Die USA – Freund oder Feind?
„Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“ „Ein Terroranschlag in den USA ist Dank des Irakkriegs unwahrscheinlicher geworden.“ – Wer glaubt denn sowas; und wer nicht? Ein Verbundprojekt des Bamberger Lehrstuhls für Politische Soziologie und des Lehrstuhls für Vergleichende Verhaltensforschung der Universität Mannheim möchte es genauer wissen und untersucht die Meinungen von Bürgern und Eliten in Deutschland und den USA.
„Eigentlich gibt es unzählige Daten zum Thema ‚Außen- und Sicherheitspolitik‘. Trotzdem ist bisher nur sehr wenig über die Einstellungen der deutschen Bürger zu diesem Themenkomplex bekannt“, begründet Matthias Mader die Entstehung des Forschungsprojekts „Außen- und sicherheitspolitische Orientierungen in den USA und der Bundesrepublik. Ein Vergleich von Strukturen, Dynamik und Determinanten auf Bevölkerungs- und Elitenebene“.
Unter den prüfenden und wachenden Augen von Prof. Dr. Harald Schoen, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Soziologie, möchte er in vorerst drei Jahren herausfinden, wie die deutsche Bevölkerung auf die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung im Zeitraum von 1990 bis heute reagiert hat. Interessant ist für ihn dabei unter anderem der Prozess der politischen Repräsentation: Und was denken die politischen Entscheidungsträger zu all dem? Achtet die Politik auf die Einstellungen der Bevölkerung? Oder übernehmen die Bürger die Positionen der Entscheidungsträger? Während in Bamberg zunächst vor allem die Einstellungen auf deutscher Seite untersucht werden sollen, übernimmt der von Prof. Dr. Hans Rattinger geleitete Mannheimer Standort den Gegenpart innerhalb dieses Projekts, also die Haltung der US-Bürger zur amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik.
Schon oft stand die Bundesrepublik vor ungewöhnlichen Zerreißproben, was die Kommunikation ihrer außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen betrifft. Warum also fiel die Wahl auf den im Vergleich eher unspektakulär anmutenden Zeitraum der letzten 20 Jahre? „So unproblematisch waren die letzten zwei Jahrzehnte gar nicht“, weist Harald Schoen die Frage zurück. „Immerhin haben sie uns mit dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges eine Zeitenwende beschert. Die klare, bipolare Welt ist einer ‚neuen Unübersichtlichkeit‘ gewichen. Gerade im Verhältnis zwischen den USA und Deutschland stellt sich jetzt die spannende Frage, ob sich beide Länder ohne den großen gemeinsamen Feind auseinanderleben.“
Einstellungen als kontextabhängige Momentaufnahmen
Die USA – Freund oder Feind? Wie in vielen anderen Fragen zur Außen- und Sicherheitspolitik auch, gehen die Meinungen der Bürger hier weit auseinander. Die Einstellungsforschung bietet eine Reihe unterschiedlicher Ansätze, um diese Unterschiede zu erklären. Neuere, kognitionspsychologisch informierte Ansätze gehen beispielsweise davon aus, dass Einstellungen in gewisser Weise Momentaufnahmen sind. Wie man zu etwas oder jemandem steht, hängt demnach davon ab, welche Eindrücke, Vorstellungen, Situationen oder Ereignisse zu einem bestimmten Zeitpunkt aus eigener Perspektive gerade besonders wichtig sind.
Ob die USA von den deutschen Bürgern als kriegslüstern oder als friedensorientiert angesehen werden, kann dann davon abhängen, ob der US-Präsident in der Tagesschau als Kampfpilot auf einem Flugzeugträger zu sehen ist oder bei einer Preisverleihung in Stockholm. Apropos kriegslüstern: Ist es ein „Krieg“, den die Bundeswehr in Afghanistan führt oder nicht? Aus kognitionspsychologischer Perspektive ist davon auszugehen, dass auch politische Rhetorik einen Effekt auf die Einstellungen der Bevölkerung in dieser Sache hat: Denn mit Krieg werden wahrscheinlich weniger erfreuliche Dinge assoziiert als etwa mit einer „Friedensmission“.
Politik im Spannungsfeld von Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Psychologie. Komplexe Fragestellungen erfordern umfassende Erhebungsverfahren, deren Ergebnis mehr oder weniger übersichtliche Datensätze sind. „Stellen Sie sich einfach einen Steinbruch vor“, erklärt Matthias Mader die erste Projektphase. „Darin befinden sich sehr viele bereits bestehende Umfragen zum Thema Außen- und Sicherheitspolitik in unserem Untersuchungszeitraum. Es geht nun erst einmal darum, diese an Tageslicht zu befördern und zu schauen, welche Qualität sie haben und was damit anzufangen ist. Denn heute werden in der Einstellungsforschung eben andere Fragen diskutiert als zum Erhebungszeitpunkt.“
Die Mühen des Untergrunds
Die beiden Wissenschaftler müssen nun jeden Stein, also jeden bestehenden Datensatz einzeln bearbeiten, abklopfen, katalogisieren, harmonisieren, vergleichen. Erst mit einer Neuordnung können sie sich eine für ihre Einstellungen passgenaue Struktur schaffen. „Das bedeutet richtige Fleißarbeit: Hart, unerfreulich, aber sehr wichtig“, beschreibt Mader die aktuelle Situation. 2012 bis 2013 ist die zweite Projektphase geplant, in der die beiden von der retrospektiven in die prospektive Betrachtungsweise umschwenken. Eine eigene, genau auf die Bedürfnisse der Bamberger und Mannheimer Forscher zugeschnittene Umfrage soll die Basis für eine stärkere theorie- und grundlagenorientierte Arbeit bilden.
Euro-Sinkflug, Afghanistan-Einsatz, israelischer Siedlungsbau im Gaza-Streifen: Wie nehmen die Bürger die deutsche Außen-und Sicherheitspolitik wahr? Ändern sie ihre Einstellungen, gerade auch zum großen Bruder USA? Entsprechen sich die Einstellungen von Bevölkerung und politischer Elite? Nicht zuletzt die mediale Aufmerksamkeit, die diesen Fragen zuletzt zugekommen ist, unterstreicht die Bedeutung dieses Themas. Wenn der Kerngedanke von Demokratie ist, dass das Volk der Souverän ist, dann kommt den Einstellungen der Bürger eine zentrale Bedeutung zu. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts von Matthias Mader und Harald Schoen versprechen, für das Feld der Außen- und Sicherheitspolitik wichtige neue Erkenntnisse zu liefern.