Zwischen Bildungsreform und Propaganda
Lieber Herr Ruppert, Sie waren mit Staatsminister Dr. Heubisch, Vertretern der Fachhochschulen, zwei China-Experten und den Vertretern des Ministeriums im Rahmen einer sogenannten kleinen Delegationsreise in China. Welche Eindrücke haben Sie mitgebracht?
Die Eindrücke, die wir auf dieser Dienstreise mit dem Wissenschaftsminister bekamen, waren geprägt von offiziellen Sichtweisen. Bei meinen früheren Reisen nach China, zum Aufbau von Forschungskontakten für die Universität Bamberg, waren wir deutlich weniger unter Beobachtung entsprechender chinesischer Stellen. An einigen Stellen hatte man den Eindruck, es sitzen Personen am Tisch, die man nicht sieht. Wir haben uns stellenweise gefragt, ob die Anwesenden noch andere Funktionen hatten als die, mit denen sie uns vorgestellt wurden. Vertretern der Partei jedenfalls sind wir offiziell nicht begegnet, man ahnte aber, dass mit der Partei alles abgesprochen und abgestimmt ist.
In der bilateralen Hochschulzusammenarbeit hat sich die Zahl der Kooperationsprojekte zwischen chinesischen und deutschen Hochschulen in den letzten Jahren deutlich erhöht. Gleichwohl drängen die höchstqualifizierten Studierenden aufgrund der größeren Berufschancen weiter in den angelsächsischen Raum. Wie stellt sich die Zusammenarbeit und der Kontakt deutscher und chinesischer Hochschulen konkret dar?
Der Austausch zwischen Deutschland und China bleibt zahlenmäßig und fachlich unausgewogen: Während Deutsche in China vornehmlich chinesische Sprache und Literatur studierenden, absolvieren Chinesen in Deutschland überwiegend ingenieur- und naturwissenschaftliche Studiengänge. Dennoch bilden die chinesischen Studierenden die größte Gruppe ausländischer Studierender in Deutschland. Interessanterweise gilt diese Tatsache allerdings auch für die Universität Bamberg, obwohl wir keine ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengänge haben.
Die Zahlen sind sehr deutlich: 27.000 chinesischen Studierenden in Deutschland standen im vergangenen Jahr 1.022 deutsche Studierende in China gegenüber, selbst wenn man die Kurzzeitaufenthalte hinzu zählt sind es nicht mehr als 3.000.
Bei solchen Zahlen fällt es schwer, sie in der Größenordnung einzuschätzen. Wie kommt China zu seinen Studierenden?
Die Schulpflicht beträgt in China neun Jahre. Sie wird aber insbesondere auf dem Land wohl nicht voll umgesetzt. Das Schulsystem ist einzügig, d.h. es gibt keine Differenzierung nach Schulformen. Nach sechs Jahren Grundschule folgt die dreijährige Mittelschule. Wer ein Studium anstrebt, muss drei weitere Jahre die Oberschule besuchen. Der Pflichtunterricht soll grundsätzlich kostenlos sein, dennoch erheben viele angesehenen Schulen Gebühren. Die Oberschule ist immer kostenpflichtig. Voraussetzung für ein Hochschulstudium ist eine Art von landesweitem Abitur, das zugleich einer Verteilung der Studienplätze dient – im Grund ist das eine Art von Verfahren, wie wir es mit dem numerus clausus kennen.
Der Zahl von jährlich etwa 9,5 Millionen Studienberechtigten steht die Zahl von knapp 6 Millionen Studienplätzen gegenüber. Die Studiengebühren liegen an staatlichen Hochschulen zwischen ca. 500 und 1.000 Euro pro Jahr, an privaten Hochschulen sind sie teilweise deutlich höher. Insgesamt besuchen etwa 20 Prozent eines Altersjahrgangs eine Hochschule. China unterstützt nachhaltig sein Bildungssystem, um damit die Humanressourcen des Landes zu fördern und so zur ‚Verjüngung‘ Chinas beizutragen. Insgesamt wurde allein im Jahr 2008 der Etat für das Schulwesen, die Berufsbildung und das Hochschulwesen um mehr als 45 Prozent von 107,6 auf 156,2 Milliarden Yuan aufgestockt.
Sie sprechen von Studiengebühren, die fast in der Höhe von deutschen Beträgen liegen. Wie leisten sich das Chinesen, deren Durchschnittseinkommen deutlich niedriger liegt?
In der Tat sehen die Chinesen Kosten, die ein Studium verursacht, als Investition in die eigene Zukunft, aber auch die der Familie. Die bessere Ausbildung trägt zu einer besseren sozialen Absicherung bei. Bei Arbeitslosigkeit gibt es ein Jahr lang monatlich 400 Yuan vom Staat, das sind etwa 40 Euro, aber nach einem Jahr ist Schluss. Vorstellungen von einem Sozialstaat wie ihn Deutschland ausgeprägt hat, lösen nur ungläubiges Staunen aus, um es vorsichtig auszudrücken.
Hat China tatsächlich die Zeichen auf Annäherung gestellt?
Politisch kann ich das nur begrenzt beurteilen, in der Hochschulpolitik fällt allerdings auf, wie sehr sie die Nähe zu europäischen und amerikanischen Entwicklungen suchen. Das geht mitunter bis in Details, die aber deutlich sind. Auch in China kennt man die Stellung des MIT (Massachusetts Institute of Technology) und seinen legendären Ruf in der Welt. So geht eben nicht nur die Europäische Union her und gründet ein EIT (European Institute of Technology), auch die Chinesen haben jüngst die Technische Universität Beijing umbenannt in BIT (Beijing Institute of Technology). Das zeigt, dass die symbolischen Akte angekommen sind. Die Wertschätzung für das westliche Universitätssystem ist jedenfalls unübersehbar. Jüngst wurde ein Universitätspräsident zum Vize-Minister für Bildung ernannt; wir haben mit ihm gesprochen – ein sehr offener und interessierter Mann. Dass er bislang die Universität geleitet hat, an der die meisten chinesischen Diplomaten studiert haben, unterstreicht die Bedeutung des Vorgangs noch.
Welche konkreten Folgen hat Ihre Reise für Bayern und für Bamberg?
Staatsminister Dr. Heubisch hat mit dem chinesischen Vizeminister Ping Hao ein Stipendienprogramm vereinbart. Damit wurde sozusagen die Gegengabe unterschrieben, nachdem im Januar 2009 die chinesische Vizeministerin dem Freistaat Bayern als erstem Land auf der Welt ein Kontingent von zehn Regierungsvollstipendien für Studierende bayerischer Hochschulen übergeben hatte.
In diesem Fall könnte ganz speziell für Bamberg etwas hinzukommen, denn die University of Foreign Studies Beijing hat uns gebeten, mitzuwirken an einem Zentrum für klassische Europa-Studien. Wir werden dem Staatsministerium einen Plan vorlegen, wie wir eventuell in der Form eines Gemeinsamen College die Idee dieses Zentrums befördern können. China hat ein Interesse an Latein und Griechisch, an Bibelkunde und Religionswissenschaften, auch um seine eigene Geschichte, etwa die Jesuitenmission in China, besser verstehen zu können. In diesen Bereichen der Geisteswissenschaften ist Bamberg bekanntlich gut aufgestellt, deshalb können wir hier eine wichtige Rolle übernehmen.
Das wäre eine großartige Sache, denn die Universität, an der das Zentrum errichtet werden soll, ist eine Kaderschmiede der chinesischen Diplomatie; Studierende einer solchen Einrichtung würden wir gern in Bamberg begrüßen, und umgekehrt wäre es eine tolle Chance für unsere Studierenden, für ein Jahr nach Peking gehen zu können - und den Studienaufenthalt gleich finanzieren könnten, z. B. mit Tutorien in Latein und Griechisch.