Entstehung und Untergang einer keltischen Siedlung
Bereits im 19. Jahrhundert wurden erste Grabungen in dem südlich der Donau gelegenen Ort Manching durchgeführt. Heute gehört die keltische Siedlung, die man dort fand, zu den am besten erforschten der Eisenzeit. Umfangreichere Ausgrabungen begannen 1955 unter Werner Krämer im Auftrag der Römisch Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main, die seit 1984 von Prof. Dr. Susanne Sievers geleitet werden. In ihrem Vortrag am 9. November 2010 stellte sie die wechselvolle Geschichte der Siedlung und die Ergebnisse der Ausgrabungen von 1996 bis 1999 vor.
Warum ist gerade diese Lage geeignet für eine solch große Siedlung? Sievers erläutert, dass Manching in der Eisenzeit eine Art „Scharnierfunktion zwischen Ost und West, Nord und Süd“ inne hatte. Grund dafür war ein Feuchtgebiet um den Ort, der selbst auf einer Niederterrasse der Donau lag. Wer das Moor durchqueren wollte, kam an Manching vorbei. Eine erste offene Siedlung, die sich in den folgenden 100 Jahren zu einer lockeren Bebauung mit kleineren Wohnvierteln und Getreidespeichern entwickelte, ist schon um 300 v. Chr. nachweisbar. Pfeilerrückstände und Erdverfüllungen geben über die Architektur der Gebäude Auskunft.
Bis ca. 100 v. Chr. entwickelte sich Manching zu einer bedeutenden, befestigten Stadt – einem Oppidum. Es wurden Tore gebaut, um sich vor Feinden zu verteidigen und es etablierten sich zweigeschossige Kultbauten und ein Handwerkerviertel. Die vielen Bauphasen, die durch die Grabungen auszumachen sind, verdeutlichen, dass es keine exakte Ortskonstanz gibt. Gebäude wurden abgerissen und Neues errichtet, „wir haben es ständig mit Baustellen zu tun“, beschreibt Sievers die historische Situation.
Die Siedlung als Großstadt und kultisches Zentrum
Zu den ältesten Funden der Grabungen gehört ein kleines „Kultbäumchen“ – ein mit Blattgold überzogener Eichenzweig. Ein bisher einzigartiger Gegenstand, doch „welche Funktion er hatte, wissen wir nicht“, muss Sievers einräumen, „aber er unterstützt einen Schwerpunkt, der mit Kult zu tun hat“. Ein weiterer wichtiger Fund ist ein Schatz mit 483 Goldmünzen. Doch deren Prägung ist für die Gegend untypisch und eher in Mähren und Böhmen zu verorten. Wie also sind die Goldmünzen nach Manching gekommen? Wurden sie von zugewanderten Siedlern mitgebracht? Von ihr angeregte Skelettuntersuchungen unterstützen eine solche Theorie, sagt Sievers.
Um 80 v. Chr. änderten sich die Funde plötzlich grundlegend. Es gibt keine Großbauten mehr, stattdessen findet man verbrannte Getreidevorräte, eine Menge verbogener Waffen und Pfeilspitzen mitten in der Siedlung. Es könnten Hinweise für eine Krisenzeit sein, führt Sievers aus; vieles deute auf einen vernichtenden Kampf. Es folgten wohl der wirtschaftliche Niedergang und die allmähliche Auflösung der Siedlung. Was genau geschehen ist, bleibt aber ein Geheimnis.
Neue geophysikalische Untersuchungen in Manching haben gezeigt, dass es um die schon vorhandenen Grabungen noch viel zu erforschen gibt. – Und dabei sieht man mit den angewandten technischen Methoden sogar schätzungsweise nur die Hälfte von dem, was tatsächlich im Boden stecken könnte. Ausgrabungen sind deshalb auch im 21. Jahrhundert unerlässlich, appellierte Sievers am Ende an die angehenden Forscher. Denn jeder ergrabene Fund lässt die Vergangenheit deutlicher scheinen und bringt uns eine untergegangene Kultur ein Stück näher.
Einladung zu weiteren Vorträgen
Das archäologische Kolloquium ist nicht nur für fachinterne Experten eine spannende Veranstaltungsreihe, gibt sie doch Einblicke in neuste Forschungsergebnisse zu unserer Geschichte. Die Reihe setzt sich mit sieben weiteren Vortragsabenden fort, die zweiwöchentlich dienstags um 19.15 Uhr im Hochzeitshaus am Kranen 12 im Raum 201 stattfinden.