Briefe von Pan
„To get a letter from Pan is like homecoming to history of art.“ So bedankte sich die Kunsthistorikerin Erica Tietze am 28. September 1952 für einen Brief ihres Kollegen Erwin Panofsky, dessen Spitzname Pan den humanistisch gebildeten Wissenschaftler nicht zufällig mit einer antiken Naturgottheit in Verbindung brachte. Zu diesem Zeitpunkt war der emigrierte deutsche Jude Panofsky schon 17 Jahre Professor für Kunstgeschichte am „Institute for Advanced Studies“ in Princeton und somit Kollege von Albert Einstein, J. Robert Oppenheimer und Ernst Kantorowicz.
Prof. em. Dr. Dieter Wuttke, der als Tübinger Student der Philologie bereits 1955/56 mit Panofsky Briefe wechselte, ist der Herausgeber einer auf fünf Bände angelegten Edition der Korrespondenz eines der bedeutendsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts. Der dritte Band ist soeben erschienen. Und obwohl es sich ausdrücklich nur um eine „Auswahlausgabe“ handelt, umfasst das Buch mit 717 Briefen an und von Panofsky aus sieben Jahren, mit der Einleitung und den kenntnisreichen Kommentaren des Herausgebers sowie den Registern und Abbildungen, stolze 1417 Seiten.
Ikone der Kunstgeschichte
Der 1892 geborene Panofsky gilt als der Kunsthistoriker, der mit den Methoden der „Ikonographie“ und „Ikonologie“ die Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst gleichberechtigt neben den Verfahren der formalen und stilistischen Analyse etabliert hat. Damit wirkte er weit über das eigene Fach hinaus und leistete Essenzielles für die Zusammenarbeit zwischen der Kunstgeschichte und den Philologien. Bis 1933 lehrte Panofsky an der Universität Hamburg. Entscheidende Anregungen erhielt er dort von dem Philosophen Ernst Cassirer und vor allem dem Kulturwissenschaftler Aby Warburg. Aber erst als Emigrant in Princeton wurde Panofsky zu dem wohl weltweit angesehensten Kunsthistoriker. In den 50er und 60er Jahren stand er auf der Höhe seines Ruhms.
Seine Interessen waren weit gespannt, wie die berühmt gewordenen Aufsätze über „Stil und Medium im Film“ und „Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers“ zeigen. In den sieben Jahren seines Lebens, die der vorliegende Band dokumentiert, veröffentlichte Panofsky nicht weniger als sieben Monographien von teilweise zentraler Bedeutung: beginnend mit „Gothic Architecture and Scholasticism“ (1951) über das Hauptwerk „Early Netherlandish Painting“ (1953) bis zu dem methodisch grundlegenden Buch „Meaning in the Visual Arts“ (1955). Letzteres bezeichnete Panofsky als „drugstore book“ und kommentierte damit selbstironisch seinen Wandel vom deutschen Professor zum amerikanischen Gelehrten, der auch für ein breiteres Publikum schrieb.
Berühmte Briefpartner
Zu Panofskys Briefpartnern zählten nicht nur berühmte Kunsthistoriker wie Jan Bialostocki, André Chastel oder Ernst Gombrich, sondern auch die Romanisten Ernst Robert Curtius und Erich Auerbach, der Philosoph Ernesto Grassi oder der Diplomat George Kennan. Die zumeist in englischer, gelegentlich in deutscher und selten in lateinischer Sprache verfassten Briefe zeigen Panofsky als einen hoch gebildeten, oft auch witzigen Sprachkünstler, der das Medium nicht nur pragmatisch nutzt. Meist dreht sich die Korrespondenz um die wissenschaftliche Publikations- und Lehrtätigkeit Panofskys und seiner Kollegen, aber man erfährt auch viel über das akademische Leben an einer „Eliteuniversität“: So spielen die politischen Verwerfungen der McCarthy-Ära eine wichtige Rolle. Der Bereich des „human interest“ bleibt nicht ausgespart: Die familiäre Sphäre wird beleuchtet und die Hunde der Familie Panofsky kommen ebenfalls zu ihrem Recht. Über das Interesse an der Person Panofsky hinaus zeigt die Korrespondenz aber auch paradigmatisch die Haltung eines jüdischen Emigranten zu seiner Heimat. Panofsky differenziert sehr genau, mit welchen deutschen Kollegen er die Korrespondenz (wieder)aufnimmt und mit welchen nicht. Beginnende Kontakte mit jüngeren deutschen Kunsthistorikern ändern nichts an der grundsätzlichen Skepsis.
1952 lehnt Panofsky höflich aber bestimmt das Angebot ab, eine Rede zum hundertjährigen Bestehen des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg zu halten. Im gleichen Jahr durchquert er Deutschland auf der Reise von Belgien nach Schweden nur im Schlafwagen. Und erst 1967, ein Jahr vor Panofskys Tod, wird es zu einem offiziellen Besuch in der Bundesrepublik kommen.
Wenn die fünf Bände mit der Korrespondenz Panofskys alle erschienen sind, werden sie das leisten, was Dieter Wuttke im Vorwort zum ersten Band für sie beansprucht: „Die Edition soll die ungeschriebene Autobiographie Panofskys ersetzen und eine wesentliche Vorarbeit für eine wissenschaftliche Biographie leisten.“
Erwin PANOFSKY: Korrespondenz 1910 bis 1968. Eine kommentierte Auswahl in fünf Bänden. Herausgegeben von Dieter WUTTKE. Band III: Korrespondenz 1950 bis 1956. Wiesbaden 2006.
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