„In der Wissenschaft braucht man eine hohe Frustrationstoleranz“
Prof. Dr. Andreas Jungherr ist seit April 2021 Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, insbesodere Steuerung innovativer und komplexer technischer Systeme an der Universität Bamberg. Er forscht zum Umgang mit Digitalisierung in Gesellschaft und Politik. Im Interview verrät er mehr zu einem aktuellen Forschungsprojekt, warum die Politikwissenschaft aus seiner Sicht heute wichtiger denn je ist und wie er bereits früh gelernt hat, mit Frustration umzugehen.
Seit Kurzem sind Sie Professor an der Universität Bamberg. Wissen Sie noch, welchen Berufswunsch Sie als Kind hatten?
Andreas Jungherr: Ich wollte lange Zeit gerne in der Filmregie arbeiten. Während meiner Zeit auf dem Gymnasium hatten wir im Freundeskreis zum Beispiel eine kleine Theatergruppe und haben einige Kurzfilme produziert. Meine Selbsteinschätzung und die Wahrnehmung meiner Arbeit durch deutsche Filmakademien gingen dann aber recht stark auseinander, und ich bekam sehr eindeutige Signale, dass die Filmregie wohl doch nichts für mich sei. Also musste eine Alternative her. Im Nachhinein sehe ich das aber als gutes Training. Denn in der Wissenschaft braucht man eine hohe Frustrationstoleranz, weil auch hier das Feedback nicht immer positiv ist. Im Berufungsverfahren an der Universität Bamberg hat aber anscheinend eine Übereinstimmung der Wahrnehmungen beider Seiten existiert, und ich freue mich, jetzt einen Lehrstuhl mit einem so außergewöhnlichen Titel innezuhaben.
Was macht den Lehrstuhl Ihrer Meinung nach besonders?
Das Besondere ist, dass es sich um einen Lehrstuhl handelt, der sich ganz klar und offen mit der Herausforderung von Gesellschaft und Technik auseinandersetzt. Wenn man sich in Deutschland umsieht, dann konzentrieren sich die meisten Hochschulen auf das Kernportfolio der Politikwissenschaften. Meiner Meinung nach geht das aber an den gesellschaftlichen Bedürfnissen und Problemen der heutigen Zeit vorbei. Außerdem ist in Bamberg der wachsende Schwerpunkt im Bereich der computerbasierten Methoden in den Sozialwissenschaften, der sich in ganz unterschiedlichen Fachbereichen wiederfindet, sehr interessant. Man hat es hier mit einem Methodenset zu tun, das man nicht in einer Professur abbilden kann, sondern das auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit angewiesen ist. Aus der Vergangenheit weiß ich, dass man für eine solche Kooperation an der Universität Bamberg verlässliche und belastbare Arbeitsbeziehungen über die unterschiedlichen Disziplinen hinweg findet. Vor allem ist eine mittelgroße Universität wie Bamberg bei einer solchen Zusammenarbeit viel flexibler und agiler als sehr große Universitäten. Man findet Partnerinnen und Partner, die das Potenzial gemeinsam sehen und heben.
Sie sind nicht zum ersten Mal in Bamberg?
Nein, ich mache zum zweiten Mal Station in Bamberg, da ich hier bereits in den Politikwissenschaften promoviert habe. Zwischenzeitlich war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter in Mannheim, Juniorprofessor in Konstanz und Professor in Jena. Bamberg ist eine sehr charmante, lebenswerte und fröhliche Stadt, weshalb es mich freut, wieder hier zu sein.
Zu welchen Schwerpunkten forschen Sie?
Meine Forschung konzentriert sich auf den Umgang mit Digitalisierung in Gesellschaft und Politik. Mich interessiert dabei besonders, welche Potenziale digitaler Technik wahrgenommen und genutzt werden. Außerdem beschäftige ich mich mit der sogenannten Computational Social Science. Es geht darum, wie die Wissenschaft mit Datenspuren, die im Laufe der Nutzung digitaler Medien entstehen, umgehen und was sie daraus lernen kann.
Können Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrer Forschung kurz erläutern?
Ein aktuelles Projekt, das durch die Volkswagenstiftung finanziert wird, führe ich gemeinsam mit Prof. Dr. Oliver Posegga aus der Bamberger Wirtschaftsinformatik und Jisun An, einer Professorin an der Singapore Management University, durch. Wir schauen uns an, wie Medien über große gesellschaftliche Fragen wie etwa die Corona-Pandemie, Künstliche Intelligenz oder den Klimawandel berichten, wie sich die Berichte gegenseitig beeinflussen und wie diese auch in Onlinekommunikationsräume hineinwirken. Dabei betrachten wir nicht nur etablierte Medien, sondern auch neue Online-Nachrichtenseiten sowie Online-Plattformen wie etwa Twitter oder Reddit. Im Zentrum steht dabei besonders die Frage danach, in welche Richtung eine Beeinflussung stattfindet. Können Online-Medien die klassischen Medien beeinflussen und falls ja, wie tun sie das? Letztlich sollen so neue Befunde zum gesellschaftlichen Einfluss des Internets hervorgebracht werden.
Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?
Wenn Sie mir diese Frage in den 2000ern gestellt hätten, dann hätte ich Ihnen geantwortet: Machen Sie lieber Wirtschaft oder Jura. Heute halte ich die Politikwissenschaften aber für wichtiger denn je, weil wir eine Politisierung der Gesellschaft erleben. Das hat damit zu tun, dass eine ganze Reihe gesellschaftlicher Fragen immer dringlicher werden. Auf uns werden große Verteilungskämpfe zukommen, wenn man sich beispielsweise den Klimawandel ansieht. Man muss politische Prozesse verstehen, um diese verbessern und dadurch legitimieren zu können und so in der Lage zu sein, unsere freie, westliche, liberale Demokratie zu verteidigen. Die Politikwissenschaft bietet hier das geeignete Instrumentarium.
Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?
An der Universität bilden wir vor allem wissenschaftlich aus. Mir geht es gleichzeitig aber auch darum, dass die Studierenden die Kernkompetenzen, die wir ihnen vermitteln, auch über ihr Studium und die Wissenschaft hinaus nutzen können. Studierende sollen vor allem ihrer Intuition nachgehen, ihr trauen und sie aber auch schulen. Damit können sie Fragen identifizieren, die sie mithilfe der durch uns vermittelten Theorien strukturieren und ebenfalls theoriegeleitet beantworten können.
Vielen Dank für das Interview!