Später heiraten - früher arbeitslos?
Welchen Einfluss hat der verschärfte globale Wettbewerb auf unser tägliches Leben? Fünf Jahre lang befasste sich das Team um Professor Hans-Peter Blossfeld vom Lehrstuhl Soziologie I der Universität Bamberg mit dieser Frage. Jetzt ist das soziologische Forschungsprojekt "Globalife" abgeschlossen - mit überraschenden Ergebnissen: Zu den Verlierern der Globalisierung gehört die oft als dynamisch und flexibel dargestellte Jugend. Und während viele Männer vor dem Wettbewerbsdruck noch geschützt sind, können Frauen unter bestimmten Umständen von der Globalisierung profitieren.
"Verlierer sind die Jugendlichen"
"Uns hat vor allem eines interessiert: Wie wirkt sich die Globalisierung, die Beschleunigung, die zunehmende Unsicherheit der Welt auf unsere Lebensläufe aus", beschreibt Blossfeld die Fragestellung des Projekts. 2,8 Millionen DM investierte die Volkswagen-Stiftung in das Forschungsprojekt, das Blossfeld bei seinem Wechsel an die Universität Bamberg aus Bielefeld mitgebracht hat. 23 Wissenschaftler arbeiteten daran zumindest zeitweise mit, außerdem kooperierte das Team mit knapp 50 Kollegen aus 17 verschiedenen Ländern. Bis heute entstanden im Rahmen des Projekts acht Doktorarbeiten, sieben Diplomarbeiten, drei Habilitationen und zahlreiche Fachartikel.
Vier Bücher, die in nächster Zeit sukzessive erscheinen, fassen jetzt die zentralen Ergebnisse zusammen. Jedes der Bücher widmet sich einer Lebensphase - dem Berufseinstiegsalter, der mittleren Lebensphase bei Männern und Frauen und dem späten Erwerbsleben. Denn abhängig von seinem Alter trifft die Globalisierung jeden unterschiedlich hart. "Die klaren Verlierer des Prozesses sind die Jugendlichen", so Blossfeld. Berufsanfängern fehlt es an Arbeitserfahrung, an Netzwerken, am Schutz, den eine Gewerkschaftsmitgliedschaft bietet. Die Globalisierung trifft sie unvermittelt: Junge Leute erhalten befristete Verträge, verdienen weniger, Hochschulabsolventen müssen sich mit niedrigeren Tätigkeiten anfreunden. Die Folgen liegen auf der Hand: "Wer nicht weiß, ob er nächstes Jahr Arbeit hat, wird die Familiengründung aufschieben." Junge Leute heiraten später und verzichten auf Kinder.
Institutionen filtern die Globalisierung
Relativ geschützt vor den Einflüssen der Globalisierung sind bislang Männer mittleren Alters in mittleren und gehobenen Positionen. Sie stellen den Kern, das personelle Kapital vieler Firmen dar und werden deshalb zuletzt entlassen. Leichter aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden die weniger Gebildeten und ältere Generationen. Doch nicht in allen Ländern trifft der größere Wettbewerb die Menschen gleichermaßen: Sozialversicherungen, Bildungssysteme oder die schützende Hand der Gewerkschaften federn mal mehr, mal weniger stark die Einflüsse ab. Sandra Buchholz, die als Diplom-Soziologin heute im Projekt arbeitet, beschreibt es so: "Die Globalisierung wird "gefiltert", ihr Einfluss hängt von den Institutionen ab, die es in einem Land gibt." In ihren Analysen verglichen die Forscher deshalb systematisch verschiedene Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Schweden, die USA, Ungarn und Polen.
Ein Beispiel für diese institutionelle "Filterung" ist der Kündigungsschutz. In Deutschland sind Arbeiter und Angestellte noch vergleichsweise geschützt vor den Schwankungen und Schocks der Weltwirtschaft. Die andere Seite der Medaille: Arbeitgeber stellen zögerlicher ein, es ist schwieriger, überhaupt an einen Arbeitsplatz zu kommen. In den USA oder in Großbritannien gilt "hire and fire". Dort werden Arbeitnehmer zwar leichter entlassen, finden aber auch schneller eine neue Arbeit. Insbesondere bei Frauen führt das Zusammenspiel von internationaler Globalisierung und nationalen Institutionen zu überraschenden Ergebnissen. "Gefördert durch das Ehegattensplitting schieden viele deutsche Frauen nach der Geburt ihres Kindes aus dem Berufsleben aus", erklärt Sandra Buchholz. Mit der Globalisierung steigt aber die Bedeutung des zweiten Einkommens an, gleichzeitig steigt aber auch das Angebot an flexibleren Arbeitsverhältnissen wie zum Beispiel "400-Euro-Jobs" oder Teilzeitbeschäftigungen - Frauen, denen es nur um einen Zuverdienst für die Haushaltskasse geht, profitieren hier also von den Folgen der Globalisierung. Anders dagegen in Ländern, wo Frauen traditionell ganztags arbeiteten, beispielsweise in Osteuropa, wo einst der Sozialismus die Gleichstellung der Frauen am Arbeitsmarkt förderte. Dort drängen jetzt die Rationalisierungsprozesse die Frauen gerade wieder aus dem Erwerbsleben heraus. Sandra Buchholz bringt es auf einen griffigen Nenner: "Was Frauen am Arbeitsmarkt an Vollzeitbeschäftigung gewannen, geht ihnen mit der Globalisierung wieder verloren."
Bildung entscheidet
Zwei Erkenntnisse sehen die Bamberger Forscher als zentrale Ergebnisse ihres Projekts. Zum einen werde deutlich, dass die Globalisierung eben nicht jedem mehr Chancen und Einkommensmöglichkeiten böte, wie oft behauptet werde, meint Blossfeld: "Wer schwach für den Wettbewerb gerüstet ist, weil er weniger Bildung mitbringt, hat eben keine größere Wahl, sondern eine viel kleinere." Dirk Hofäcker, der sich im Projekt mit den Auswirkungen auf ältere Arbeitnehmer beschäftigt hat, hebt noch ein weiteres Ergebnis hervor: Das Projekt habe gezeigt, dass der Nationalstaat seinen Einfluss bei weitem nicht verloren hat. Nationale Institutionen hinterlassen nach wie vor ihre starken Spuren im Leben der Menschen. "Eine Annäherung der Lebensläufe, eine Konvergenz an ein gemeinsames Muster, wie es viele weissagen, wird es deswegen nicht geben", prognostiziert der Diplom-Soziologe.