„Die Kritik geht oft am Text vorbei“
Klassenfahrt nach Klagenfurt: Bamberger Studierende beobachteten den Literaturwettbewerb in Klagenfurt aus nächster Nähe und entwickeln sich zu einer eigenen Jury. Der Bachmannpreis zählt zu den renommiertesten deutschsprachigen Literaturpreisen.
Einige der Bamberger Studierenden scheinen etwas nervös zu sein, als es kurz vor Aufzeichnungsbeginn der ersten Lesung für den Bachmannpreis auf einmal ganz leise wird im ORF-Theater. Sie rutschen im Scheinwerferlicht unruhig auf ihren Stühlen herum, während die Kameramänner behäbig ihre Wagen in Position bringen und die roten Ziffern einer Uhr die Sekunden bis zum Beginn der Sendung zählen.
Eigentlich haben die Studierenden keinen Grund zur Aufregung. Die gut 40 angehenden Literaturwissenschaftler sind auf Exkursion in Klagenfurt, und was hier von ihnen verlangt wird, ist eine ihrer Spezialdisziplinen: Das Publikum müsse bei der Liveübertragung einzig und allein möglichst interessiert schauen, sagt der Moderator Dieter Moor. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren sind die 32. Tage der deutschsprachigen Literatur auf zwei anstelle von drei Lesungstagen komprimiert.
Statt 18 lesen dieses Jahr 14 Autoren. Und auch die Jury ist kleiner geworden. Insgesamt sieben Literaturwissenschaftler, Kritiker und Autoren besetzen die weißen Stühle auf der Bühne. Ihr Urteil ist gefürchtet. Eine Autorin sei letztes Jahr so heftig kritisiert worden, dass sie bis heute Schreibprobleme habe, munkelt man in Schriftstellerkreisen.
Verliebt in den Text
Doch dieses Jahr scheinen derartige Traumata auszubleiben. Im Gegenteil: Die Juroren diskutieren vorzugsweise, wer warum in welchen Text verliebt sei. Und sie garnieren ihre Kritik mit Geschichten aus ihrer eigenen Vergangenheit. Wie die Protagonistin aus Markus Orths’ Geschichte, sei auch Jurorin Ursula März einmal Zimmermädchen gewesen, und Alain Claude Sulzer meint, seine eigenen Erfahrungen mit Brandkatastrophen im Text von Sudabeh Mohafez wieder zu finden. „Die Kritik geht oft am Text vorbei“, sagt die Studentin Maria Weise. Und auch Stefan Rehm findet die Urteile „eher befremdlich“. So kommt es, dass sich die Exkursionsteilnehmer im Laufe der Lesungen zu einer eigenen Jury entwickeln. Ob im Bus, während des Essens oder beim Schwimmen im Wörthersee – überall sind die Worte „Text“ und „Literatur“ zu hören.
Zu besprechen gibt es vieles: Ist Clemens J. Setz’ skurrile Geschichte „Die Waage“ besser, oder „Kein schöner Land“ von Patrick Findeis? Heike Geißler findet bei den weiblichen Teilnehmerinnen mit ihrer Engelsgeschichte Anklang, bei den männlichen Studenten mit ihrer süßen Nase. Diskussionsbedarf gibt es auch bei Pedro Lenz, dessen Geschichte „Inland“ bei der Jury nicht so gut ankommt wie bei den Studierenden. Bei Thorsten Palzhoff können sich die Germanisten bei einem Mittagessen persönlich erkundigen, wie er das Lesen und die Kritik seiner Version einer Wendegeschichte „Livia“ empfunden habe. Als ein „Betriebsausflug der Literaturszene“ bezeichnet der Initiator der Exkursion, Prof. Dr. Friedhelm Marx, die Fahrt nach Klagenfurt. Die Studierenden hätten dabei nicht nur die Möglichkeit, 14 Autoren und ihre Texte kennen zu lernen, sondern könnten sich zudem in familiärer Atmosphäre einen Einblick in den Literaturbetrieb verschaffen.
Einblicke in den Literaturbetrieb
Gelegenheit dazu gibt es bei einem Seminar mit der Literaturagentin Karin Graf und beim Empfang des Bürgermeisters von Klagenfurt. Am Ende des Lesemarathons sind die Studierenden zwar müde und ihre Aufnahmenfähigkeit ist erschöpft, aber anmerken lassen sie es sich nicht – Dieter Moor dürfte also zufrieden sein. Es reicht sogar noch zu einer Abstimmung: Während die Klagenfurter Juroren den Bachmannpreis an Tilman Rammstedt vergeben, der in einer rasanten Pointenjagd ein Enkel-Großvater-Verhältnis beschreibt, siegt bei der Bamberger Jury Thorsten Palzhoff.
Erstveröffentlichung im Fränkischen Tag