Im Mittelpunkt des Interesses: das Gehirn. Hier in einer Kernspin-Aufnahme abgebildet (Bild: Photocase)

Stefan Lautenbacher sprach über die Wechselwirkung zwischen Aufmerksamkeit und Schmerz (Bilder: Martin Beyer)

Dietmar Lutz referierte über Morbus Parkinson

- Claudia Huber

No brain – no pain

Ein kleines Jubiläum: Der 5. Bamberger Neuropsychologie-Tag

Das Thema „Schmerz“ stand im Mittelpunkt des 5. Bamberger Neuropsychologietags am 6. Oktober in der Universität Bamberg. In Vorträgen und Workshops informierten die Expertinnen und Experten sich und die Öffentlichkeit über neue Forschungsergebnisse und Anwendungsmethoden.

Dem interdisziplinären Austausch zwischen Psychologie und Medizin dient der Bamberger Neuropsychologietag, der am 6. Oktober bereits zum fünften Mal in der Otto-Friedrich-Universität Bamberg ausgerichtet wurde. Veranstaltet wurde dieser gut besuchte Begegnungstag erneut von den Abteilungen für Physiologische Psychologie unter Prof. Dr. Stefan Lautenbacher und Klinische Psychologie & Psychotherapie unter Prof. Dr. Hans Reinecker sowie von Prof. Dr. Dietmar Lutz, Chefarzt der Neuro-Rehaklinik Bad Orb. Die Schirmherrschaft übernahm die Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP). Dietmar Lutz war es zudem gelungen, zahlreiche Firmensponsoren für den Neuropsychologie-Tag zu gewinnen.

Die Parkinsonerkrankung – Schnittpunkt zwischen Neurologie und Neuropsychologie

Ein Verwaltungsrat und – passend zum Schwerpunktthema – schmerzende Bandscheiben waren Schuld am kurzfristigen Ausfall der ersten beiden Referenten, Prof. Dr. Thomas Jahn und Prof. Dr. Friedel Reischies, so dass die Themen Demenz und Delir leider ausfallen mussten. Dietmar Lutz sprang ein und berichtete anschaulich über neurologische und neuropsychologische Aspekte des Morbus Parkinson. Diese Erkrankung ist vor allem durch motorische Ausfallerscheinungen wie Zittern und Muskelsteifigkeit gekennzeichnet, hinzu kommen neuropsychologische Defizite, zum Beispiel in der räumlichen Orientierung und im Wortfluss. Einer aktuellen Studie zufolge treten diese neuropsychologischen Probleme bei 90 Prozent der Erkrankten auf. „Eine Zahl, die mich überrascht hat“, äußerte Professor Lutz.

Hintergrund der Erkrankung ist ein Mangel an einem Überträgerstoff (Transmitter) im Gehirn, das so genannte Dopamin. Neben der sorgfältig gewählten Medikation sollten die Betroffenen auch nichtmedikamentöse Verfahren erhalten, wie Krankengymnastik und Sprachtherapie. Liegt zusätzlich eine depressive Symptomatik vor, was oft der Fall ist, stellt die Psychotherapie eine wichtige weitere Maßnahme dar. Die Suizidrate bei Morbus-Parkinson–Patienten liegt bei fünf Prozent, entsprechend eindringlich mahnte Lutz: „Die Depression behandeln kann lebensrettend sein.“

Neurobiologie der Exekutivfunktionen – State of the Art-Lecture

Prof. Dr. Klaus Lange von der Universität Regensburg stellte in der Folge die neurobiologischen Grundlagen von Exekutivfunktionen vor. Hierbei geht es um die Fähigkeit, Handlungen zu planen, also ein übergeordnetes Ziel, etwa eine Prüfung zu bestehen, mit bestimmten Teilschritten anzustreben. Dabei ist es wichtig, für dieses Ziel ungeeignete Handlungen, wie zum Beispiel Fenster putzen, zu unterdrücken. Professor Lange erläuterte die wesentlichen Aspekte dieses Funktionsbereichs und stellte wichtige Untersuchungsergebnisse zur Rolle eines speziellen Gebiets im Gehirn, des sogenannten Nucleus caudatus, vor. Studien mit bildgebenden Verfahren konnten zeigen, dass dieses Kerngebiet an höheren Problemlöseprozessen beteiligt ist.

Schwerpunktthema „Schmerz“

Prof. Dr. Hermann Handwerker aus Erlangen brachte es gleich zu Beginn seines Vortrags zum Thema „Zentrale Verarbeitung von Schmerz“ auf den Punkt: Ohne unser Gehirn könnten wir keine Schmerzen empfinden, denn erst die zentrale Verarbeitung macht den Schmerz zum Schmerz. Handwerker erläuterte Phänomene veränderter Schmerzwahrnehmung wie Hyperalgesie, bei der ein eigentlich nicht schmerzhafter Reiz, zum Beispiel eine leichte Berührung der Haut, plötzlich als schmerzhaft erlebt wird. Hier spielen offensichtlich Aspekte der Verarbeitung im zentralen Nervensystem eine entscheidende Rolle. Der Referent wies auf einen wichtigen Aspekt hin: „Es gibt kein Schmerzzentrum“, wie man in früheren Zeiten angenommen hat, vielmehr werden Reize in einem neuronalen Netzwerk verarbeitet. Welche Bereiche des Gehirns an dieser Verarbeitung maßgeblich beteiligt sind, wird mit Hilfe funktioneller Bildgebung, etwa der Magnetresonanztomographie, zunehmend erforscht. In einer eigenen Studie stieß Handwerker vor kurzem auf ein spannendes Phänomen: Er ließ Probanden leicht schmerzhafte Reize erleben und untersuchte, wie stark die schmerzverarbeitenden Gehirnareale aktiviert wurden. In einem zweiten Durchgang mussten die Probanden zusätzlich die subjektiv erlebte Stärke des Schmerzes auf einer Skala einschätzen, und wieder wurde ermittelt, in welchen Ausmaß die Gehirnareale Aktivität zeigten. Handwerker berichtet: „Wenn man sich aktiv mit dem Schmerz beschäftigt, ist die kortikale Aktivierung erheblich stärker!“ Die objektive Reizstärke war dabei in beiden Durchgängen gleich. Sein Resumée zum Stand der Forschung auf diesem Gebiet: „Ich denke, dass wir mit diesem Typ Forschung ziemlich am Anfang stehen, aber es macht Spaß!“

Weshalb das Thema Schmerz im Zusammenhang mit demenziellen Erkrankungen interessant und wichtig ist, erläuterte dann Dr. Miriam Kunz aus Bamberg. Vergleicht man den Schmerzmittelbedarf älterer Krankenhauspatienten ohne Demenz mit dem Verbrauch, den Demenzkranke aufweisen, so stellt man fest: Demenzpatienten erhalten weniger schmerzlindernde Medikamente. Es stellt sich bei dieser Datenlage folgende entscheidende Frage, so Kunz: „Haben Demenzpatienten ein vermindertes Schmerzerleben, oder sind sie aufgrund der kognitiven Einbußen einfach nicht mehr in der Lage, ihr Schmerzerleben zu kommunizieren?“ In einer eigenen Studie setzte sie unter anderem ein Verfahren zur Untersuchung der Mimikreaktion auf schmerzhafte Reize ein, als Ergänzung zu subjektiven Schmerzberichten. Das Ergebnis: Es ist wohl davon auszugehen, dass Demenzpatienten sogar ein erhöhtes Schmerzerleben aufweisen, möglicherweise aufgrund gestörter Schmerzhemmungsprozesse, die für eine normale Schmerzverarbeitung sehr wichtig sind. Demenzkranke können über ihr Schmerzerleben aber offensichtlich nicht mehr adäquat berichten. Vor diesem Hintergrund stellt die Tatsache, dass die Betroffenen weniger Schmerzmittel erhalten als kognitiv Gesunde, einen alarmierenden Hinweis auf eine Schmerzmittelunterversorgung dieser Personengruppe dar. Kunz mahnte eindringlich: „Alternative Schmerzerfassungsmethoden sind dringend erforderlich, um eine ausreichende Schmerzmittelversorgung sicher zu stellen!“ Beobachtungsverfahren durch Angehörige oder Pflegepersonal, zum Beispiel die Einschätzung der Schmerzmimik oder auch Lautäußerungen, stellen eine solche wichtige alternative Methode dar.

„Wie wichtig ist eigentlich das zentrale Geschehen für das Schmerzerleben?“

Anknüpfend an Hermann Handwerkers Ausführungen brachte der Gastgeber Stefan Lautenbacher den Zuhörern näher, warum „Schmerz letztendlich ein zentrales Geschehen“ ist. Das Schwerpunktthema seines Vortrages war die Wechselwirkung zwischen Aufmerksamkeit und Schmerz: Je nach Situation kann Aufmerksamkeit entweder schmerzverstärkend wirken, oder aber schmerzdämpfend! Wie ist das zu erklären? Die Fokussierung auf den Schmerz kann nützlich sein, um den Schmerzreiz besser einordnen zu können und ihm so die Bedrohlichkeit zu nehmen. Ablenkung zur Schmerzlinderung gelingt nur dann sicher, wenn der ablenkende Reiz auch stark genug ist, um eine „kognitive Konkurrenz“ zu erzeugen.

Umgekehrt kann Schmerz auch die Aufmerksamkeit beeinflussen: Insbesondere phasische Schmerzen (etwa akute Zahnschmerzen) können sich ziemlich negativ auf die Aufmerksamkeitsleistungen einer Person auswirken. Nicht so sicher ist diese Wirkung bei chronischen Schmerzen. Hier geht man eher davon aus, dass die Schmerzen indirekt Einfluss auf die Aufmerksamkeitsleistungen haben, indem sie Schlafstörungen oder Depressionen mit sich bringen.

Mit speziellen Aspekten des Schmerzerlebens beschäftigten sich Prof. Dr. Matthias Keidel aus Bayreuth und sein Kollege Dr. Günther Fritsche (Uniklinik Essen): Schmerz nach Schlaganfall und Schädel-Hirntrauma beziehungsweise chronische Kopfschmerzen waren Themen der beiden Fachvertreter. Professor Keidel sensibilisierte die Zuhörer für das Problem falscher Lagerung von Schlaganfallpatienten: Schmerzen entstehen bei diesem Personenkreis oft durch Fehlbelastungen, weil beispielsweise der gelähmte Arm bei Patienten im Rollstuhl seitlich schlaff herunterhängt und so zu Schulterschmerzen führt.

Auf das erschreckende Ausmaß chronischer Kopfschmerzen machte Dr. Fritsche aufmerksam: Weltweit sind circa drei Prozent der Bevölkerung betroffen, das heißt, diese Personen leiden an mindestens 15 Tagen im Monat an Kopfschmerzen. Besonders brisant ist, dass in Zweidritteln der Fälle Grund für die Beschwerden der Übergebrauch von schmerzlindernden Medikamenten ist! Wie kann den Betroffenen mit medikamenteninduziertem Kopfschmerz geholfen werden? „Alle Schmerzmittel müssen abrupt abgesetzt werden“, so Fritsche. Erlaubt ist allerdings eine Überbrückungsmedikation. Unverzichtbar ist die psychologische Betreuung der Patienten, damit diese der enormen Belastung standhalten und einen adäquaten Umgang mit ihren Schmerzen und schmerzlindernden Medikamenten lernen können.

Bei chronischen Schmerzerkrankungen ist das Ziel der psychologischen Schmerztherapie nicht die (unerreichbare) Beseitigung der Schmerzen, sondern „Wege zu finden, wie man mit Schmerzen gut umgehen kann, die Intensität des Schmerzes zu reduzieren und ein Leben mit dem Schmerz zu lernen, der den Alltag des Patienten nicht lähmen darf“, wie Professor Lautenbacher zusammenfasste. Die psychologische Schmerztherapie leistet hierbei einen wesentlichen Beitrag.

Dem Neuropsychologie-Tag folgten am Samstag zwei Workshops des Centrums für Integrative Psychologie (CIP), die ebenfalls dem Schwerpunktthema „Schmerz“ gewidmet waren.