Das schöne Hässliche aus künstlerischer Perspektive
Die Theorie muss mit der Realität konfrontiert werden – so heißt es in der Wissenschaft. Auch zum Abschluss der Bamberger Hegelwoche folgte auf die Theorie Praxis. Aus künstlerischer Perspektive warf der russische Maler und Schriftsteller Maxim Kantor am 9. Juni in der AULA der Universität einen Blick auf das Hässliche. Kantor zählt zu den bedeutendsten Künstlern Russlands, aus dem Elend und der Hässlichkeit der Welt bezieht er seine Produktivität.
Dass sich das Hässlich in der Kunst bis in die griechische Antike zurückverfolgen lässt und auch im römischen Kaiserreich oder dem christlichen Mittelalter immer wieder Eingang in Kunstwerke fand, das hatten Prof. Dr. Andreas Grüner von der Universität Erlangen und Prof. Dr. Mark W. Roche von der University of Notre Dame in Indiana bereits zu Beginn der Hegelwoche am 7. und 8. Juni gezeigt.
Das Hässliche der Hölle im paradiesischen Garten
Zum Abschluss der Hegelwoche spannte der Maler Kantor zunächst den Bezugsrahmen für sein eigenes Schaffen auf, indem er über die Dualität von Schönheit und Hässlichkeit in Werken der nordeuropäischen Renaissance sprach. Lange standen sich die Ästhetikvorstellungen von Gotik und Renaissance als unvereinbar gegenüber: Galten die Kanten und Spitzen detailbesessener gotischer Künstlerinnen und Künstler als hässlich, sind in Kunstwerken der Renaissance viele Elemente klassischer Schönheit zu entdecken.
Als nordische Künstlerinnen und Künstler im 15. Jahrhundert jedoch nach Italien zu reisen begannen, fand die Renaissance bald Einzug in ihre gotischen Werke – und in Werken der Renaissance tauchten daraufhin verstärkt Einflüsse der Gotik auf. Für diese Symbiose stehen die Werke von Hieronymus Bosch, Jan van Eyck, Lucas Cranach oder Pieter Bruegel. Sie verbinden rivalisierende Kunstströmungen in einer kreativen Synthese. Kantor zeigte das ausführlich am Beispiel von Boschs Garten der Lüste: Während ein klassisches Triptychon das Paradies in der linken Hälfte abbildet, ist die Hölle am rechten Bildrand verortet. In Boschs Gemälde dringt das gotisch Hässliche der Hölle allerdings in die Harmonie des Paradieses vor. „Bosch drückt damit aus, dass diese Synthese letztlich zum Scheitern verurteilt ist, denn die Hölle und damit das Hässliche ist überall“, so Kantor. Keine Synthese sondern eine Omnipräsenz des Hässlichen sei die Folge.
Suche nach dem Schönen im Hässlichen
Kantor selbst ist als Künstler bekannt, der sich mit expressionistisch-kraftvollem Pinselstrich immer wieder dem Hässlichen widmet. Seine Arbeiten zeigen oft den trostlosen Alltag, Elend und Armut. Gerne bedient er sich dabei aus dem Formen- und Figurenreichtum der zuvor dargestellten modernen Tradition. Doch ist er damit ein Maler des Hässlichen? Konzipiert er seine Bilder als Ausdruck einer tiefen Hässlichkeit der Welt?
Zum Abschluss der diesjährigen Bamberger Hegelwoche diskutierte Kantor diese Fragen mit seinen beiden Vorrednern Grüner und Roche unter Moderation des Organisators der Hegelwoche Prof. Dr. Christian Illies von der Universität Bamberg auf dem Podium. „Wenn man zeichnet, verschwimmen Kategorien wie das Schöne und das Hässliche miteinander“, so Kantor. In seinem böse-grotesken Bild Garden of Knowledge, sowie in seinem faschistisch-bedrohlichen Menschenmassenbild Brown Spring fanden die Mitredner denn auch zahlreiche „schöne“ Elemente: harmonische Farbstellungen und Formenkombinationen oder auch die detailgetreue Zeichnung von Gesichtern, darunter, wie Kantor erklärte, auch die seiner Frau und seiner Kinder. In der Kunst wie im Leben gebe es eben nicht nur Schwarz und Weiß. Und so endet die diesjährige Hegelwoche mit Kantors Fazit: „Vieles was schön ist, ist zugleich hässlich, und was hässlich wirkt, ist oft trotzdem schön.“