- Gertrud Pechmann

Die Politik folgt keinen religiösen Spielregeln

Ein Symposium mit Theologen, Menschenrechtlern und ?gemäßigten Islamisten? dis

Sind Glaube und politisches Engagement vereinbar? Sollen muslimische Minderheiten eine Teilautonomie erhalten? Ist in islamischen Ländern eine Gleichberechtigung von Mann und Frau denkbar? Ein Syposium an der Uni Bamberg diskutierte über den "Homo politicus".

Spätestens seit Samuel P. Huntingtons "Kultur-Knall-Theorie" ist klar: Die Völker dieser Welt müssen einen Dialog miteinander führen, wenn sie weiterhin in Frieden leben wollen. Die wissenschaftliche Verständigung zwischen Ost und West hat sich auch das Graduiertenkolleg "Anthropologische Grundlagen und Entwicklungen im Christentum und Islam" an der Otto-Friedrich-Universität zum Ziel gesetzt. Beim jüngsten Symposium dieser Forschergruppe stand der Mensch in seiner Eigenschaft als Staatsbürger im Mittelpunkt.

Das Recht, Rechte zu haben

Christen haben sich seit früher Zeit politisch engagiert; zunächst notgedrungen, sollten doch auch sie dem Kaiser Steuern zahlen; später als Beamte im römischen Staat. Nachdem das Christentum Staatsreligion wurde, waren Kirche und Staat besonders eng verbunden. Das änderte sich spätestens mit der Säkularisation. Dennoch, so Prof. Karl-Wilhelm Merks (Tilburg), bleibe bis heute ein Grundproblem für alle bekennenden Christen, die sich politisch betätigten: Die Politik folge keinen religiösen oder moralischen Spielregeln. Deshalb müsse jeder Christ für sich selbst die moralische Grenze definieren.

Im osmanischen Reich gab es dagegen Anfang des 20. Jahrhunderts ein interessantes politisches Experiment, über das der Bamberger Islamwissenschaftler Cevat Kara berichtete: Durch moralische und politische Erziehung sollten Menschen in der Jungtürkenzeit zu loyalen Staatsbürgern erzogen werden. Doch Patentrezepte für die Achtung vor der Würde jedes Einzelnen verbunden mit gleichen Rechten und Pflichten im Staat gibt es nicht - das machte der Vortrag von Prof. Dr. Christa Schnabl (Wien) deutlich, die über die Voraussetzungen des Bürgerstatus nach Hannah Arendt sprach. Für Hannah Arendt, die den Schrecken des Dritten Reiches selbst erdulden musste, ist das "Recht, Rechte zu haben" Voraussetzung für alle weiteren Menschenrechte.

Doch nicht erst beim Einzelnen, sondern schon bei den Vorstellungen eines idealen Staates gingen die Meinungen stark auseinander. Besonders deutlich wurden die scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Abend- und Morgenland bei einem Streitgespräch zwischen PD Dr. Heiner Bielefeld vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin und Prof. Dr. Azzam Tamimi vom Institute of Islamic Political Thought in London.

Teilautonomie für muslimische Minderheiten?

Für Bielefeld ist die Integration jeder gesellschaftlichen Gruppe nur auf der Grundlage der Religionsfreiheit möglich. Dabei stehe der Staat den verschiedenen Religionen respektvoll, aber distanziert gegenüber. Richtig angewendet, ziehe das politische Prinzip der Religionsfreiheit damit auch die Anerkennung jedes Menschen als gleichwertig nach sich, betonte Bielefeld.

Prof. Tamimi, der sich selbst als "gemäßigten Islamisten" bezeichnete, wollte die Thesen Bielefelds nicht so stehen lassen. Nur in einem war er sich mit seinem Vorredner einig: Muslimische Minderheiten in Europa könnten durchaus in einem säkularen Staat leben. Doch hier endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Tamimi forderte für muslimische Minderheiten eine Teilautonomie, so zum Beispiel im Familienrecht. Und in Ländern, in denen Muslime die Bevölkerungsmehrheit stellen, sollte ihnen auch die Staatsform angepasst sein. "Diesen Menschen sollte freigestellt sein, sich für einen Staat mit muslimischer Gesetzgebung und Rechtsprechung zu entscheiden", betonte Tamimi, der eine Demokratie islamischen Zuschnitts für möglich hält.

Bürger zweiter Klasse

Allein, seine Zuhörer konnte er mit diesen Thesen nicht überzeugen. Heiner Bielefeld fragte nach, wie ein muslimischer Staat mit Atheisten oder Konvertiten umgehen wolle, die sich nicht an die Scharia gebunden fühlten. Sollten diese etwa Bürger zweiter Klasse sein? Prof. Dr. Rotraud Wieland, Inhaberin des Bamberger Lehrstuhls für Arabistik und Islamkunde, erinnerte an die höchst unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten des Korans und das Fehlen eines für alle Muslime verbindlichen Lehramts. Und der Moraltheologe Karl-Wilhelm Mercks sprach die in vielen muslimischen Ländern praktizierte Ungleichbehandlung von Männern und Frauen an.

Zumindest auf die letzte Frage reagierte der islamische Gesprächspartner unerwartet progressiv. Die Vorrangstellung des Mannes gehöre in eine Epoche, in der die gesamte Verantwortung für den Haushalt den Männern zugeschrieben worden sei. Da sich die Situation heute anders darstelle, sei er in diesem Punkt für die Gleichberechtigung der Geschlechter.