Kindsmörderin Medea – keinmal anders
Der griechische Mythos Medea ließ schon Euripides, Hans Henny Jahnn und Christa Wolf keine Ruhe. Zurzeit beschäftigen sich Bamberger Germanistikstudierende in Seminaren mit ihm und seinen literarischen Umsetzungen. Anlass genug eine Aufführung der Euripides-Tragödie in Frankfurt zu besuchen. Ein Teil der Fahrt wurde aus Studienbeiträgen finanziert.
Junge Medea-Kenner in Abendgarderobe stehen am 29. November gebannt vor den verschlossenen Metalltüren eines Theatersaals im „schauspielfrankfurt“. Das Stadttheater unweit des Börsenviertels gelegen, wirkt kalt und steril, die Atmosphäre erhöht die Erwartung auf erwärmende Leistungen der Schauspieler. Plötzlich öffnet sich eine Tür – ein junger Mann tritt heraus und beginnt mit bedächtiger Stimme zu sprechen: „Medea. Wir führen heute Abend Medea nach Euripides auf, Sie werden merken, dass die Bühne über eine Rampe zum Zuschauerraum offen gestaltet ist, das Publikum soll in das Stück integriert werden ...“ , wer denkt da nicht sofort an einen einbezogenen Chor in der griechischen Tragödie – die Stimme der Gesellschaft – könnten die Zuschauer das sein?
Der antike Medea-Mythos ...
Der junge Mann – er gibt sich als Dramaturg zu erkennen, setzt seine Erzählung der Vorgeschichte der Medea-Tragödie fort. So sei Medea die Tochter des Königs Aietos von Kolchis und Meisterin der Zauberkünste. Als der Argonaut Iason die Insel Kolchis aufsucht, um das Goldene Vlies zu holen, verlieben und verbünden sich beide. Medea verlässt ihre Heimat und ihre Familie, schließt sich in unendlicher Liebe dem Griechen an und geht mit ihm zunächst nach Iolkos, dann nach Korinth unter die Obhut des Königs Kreon. Doch genau dort, wo sie sich in Frieden glauben, reißt das enge Band der beiden - Iason verrät Medea sowie ihre zwei gemeinsamen Söhne für eine Heirat mit der Königstochter.
Mit dieser Vorgeschichte und dem Fortgang der Handlung haben sich Studierende der Literaturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg eingehend auseinandergesetzt. Im Proseminar „Literatur und Mythos“ und im Einführungsseminar II, welches sich speziell mit dem Mythos Medea und seiner literarischen Verarbeitung seit Euripides auseinandersetzt, wurde das Stück kontrovers diskutiert, doch man ist sich über eines einig: „Die Figur der Medea hat bis heute nicht an Aktualität verloren“, erklärt Dozent Dr. Martin Beyer, Organisator der durch Mittel aus Studienbeiträgen geförderten Fahrt nach Frankfurt. Motive wie Fremdenfeindlichkeit, die Rolle der Frau und Kindsmord seien heute ebenso aktuell wie im fünften Jahrhundert vor Christus, als Euripides` Fassung entstand.
... und seine Inszenierung in Frankfurt
Zurück ins Theater, hinein ins Stück: Kaum haben alle Zuschauer im halbrunden Vorstellungsraum Platz genommen, beginnt die Aufführung: Eine hagere Frau in weißem Hemd, mit zerzausten Haaren und großen, ängstlichen Augen läuft verstört auf einer imaginären Linie immer wieder von links nach rechts über die mit lückenhaftem Parkett ausgelegte Bühne. In ihrem sturen Zorn kollidiert sie ohne Rücksicht auf ihren eigenen Körper mit schwarzen Wänden, sie flucht laut und hysterisch ins Nichts. Medeas Söhne, gekleidet wie kleine Adelige stehen direkt vor dem Publikum und starren leer in den Raum, ihre Hände halten sich einander verkrampft fest, das gesamte Stück über bleiben sie stumm. Ständig sind sie auf der Bühne, stets als Beiwerk, wenn nicht körperlich anwesend, dann inhaltlich. Sie stehen im Mittelpunkt des Streits zwischen Medea und Iason: Er habe die Tochter Kreons nur zur Frau genommen, um seinen Söhnen mit adeligen Verwandten eine Zukunft bieten zu können. Medea verurteilt Iason dafür und denkt nur an eines, sie will Rache. Rache an Kreon und Rache an dessen Tochter, Rache vor allem aber an ihrem ehemaligen Gatten. Ihr Plan ist tödlich, tödlich für alle Beteiligten nur nicht für jenen, den es am Härtesten treffen soll – den Vater ihrer Kinder, Iason.
Ambivalente Eindrücke
Am Ende des Stückes sitzt Iason, mal verzweifelt um seine von der Mutter ermordeten Söhne weinend in Anzug und Krawatte auf dem Boden, mal läuft er nervös wie anfangs Medea gegen die Wände. Sie nahm ihm alles was er liebte, ohne Rücksicht auf das eigene Fleisch und Blut. Muttergefühle? Jene gab es nicht, jedenfalls nicht in dieser Inszenierung. „Der entscheidende Monolog Medeas unmittelbar vor der Kindstötung war verheerend gekürzt, wie soll der Charakter so seine Sänfte und Mütterlichkeit entwickeln?“ bemerkten Raphael Tirschmann und Sarah Ziegler, Teilnehmer des Proseminars im Anschluss an das Stück. Äußerst gelungen habe sich dagegen der hinter einer Plexiglasscheibe platzierte, aus Frauen bestehende Chor, eingemischt. Der Zuschauer konnte sich in diesen Scheiben spiegeln. Gewiss auch in den Worten des Chores, das Publikum selbst wurde jedoch wider anfänglicher Erwartung leider nicht in das Stück einbezogen.