Dr. Andreas Gmelch hat als Dozent von Beginn an die Studienrichtung Didaktik der Arbeitslehre an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg begleitet. (Bild: feki.de)
Hauptschüler und Ausbildungsreife
Vor über 30 Jahren wurde das Fach „Arbeitslehre“ als profilbildendes Fach an den deutschen Hauptschulen eingeführt. Nach einem Vierteljahrhundert Arbeitslehre an der Universität Bamberg wird Resümee gezogen: „Hauptschüler und Ausbildungsreife. Aufgabe für Wissenschaft, Schule und Wirtschaft“ war das Thema der ersten Arbeit-Wirtschaft-Technik-Expertentagung (AWT) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Die Expertentagung vom Fach Didaktik der Arbeitslehre in Kooperation mit dem Münchener Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung widmete sich der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation von Hauptschülern, die trotz ihrer zentralen Stellung auf dem Ausbildungsmarkt bei Unternehmen nicht hoch im Kurs stehen: „mangelnde Ausbildungsreife“ ist unter anderem der Grund. So rekrutieren Industrie und Handwerk ihre Auszubildenden vielfach aus den Reihen der Realschüler und Abiturienten, auch wenn diese den Unternehmen nach der Ausbildung nicht immer erhalten bleiben. Der Druck nach Höherqualifizierungen bringt viele auf den zweiten Bildungsweg.
Die Gründe für die aktuelle Lage auf dem Ausbildungsmarkt sind laut Dr. Andreas Gmelch, der als Dozent von Beginn an die Studienrichtung Didaktik der Arbeitslehre an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg begleitet, vielfältig. Zum einen gebe es an den Hauptschulen einen prozentual höheren Ausländer- und Aussiedleranteil als beispielsweise an Realschulen oder Gymnasien. Zum anderen „gründen die inflationären Erwartungen der Unternehmen auf technischen Veränderungen“, die neue Berufe mit neuen Anforderungen hervorbringen. Die Hauptschüler seien laut Gmelch deshalb die Verlierer im Verdrängungswettbewerb. Verbessern könne man die Ausbildungsreife von Hauptschülern nach Meinung des Ministerialrats Dr. Hans-Dieter Göldner, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, deshalb primär nur direkt an den Schulen.
Vermittlung von Arbeitstugenden
Der Begriff der Ausbildungsreife bezeichnet die Gesamtheit aller Kenntnisse, Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Arbeitstugenden, die für jeden Ausbildungsberuf vorausgesetzt werden. Dazu zählen nicht nur die Kulturtechniken „Lesen, Schreiben und Rechnen“, sondern auch personale Kompetenzen wie „Fleiß, Sorgfalt und Verantwortungsgefühl“ und soziale Kompetenzen wie „Kommunikationsfähigkeit, Toleranz und Teamgeist“. Das Problem von Mängeln in der Ausbildungsreife ist nicht so neu wie die Medien und Unternehmen verkünden: Schon in den 60er Jahren beklagten sich die Unternehmen, dass Auszubildende nur mangelhaft rechnen und schreiben könnten und keine Vorkenntnisse über die Arbeitswelt hätten. Die Bildungspolitik hat auf die gesellschaftlichen Anforderungen reagiert und 1969 das Fach „Arbeitslehre“ (seit 2004 heißt dieses Fach in Bayern „Arbeit-Wirtschaft-Technik“) an Hauptschulen eingeführt. Schülerinnen und Schüler sollten durch Vermittlung grundlegender ökonomischer und berufskundlicher Kenntnisse, durch Anbahnung notwendiger Arbeitstugenden und einer Berufswahlreife auf die Arbeitswelt vorbereitet werden. Betriebserkundungen in der heimatlichen Arbeitswelt und Betriebspraktika dienten der Realisierung dieser Bildungsziele.
Seit 1980 gibt es an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg das Studienfach Arbeitslehre im Rahmen des Lehramtsstudiums für die Hauptschule. Die Studierenden werden mit Grundlagen der Ergonomie und Arbeitstechnologie, der Ökonomie und Industriesoziologie, der Arbeitswissenschaft, des Arbeits- und Berufsrechtes und der Berufskunde ausgestattet. Theorien und Forschungsergebnisse werden didaktisch hinsichtlich ihrer Bildungsrelevanz für Schüler analysiert und bewertet und auf die Lernprozesse an der Hauptschule bezogen. Einen hohen Stellenwert im Studium nimmt die professionelle Beschäftigung mit vielfältigen Unterrichtsmethoden ein. Die Entwicklung und Erprobung innovativer Medien und Methoden soll die künftige Unterrichtspraxis verbessern.
Zu wenig Ausbildungsplätze
Zu den wichtigsten Aspekten der Vorträge anlässlich der Expertentagung konnten sich die geladenen Gäste während der Podiumsdiskussion äußern. Konrad Seelmann von der Handwerkskammer Oberfranken (HWK) erklärte, dass die Kosten einer Ausbildung die Unternehmen dazu zwingen würden, große Auslese zu betreiben - Eignungstests seien deswegen notwendig. Unterstützt wurde er in seiner These von Franz Hubert von der Firma Bosch: „Unternehmen können sich keinen Auszubildenden leisten, der nach dreijähriger Ausbildung auf Grund mangelnder schulischer Bildung durchfällt“. Einige Diskussionsteilnehmer sahen in der Klage der Unternehmen eine nur allzu wohlgefällige Erklärung für die Lehrstellennot. „Wenn es zu wenig Ausbildungsplätze gibt, ist die Jugend zu dumm“, hielt Werner Schnabel von Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) dagegen. Berthold Gehlert von der Berufschule I in Bamberg bestätigte Schnabels Aussage, stellte aber auch fest, dass die Eltern stärker in die Verantwortung gezogen werden müssten, denn nur sie könnten soziale Werte an ihre Kinder weitergeben. Gegenseitige Schuldzuweisungen nützen wenig, vor allem nicht den demotivierten Hauptschülern. Schon jetzt hätten „zwei Drittel der Hauptschulabsolventen Zukunftsangst“, erklärte Klemens M. Brosig von der Regierung Oberfranken. Nur konkrete Programme zur gezielten Förderung und verstärkte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Schule könnten das Problem lösen.
Beispielhaft für eine Problemlösungsstrategie ist der Arbeitskreis Schulewirtschaft, der zur Unterstützung des Faches AWT in 100 regionalen Arbeitskreisen Projekte und Publikationen anbietet. „Wir verstehen uns als Nahtstelle zwischen Schule und Wirtschaft“, erklärte die Referentin des Arbeitskreises Pia Schwarz, die Eltern dürften dabei aber nicht außer Acht gelassen werden. Ein Projekt von Studierenden des Hauptschullehramtes an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg leistet in den Schulen Hilfestellung. Hinter dem Titel „Studenten coachen Hauptschüler“ verbirgt sich ein Förder- und Nachhilfeprogramm für insgesamt 750 Schüler an derzeit drei Hauptschulen im Landkreis Bamberg. Über 80 Studierende leisten viel Förderarbeit für relativ wenig Geld. Ähnliche Projekte findet man auch an anderen deutschen Schulen. Für die Studierenden ist es vor allem Vorbereitung auf ihren späteren Beruf: So coachen die Hauptschüler sozusagen auch die Lehrer der Zukunft.
"Vater der Arbeitslehre"
Ein kleiner Festakt für Dr. Andreas Gmelch, dem „Vater der Arbeitslehre“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, fand am Rande der Tagung statt. Als Dozent hat er die Studienrichtung Didaktik der Arbeitslehre aufgebaut, entwickelt und geprägt und sich bundesweit einen Ruf als zuverlässiger und sehr kompetenter Ratgeber in Sachen Hauptschule erworben. Neben seinen zahlreichen Beratertätigkeiten für die Bildungskommission im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus und für die Lehrplankommission für Arbeitslehre am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung ist er u. a. Sprecher der Bayerischen Fachdidaktik der Arbeitslehre sowie Ansprechpartner für die Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung.
Zur Stärkung und zum Erhalt der fachdidaktischen Ausbildungs- und Forschungskapazität hat Gmelch die Initiative für eine Resolution der bayerischen Arbeitslehredidaktiker ergriffen, die im Herbst in Bamberg tagten. Ziel dieser Resolution ist die Rettung der Professur für die Didaktik der Arbeitslehre an der Universität Erlangen/Nürnberg, die im Rahmen staatlicher Sparprogramme zur Disposition steht. Neben seinen hochschulpolitischen Aktivitäten hat Dr. Andreas Gmelch durch Lehrerfortbildung, wissenschaftliche Publikationen und als Autor von Schulbüchern für den AWT-Unterricht die bayerische Arbeitslehre entscheidend in Theorie und Praxis beeinflusst. Mit seinem Lebens- und Arbeitsmotto „Arbeitstugenden vorleben, nicht nur vermitteln“ ist er bei Kollegen und Studierenden beliebt.
Das 25-jährige Jubiläum hätte durch die Pläne der Hochschulleitung beinahe auch der letzte Jahrestag werden können. Problematisch sei nach Aussage des Rektors Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert, der die Veranstaltung eröffnete, dass es in Bamberg eine faktische Konzentration der Hauptschullehramtsstudierenden auf das Fach AWT gäbe. Man sicherte das Bestehen des Hauptschullehramtes in Bamberg durch neue Bedingungen: einer Professur in der Didaktik der Naturwissenschaften und einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Universitäten Bayreuth und Erlangen.