„Was ist ‚Leben’?“
Aristoteles (4. Jhdt. v. Chr.) hat sich mit dem für die Biologie konstitutiven Begriff des „Lebens“ in zahlreichen, nicht nur biologischen, Schriften unter verschiedenen Gesichtspunkten befasst. Diesen Aspekten ging eine von der Bamberger Gräzistikprofessorin Sabine Föllinger organisierte Fachtagung nach, die vom 23. bis 26. August im Bamberger Tagungshaus „Marianum“ stattfand.
Aristoteles, der mit seinen grundlegenden und innovativen Forschungen und Erkenntnissen in unterschiedlichen Bereichen von Philosophie und Wissenschaften die Geistesgeschichte maßgeblich beeinflusst hat, ist nicht zuletzt als Archeget der Biologie hervorgetreten. Seine Verdienste auf diesem Gebiet liegen darin, dass er durch eine ‚Philosophie der Biologie’ die Biologie als eine ‚salonfähige’ wissenschaftliche Disziplin begründete, dass er umfangreiche empirische Studien trieb und dass er versuchte, die dadurch gewonnenen Erkenntnisse in Begründungszusammenhänge zu stellen. Daher kamen aus Deutschland, Italien, England, den USA und Südkorea Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Disziplinen Klassische Philologie, Philosophie und Biologie zusammen, um zu untersuchen, in welcher Weise Aristoteles den Begriff des Lebens auffasste.
Aristoteles und die Seele
Einen wichtigen Bereich bildete die Frage, was Aristoteles unter „Seele“ verstand. Mit diesem Begriff übersetzt man das griechische Wort „psyche“. Doch, anders als nach unserem heutigen, christlich geprägten Verständnis, bezeichnet Aristoteles mit „Seele“ sämtliche Lebensfunktionen, die er in die drei Großbereiche „Ernährung und Selbsterhaltung“, „Wahrnehmung und Bewegung“ und „Denken“ einteilt. Sie sind körperlich bzw. körpergebunden; dies gilt auch für die grundlegenden Bereiche der spezifisch menschlichen Denkfähigkeit. Die aristotelische Auffassung des Verhältnisses von Körper und Seele war das Thema des Vortrags von Thomas Buchheim (München). Der Problematik, ob die unterschiedlichen Verwendungsweisen von „Leben“ bei Aristoteles nebeneinander stehen oder aber auf einen einheitlichen Lebensbegriff verweisen – etwa insofern die Ernährungs- und Selbsterhaltungfunktion die Basis für alle anderen bildet –, gingen die Vorträge von Diana Quarantotto (Pisa), Uwe Voigt (Bamberg), Richard King (München) und Maria und Alfred Miller (Washington) nach.
Die verschiedenen Formen pflanzlichen und tierischen Lebens und das damit verbundene Problem eines Übergangs von Unorganischem zu Organischem standen im Mittelpunkt der Vorträge von Wolfgang Kullmann (Freiburg), Georg Wöhrle (Trier), Stephan Zierlein (Freiburg/ Mainz) und Jochen Althoff (Mainz). Inwieweit verschiedene Lebensweisen unterschiedlicher Tierarten Aristoteles neben der Morphologie als Ordnungskriterien dienten, zeigte James Lennox (Pittsburgh) auf, wohingegen der Biologe Armand Leroi (London) Beispiele vorführte, bei denen man die Erklärungen aristotelischer mit denen moderner Biologie vergleichen kann.
Aristoteles und die Embryonalentwicklung
Aber auch Aristoteles’ Vorstellungen zur Weitergabe des Lebens bildeten einen wichtigen Punkt, insofern der griechische Philosoph den Begriff des Lebens in der Embryonalentwicklung – dies gilt auch für die menschliche – an die Wahrnehmung knüpft und diese Auffassung seiner Ethik zugrundelegt (Vortrag von Sabine Föllinger, Bamberg) und Formen von Lebensentstehung, die nicht speziesgebunden vor sich geht (die sogenannte Spontanzeugung), für möglich hält (Vorträge von David Depew, Iowa und Hellmut Flashar, München). Die Frage, inwieweit sich bei Aristoteles, obwohl er nicht von einer Artenentwicklung ausging, Denkansätze, die auf eine Evolution verweisen, finden, beschäftigte Dae-Ho Cho (Seoul). Die aristotelische Ethik stand in dem Vortrag von Christian Pietsch (Münster) im Mittelpunkt, der den Zusammenhang von menschlicher „Natur“ und menschlichem Handeln untersuchte.
Ausblicke auf die Rezeptionen des aristotelischen Lebensbegriffs in der stoischen Philosophie (Vortrag von Robert Bees, Tübingen) und Thomas von Aquin (Vortrag von Christian Schröer, Augsburg) rundeten die Tagung ab. Insgesamt konnte die Tagung die Komplexität aufzeigen, mit der Aristoteles den zentralen Begriff „Leben“ angeht, für den es in der modernen Biologie keine einheitliche Definition gibt und der gleichwohl eine zentrale Rolle in aktuellen ethischen Diskussionen spielt.