Der Pastoraltheologe Prof. Dr. Heinz-Günther Schöttler nimmt die Dozentur für Predigtlehre am Abraham-Geiger-Kolleg wahr. (Bild: Julian J. Rossig)

- Gertrud Lange

„Zwei Zweige eines Baumes“

Ein Interview mit dem Bamberger Theologen Prof. Dr. Heinz-Günther Schöttler, der in Potsdam angehende Rabbiner ausbildet

Der interreligiöse Dialog zwischen Juden und Christen könnte mit der Einrichtung einer ganz besonderen Dozentur am jüdischen Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam eine neue Stufe erreichen. Denn der Lehrauftrag für die Homiletik-Dozentur ging an einen katholischen Theologen in Bamberg: Heinz-Günther Schöttler. 

Der interreligiöse Dialog zwischen Juden und Christen könnte mit der Einrichtung einer ganz besonderen Dozentur am jüdischen Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam eine neue Stufe erreichen. Denn der Lehrauftrag für die Homiletik-Dozentur ging an einen katholischen Theologen in Bamberg: Heinz-Günther Schöttler. Der Trierer Diözesanpriester lehrt als Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Herr Prof. Schöttler, Sie sind gerade von ihrer ersten Lehrveranstaltung am Abraham-Geiger-Institut in Potsdam zurückgekehrt. Wie haben die jüdischen Rabbiner-Studierenden auf Sie reagiert?
Ich war vier Tage zusammen mit Studierenden unserer Bamberger Fakultät am Abraham-Geiger-Kolleg. Die intensive gemeinsame Arbeit an Texten aus der Tora, die theologischen Gespräche und das gemeinsame Bemühen um die Predigt hat die jüdischen und die christlichen Studierenden tief beeindruckt und den Respekt vor dem Glauben der anderen gestärkt. Wir haben aber festgestellt, dass das jüdische Verständnis von Predigt sich in wichtigen Aspekten vom christlichen Verständnis unterscheidet. Hier können wir voneinander lernen. Für uns Christen ist es wichtig, die jüdische Auslegung der Bibel authentisch zu hören, wie es die Päpstliche Bibelkommission im Jahr 2001 in ihrem Dokument „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ sagt: „Die jüdische Lesung der Bibel stellt eine mögliche Leseweise dar, die sich organisch aus der jüdischen Heiligen Schrift der Zeit des Zweiten Tempels ergibt, in Analogie zur christlichen Leseweise, die sich parallel entwickelte.

Wie fühlen Sie sich als Dozent für Predigtlehre am Abraham-Geiger-Kolleg?
Natürlich ist die Dozentur eine große Herausforderung für mich. Aber bevor es eine Herausforderung ist, bin ich immer noch gerührt ob des großen Vertrauens, das in mich gesetzt wird: Ich soll als Nicht-Jude angehende Rabbinerinnen und Rabbiner ausbilden. Diesen Vertrauensbeweis verstehe ich auch als Frucht eines mehr als 15-jährigen Engagements für den christlich-jüdischen Dialog mit vielen persönlichen Begegnungen mit Juden, aber auch grundlegenden theologischen Gesprächen. Schön ist für mich natürlich, dass sich auch mein Heimatbistum Trier über dieses Angebot freut.

Wie ist es möglich, als Nicht-Jude Juden zu unterrichten?
Das geht nur unter einer Voraussetzung: Dass ich als Katholik mit Respekt und Ehrfurcht den jüdischen Freunden begegne, im festen Glauben daran, dass der jüdische Glaubensweg ein Heilsweg ist wie der christliche. Für mich ist die Theologie des jüdisch-christlichen Verhältnisses, wie sie Papst Johannes Paul II. maßgeblich geprägt hat, grundlegend. Er hat immer wieder betont, dass Christen und Juden auf der Ebene ihrer je eigenen Identität miteinander verbunden sind. Das heißt, dass die Beziehung zum Judentum wesentlich zur Identität des Christentums gehört. Außerdem hat Johannes Paul II. im Interview „An der Schwelle des 21. Jahrhunderts“ betont, er sei davon überzeugt, dass Juden und Christen denselben Gott anbeten. Die Aufgabe bleibt immer noch eine Herausforderung für mich, aber ich denke, sie wird mich als Christ sehr bereichern. Ich persönlich vertrete ohnehin die Auffassung, dass Judentum und Christentum nicht zwei unterschiedliche Religionen sind wie beispielsweise das Christentum und der Buddhismus. Vielmehr betrachte ich das Judentum und das Christentum als die zwei Zweige eines Baumes.

Welche Bedeutung messen Sie dieser Dozentur zu?
Die Einrichtung dieser Dozentur zeigt eine Intensivierung des jüdisch-christlichen Dialogs. Das hat auch Kardinal Lehmann in seiner Rede anlässlich der Überreichung des Abraham-Geiger-Preises am 20. März noch einmal betont. Er sagt, es ist weiterhin wichtig, den jüdisch-christlichen Dialog zu intensivieren. Ich sehe die Dozentur für Predigtlehre am Abraham-Geiger-Institut als Herausforderung, mich noch tiefer in das Wesen der jüdischen Predigt einzuarbeiten. Vielleicht lerne ich ja für mein Predigtverständnis mehr als die jüdischen Studenten.

Wo liegen die fachlichen Unterschiede in katholischer und jüdischer Predigtlehre?
Die jüdische Predigt-Tradition ist anders als die christliche. Sie ist stark von der talmudischen und midrashischen Auslegung der biblischen Texte geprägt.

Wie haben Sie Ihre Lehrveranstaltungen für die Potsdamer Studierenden konzipiert?
Generell wird es so sein, dass ich ein- bis zweimal im Semester nach Berlin fahre und dort mehrtägige Seminare halte. Anknüpfungspunkt wird die Predigt des liberalen Judentums im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sein. Jetzt hat gerade die erste Veranstaltung stattgefunden. Die nächste ist am 2. September hier in Bamberg. Im ersten Blockseminar haben wir uns mit der Parasche „Ki Tezé“ beschäftigt; dieser Abschnitt ist der Tora-Text des Shabbat während der zweiten Veranstaltung im September. Die Predigten werden dann am Freitagabend und Samstag in der Bamberger Synagoge gehalten.

Was fasziniert Sie am Judentum?
Das kann ich im Letzten nicht genau sagen. Ich weiß nur, dass ich mich bereits im Theologiestudium so sehr für die Bibel Israels, die wir Christen Altes Testament nennen, interessiert habe, dass ich meine Diplomarbeit im Fach Altes Testament geschrieben habe. Dann habe ich 1985 bei dem Trierer Alttestamentler Prof. Dr. Ernst Haag promoviert. Nicht zuletzt trägt meine Habilitation an der Universität Tübingen aus dem Jahr 2000 den für diese Frage aufschlussreichen Titel „Christliche Predigt und das Alte Testament – Versuch einer homiletischen Kriteriologie“. Ich spüre, dass meine engen Beziehungen zum Judentum mir helfen, die eigenen christlichen Wurzeln tiefer zu begreifen.

Denken Sie, der jüdisch-christliche Dialog wird mit ausreichender Intensität geführt?
Nein. Der Dialog findet leider noch zu sehr unter Fachleuten statt. Ich wünsche mir, dass die ‚große Ökumene’, wie Karl Barth die Beziehung zwischen Judentum und Christentum bezeichnet hat, für die christlichen Gemeinden vor Ort dieselbe Notwendigkeit bekommt, wie die ‚kleine Ökumene’ zwischen den christlichen Konfessionen. Es ist wichtig, dass das Judentum in der christlichen Verkündigung mehr ist als eine geschichtliche Größe, der wir begegnen, wenn wir das Alte Testament oder Neue Testament lesen und uns mit Jesus Christus beschäftigen. Das Judentum ist eine gegenwärtige Glaubensgemeinschaft in engster Weggemeinschaft mit dem Christentum. Juden und Christen beten denselben Gott an. Wenn der Dialog auch vor Ort intensiver geführt würde, würde das Judentum sicher ‚richtiger’ im Religionsunterricht und in christlichen Predigten dargestellt.

Wie setzen Sie sich konkret für den jüdisch-christlichen Dialog ein?
Zunächst beschäftige ich mich natürlich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Judentum. Das lässt sich aus meinen einschlägigen Veröffentlichungen ersehen. Dazu kommen internationale einwöchige Seminare von Theologiestudierenden und Rabbinerstudierenden aus den USA, Polen und Deutschland, die ich zusammen mit guten Freunden, darunter Rabbiner Prof. Dr. Michael Signer von der Universität Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana und Prof. Dr. Hanspeter Heinz aus Augsburg, veranstalte. Unsere Kooperation funktioniert hervorragend. 2003 fand z. B. ein Seminar in Krakau und Auschwitz statt, im vergangenen Jahr in Nürnberg unter dem Thema „Erinnerung und Versöhnung“, für 2007 ist ein solches Seminar in Lublin (Polen) geplant. Ich bin Mitglied des Gesprächskreises Juden und Christen im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken und habe an der im vergangenen Jahr erschienenen ZdK-Schrift „Juden und Christen in Deutschland – Verantwortete Zeitgenossenschaft in einer pluralen Gesellschaft“ mitgearbeitet.