Wie Kinder Technik begreifen
Es gibt kaum einen Lebensbereich, in den die Digitalisierung nicht schon Einzug gehalten hätte. Nicht nur das Berufs- und Privatleben Erwachsener stellt sich dieser Entwicklung, sondern auch der Alltag der Kinder. Fünf Milliarden Euro könnten deutschen Schulen dank des „DigitalPakt Schule“ der Bundesministerien der Länder schon bald für eine bessere digitale Ausstattung winken. Aber lösen diese Gelder alle Probleme?
Kindgerechte Konzepte sind gefragt
Ute Schmid, Frauen- und Nachwuchsbeauftragte der WIAI und Inhaberin der Professur für Angewandte Informatik, insbesondere Kognitive Systeme, verneint diese Frage. „Der Digitalen Offensive mangelt es an einer entsprechenden Lehrerausbildung“, stellt die Wissenschaftlerin fest. In den Klassenzimmern sieht sie deshalb vor allem Nachholbedarf bei Konzepten, die den Umgang mit und das Verständnis für Technik fördern.
Dass Ute Schmid sich mit Möglichkeiten befasst, Informatik an Kinder heranzutragen, ist einem Zufall zu verdanken: Im Jahr 2008 bat sie der Kindergarten ihrer Tochter bei der Aktion „Kinder besuchen Arbeitsplätze“ um Unterstützung. Damals stellten sich ihr herausfordernde Fragen: Wie lässt sich bei den Jüngsten ein Interesse für Informatik wecken? Welche Herangehensweisen motivieren? Welche Materialien sind kindgerecht? Zwei Workshops in Kindergärten zum Thema „analoge und digitale Technik“ und das Nachwuchsprogramm I4Kids versuchten erste Antworten zu finden. „I4Kids war die Keimzelle der Forschungsgruppe Elementarinformatik, kurz FELI“, so Ute Schmid.
Beide Seiten der Bildung denken
Gemeinsam mit Prof. Dr. Frithjof Grell vom Lehrstuhl für Elementar- und Frühpädagogik und Prof. Dr. Ute Franz, Professorin für Didaktik der Grundschule, gründete Ute Schmid im Jahr 2015 die interdisziplinär angelegte Forschungsgruppe und erhält mittlerweile auch Unterstützung aus der Psychologie: Mit Katharina Weitz ist eine ausgebildete Erzieherin, Masterabsolventin der Psychologie und Studentin des Masterstudiengangs „Computing in the Humanities“ im Boot. Anja Gärtig-Daugs bringt als promovierte Gesundheitsökonomin Kompetenzen in der empirischen Fragebogenforschung ein.
Das Team entwickelt und optimiert Unterrichtsmaterialien und Lehrkonzepte. Empirische Begleitforschung untersucht parallel die Wirksamkeit der praktischen Maßnahmen und analysiert die Kompetenzentwicklung und Lernmotivation an Vor- und Grundschulen. Mit dieser Verflechtung von Praxis und Theorie und dem Fokus auf frühkindliche Altersgruppen haben die Forschenden Neuland betreten. Denn kindgerecht aufbereitete Informatik soll nicht nur Schülerinnen und Schüler informatisch und medial bilden, sondern zugleich Lehrkräften didaktische Möglichkeiten und Perspektiven an die Hand geben.
Denn nur wenn man beides denke – Lernen und Lehren –, erklärt Ute Schmid, ließe sich digitale Technik sinnvoll in den Unterricht integrieren. „Man darf die Kinder damit nicht alleine lassen“, mahnt sie. Die Forschungsgruppe setzt sich deshalb für eine reflektierte und selbstsichere Nutzung digitaler Medien ein, die ein reines Konsumverhalten überwindet.
Informatik zum Anfassen, Ausprobieren und Lehren
Technik und Medien zu nutzen wissen, aber eben auch verstehen lernen – diesen Kern der Elementarinformatik vermittelte FELI am 9. Oktober gemeinsam mit den Bundesweiten Informatikwettbewerben (BWINF) in einem Workshop. Rund 20 Lehr- und Fachkräfte aller Schultypen, von der Vorschule bis zum Gymnasium, lernten im Rechenzentrum der Universität Bamberg sowohl extern als auch intern entwickelte pädagogische Konzepte kennen und anwenden.
BWINF fördert seit 1980 die Informatikbegeisterung von Kindern und Jugendlichen. Katharina Schuster, wissenschaftliche Mitarbeiterin von BWINF, stellte neben den Informatikwettbewerben das digitale Kursangebot Google CS First vor. Dieses führt Kinder ab neun Jahren durch kreatives Storytelling, Mode- oder Gamedesign an das Programmieren heran. „Kinder gehen sehr instinktiv mit Fragen zu digitaler Technik um“, erklärte Katharina Schuster. Herangehensweisen, die logisches wie kreatives Denken ansprechen und fördern, eigneten sich deshalb besonders gut, um Prinzipien der Informatik zu verstehen.
Eine eigene Entwicklung der Forschungsgruppe Elementarinformatik und zugleich Leihangebot für Kindergärten und Schulen ist die Experimentierkiste. Mit ihrer Hilfe werden Fragen rund um die Informatik mit ‚unplugged‘ Materialien beantwortet. Zum Beispiel vermitteln Legobausteine und Holzklötze Kindern haptisch, was es mit einem Pixel auf sich hat und wie digitale Bilder entstehen. Daneben zeigt eine Sofortbildkamera, was hingegen analog bedeutet. So werden Grundlagen aus verschiedenen Teilbereichen der Informatik spielerisch begreifbar gemacht. Eine von der Forschungsgruppe entwickelte Handreichung für Lehr- und Fachkräfte und ein digitales Schulungskonzept ergänzen die Erfahrungsmaterialien.
Der Austausch unter den Teilnehmenden, der während des Kurses stattfinden konnte, zeigte deutlich, dass die technische Ausstattung von Kindergärten und Schulen alleine nicht ausreicht. „Gerade das Angebot handfester Lehrhilfen und die praktische Einarbeitung in Konzepte hatte Erzieherinnen wie Lehrkräfte in den ausgebuchten Workshop von BWINF und FELI gelockt“, resümierte Ute Schmid.
Ausgezeichnete Forschung mit Zukunftsfragen
Für die Forschungsgruppe Elementarinformatik ergeben sich bei ihrer Begleitforschung in Bildungseinrichtungen immer neue Fragen. Aktuell untersucht sie beispielsweise, ob die Hinführung zu einem kompetenten Umgang mit Medien in Vor- und Grundschulen dazu beitragen kann, soziale und geschlechtsspezifische Bildungsungerechtigkeiten abzubauen. Erste Ergebnisse hierzu sind Ende 2018 zu erwarten. Mit ihrem Engagement für Zukunftsfragen dieser Art schaffte es die Forschungsgruppe, in der Kategorie „frühe Bildung“ für den Deutschen Arbeitgeberpreis 2017 nominiert zu werden. Erst kürzlich wurde FELI zudem mit einer Förderung der Joachim-Herz-Stiftung bedacht. Die Gelder ermöglichen dem Team rund um Ute Schmid nun die Einrichtung eines Digitalen Lernlabors.