Herzgewächse, die nicht mehr wachsen
Wer war Hans Wollschläger? Wo soll man beginnen?
„Ein Universalgelehrter, Übersetzer, Autor, Essayist, Psychoanalytiker, Organist, Dirigent, Literaturwissenschaftler und Historiker, der Wollschläger durch ausgewiesene Veröffentlichungen ist, fällt durch jedes feuilletonistisches Raster und beschäftigt den gesamten Mitarbeiterstab einer Zeitung vom Musikkritiker bis zum Wirtschaftsjournalisten.“ So beschreibt der Publizist Uwe Wolff offensichtlich nicht ohne Schadenfreude die „redaktionelle Breitenwirkung“, die ein Gelehrter vom Schlage eines Hans Wollschläger ausüben konnte.
Wenn es um Wollschläger geht, hört man immer wieder die Rede vom Universalgelehrten, aber ein kritischer Mensch wie er wusste sicher am besten, was das in einer modernen, zersplitterten Welt bedeutet: „Und wer noch, wie Faust, Vieles weiß und Alles wissen möchte, steht in Gefahr, sich schlicht lächerlich zu machen [...] Und nur ganz Wenige können es sich – um den Preis des Verzichts auf andere, fraglos lukrativere Erwerbsmöglichkeiten – noch leisten, auf mehreren, vielen Gebieten größeres Grundwissen zu erwerben, ohne daß nur ein hoffnungsloser Oberflächendilettantismus dabei herauskäme“ (Aus: Von Sternen und Schnuppen). Dass Hans Wollschläger zu diesen ganz wenigen zählte, ist unbestritten.
Kongeniale Joyce-Übersetzung
Und wieder die Frage: Wo soll man beginnen, was soll man hervorheben? Seine Arbeiten zu Friedrich Rückert, Karl May, seine Essays und nicht selten hochpolemischen Anmerkungen, sein großer Roman „Herzgewächse“? Und, natürlich: die Übertragung des „Ulysses“ von James Joyce. Man darf hier nichts Profanes vermuten, denn es ist kein bloßes Tragen des Originals von einer Sprache in die andere, es handelt sich bei dieser Übersetzung um eine komplexe, auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Meisterwerk von Joyce. Um einen experimentellen Roman wie Ulysses zu übersetzen, braucht es eine komplementäre, kongeniale Sprachschöpfung, und auch diese Herausforderung hat Wollschläger auf eine Art gemeistert, die nahezu Epoche gemacht hat.
Wollschläger ist im eigentlichen Verstande ein Humanist und in allen seinen Veröffentlichungen erinnert er an das Humanum: die Sprache. Nicht nur in seinem Roman „Herzgewächse“, immer geht es ihm in seinem überaus reichen künstlerischen und wissenschaftlichen Tun um das Ganze. Wollschlägers Werk lässt sich so durchaus als Versuch verstehen, Kunst und Wissenschaft miteinander zu versöhnen. „Die Universität hat mit der Ehrenpromotion das Verdienst eines Grenzgangs gewürdigt: Die immer wieder postulierte Fremdheit von Wissenschaft und Kunst ist bei Hans Wollschläger aufgehoben“, betont auch der Rektor der Universität Bamberg, Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert. 1990 verlieh die Fakultät Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Wollschläger die Ehrendoktorwürde, 2002 übernahm er die Poetikprofessur der Universität.
In den letzten zehn Jahren lebte Wollschläger zurückgezogen mit seiner Frau in den Haßbergen, freilich immer noch in viele Arbeiten involviert, unter anderem gab er Karl Mays Spätwerk heraus. Seinen 72. Geburtstag feierte Hans Wollschläger in diesem Jahr, im Zeichen der Krankheit, der er in der Nacht zum 19. Mai erlag.
„Herzgewächse“, das ist eine Metapher für das mit Herzblut Geschriebene, aber auch die veraltete Bezeichnung für eine Krankheit. Das gleichnamige Gedicht von Maurice Maeterlinck war die Grundlage für eine Komposition von Arnold Schönberg.
Dichtung, Musik und schließlich Krankheit. Wie sich herausstellt, sind die „Herzgewächse“ auch eine Lebensmetapher für Hans Wollschläger selbst.