben: „Ich weiß gar nicht, wie die Leute auf so etwas kommen. Ich hatte in meinem Leben erst drei ernsthafte Messerstechereien.“ Unschön, doch tat all das der begeisterten Aufnahme seines Wirkens nicht den geringsten Abbruch.
Musikalisch zählt Mingus zu den erlauchtesten Persönlichkeiten im geweihten Logbuch des modernen Jazz. Einen seiner größten Bewunderer hat Mingus heute in Markus Schieferdecker, selbst Bassist von internationalem Format und seit nunmehr vier Jahren Leiter der Uni-Bigband Bamberg. Die Jazz-Matinee zum Ende des Sommersemesters 2018 widmete sich in diesem Jahr deshalb ganz dem wirkmächtigen Schaffen des streitbaren Amerikaners. Mit auf der Bühne stand Besuch aus New York und Wien. Derzeit tourt Schieferdecker mit einem Quartett befreundeter Jazzstars durch Deutschland und Österreich. Eine ihrer Stationen war, wie schon vor drei Jahren, die Universität Bamberg.
Saxophonist Wayne Escoffery zu Besuch in Bamberg
Saxophonist Wayne Escoffery, Mitglied in der Charles Mingus Bigband, welche das Erbe des Bassisten seit dessen Ableben weiterträgt, stieß für Goodbye Pork Pie Hat zur Studierendenschaft und schlenderte im Austausch mit Sängerin Laura Mann am Solomikrofon durch die wunderschön schwermütigen Passagen. Die Klangwelt eines Mingus ist unkonventionell, selbst für die Begriffe des modernen Jazz. Gerne überrascht sie mit Wohlklang, nachdem das Publikum lange mit reichlich fragiler Harmonie bedacht wurde und eher eine Form zielloser, schmerzhafter Nostalgie empfunden haben dürfte. Immer wieder entlassen die Kompositionen einzelne oder ganze Gruppen von Musikern in spontane Improvisationen und treiben sie in unnachgiebiger Progressivität an.
Escoffery ließ weder Band noch Auditorium im Unklaren darüber, welch energetischer Tradition man sich hier verpflichtet hatte und trat mit der untrüglichen Sicherheit des geschulten Jazzers den Weg nach vorne an. Moanin verlangte aggressive Staccati und ein für subtile Ohren fast schon überpräsentes Bassregister, das von Escoffery am Tenorsaxophon vehement mitgerissen wurde. Diese Vehemenz ist Kennzeichen des mingusschen Kosmos, der sich nicht darin gefällt, dem Publikum bloß wohl zu tun, sondern der wie sein Erschaffer mit deutlichen Ansagen aufzutreten pflegt.
Anspruchsvolle und eindrückliche Musik
Eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Protestsong Fables of Faubus, mit dem Mingus Anfang der 60er Jahre einem politischen Gegner der Rassenintegration im US-Staat Arkansas entgegentrat. Am Schlagzeug saß für diese Nummer Joris Dudli, Mitglied des Vienna Art Orchestra, der am Vortag im Verbund mit seinen Kollegen Schieferdecker, Escoffery und Victor Gould (Piano) einen Workshop in Jazzimprovisation gegeben hatte und nun die Reihen der Spieler eifrig antrieb. Erstaunlich, wie weitreichend der Einfluss einzelner Musiker auf ein Ensemble sein kann. Auf der Bühne vereinigten sich Band und Solisten, um genretypisch spontan musikalischen Ideenreichtum auszutauschen, sich in Jelly Roll und Nostalgia in Time Square förmlich aufeinander loszulassen. Der Bandleader schuf dazu – ganz ungezwungener Jazzbruder – in wohl situativ motivierten Moderationen Wohnzimmeratmosphäre trotz gefüllter Reihen im Audimax. Mingus haftet bedeutungsvolle Schwere an, triefende Wehmut aus rauchigen Kellern und halbschattigen Parkanlagen. Sie erreicht auch das Publikum und lässt es aufgewühlt sein. Dahinter ist stets eine Menge Schönheit.