Theologie im Symphonieorchester der Kulturwissenschaften
Eigentlich wollte Prof. Dr. Klaus Bieberstein Ingenieur oder Physiker werden. Und doch entschied er sich für ein Studium der Theologie. Nach 21 Jahren als Professor für Alttestamentliche Wissenschaften an der Universität Bamberg verabschiedete er sich am Freitag, 16. Juli, mit einer Abschiedsvorlesung in den Ruhestand. Fast 200 Menschen lauschten virtuell seinem Vortrag zum Thema „Raum und Zeit. Alttestamentliche Anregungen zu einer Kritik der religiösen Vernunft“. Als „Best-of“ seiner Forschung und Lehre bezeichnete ein Zuhörer seinen Vortrag. Die Vorlesung spiegelte den interdisziplinären Ansatz wider, der sich wie ein roter Faden durch Klaus Biebersteins Forschung zog.
Das Studium der Theologie war eine Befreiung
Er habe sich als Jugendlicher sicher nicht vorgestellt, Professor für Theologie zu werden, erzählt Klaus Bieberstein. Doch es kam eins zum anderen, nach dem Abitur an einem technischen Gymnasium holte er den Abschluss in Griechisch, Latein und Hebräisch nach und studierte Katholische Theologie in Tübingen. Vor allem ein Auslandsjahr in Jerusalem während seines Studiums hatte weitreichende Auswirkungen auf seinen weiteren Lebenslauf. „Ich habe nie einen Beschluss gefasst, wo meine Forschungsschwerpunkte liegen sollen. Das hat sich biografisch ergeben“, erklärt er. Seine erste Reise nach Israel hat dafür den Ausschlag gegeben. Dort sei er viel gewandert, auch durch die Wüste, habe in Beduinenzelten gesessen. „Mit diesem Bodengeruch muss man biblische Texte lesen – und nicht von der hohen Kanzel herab.“ Was er damit meint: Man solle die Bibel nicht ausschließlich als literarisches Phänomen sehen. Viel wichtiger sei es, sie immer mit dem historischen Kontext im Hintergrund zu lesen und nicht in einer ahistorischen, kanonischen Schriftauslegung zu verharren. Aus diesem Grund war Klaus Biebersteins Forschung von einer starken Interdisziplinarität geprägt. Nicht nur die Theologie spielte dabei eine Rolle, sondern auch die Archäologie, Philosophie und Geschichte.
Bieberstein wirkte an einem der ersten Sonderforschungsbereiche mit
Besonders im Fokus dabei: Jerusalem. „Jerusalem ist für die theologische Forschung nicht nur eine Stadt im westjordanischen Bergland. Vielmehr ist in dieser Stadt der größte Teil der hebräischen Bibel des Judentums und des Alten Testaments des Christentums entstanden“, erklärt Bieberstein. Seine Forschungsarbeit bezieht sich auf zwei Ebenen. „Den Unterbau bilden Steine“, erklärt Bieberstein. So war er nach seiner Rückkehr von seiner ersten Israelreise und dem Abschluss seines Studiums wissenschaftlicher Angestellter beim „Tübinger Atlas des Vorderen Orients“. Dabei handelt es sich um einen der ersten durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereiche (SFB), in dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen zu einem Thema zusammenfinden. Ziel des SFB war es, „den Geschichtsatlas aller Geschichtsatlanten des Vorderen Orients“ zu erarbeiten. Bieberstein beschäftigte sich dabei vor allem mit der Baugeschichte Jerusalems. Über 1.200 Ortslagen – also beispielsweise Gräber, Mosaike oder das Stadttor – mit sämtlichen wissenschaftlich erfassten Bau- und Grabinschriften vom Chalkolithikum bis zur Frühzeit der osmanischen Herrschaft erfasste er.
Die Symbollandschaft Jerusalems als zentraler Forschungsgegenstand
Der „Oberbau“ seiner Forschung geht über die Summe der Steine hinaus. „Die Bürgerinnen und Bürger Jerusalems ebenso wie Pilgerinnen und Pilger, die nach Jerusalem kommen, verbinden seit zweieinhalb Jahrtausenden bestimmte Orte in der Stadt und ihrer engsten Umgebung mit der Schöpfung, mit Jesu Leben und Sterben oder dem Jüngsten Gericht, wodurch eine begehbare Symbollandschaft entstand“, erklärt Bieberstein. Diese Symbollandschaft war nicht immer gleich. So wurden zum Beispiel die Orte des Leidens Jesu im Laufe der Zeit mehrfach verlegt, bis erst in der Neuzeit die „Via dolorosa“ entstand. „Die Erforschung dieser sich wandelnden Traditionen erfordert einen weiten Bogen von der Archäologie und Geschichte bis zur Ästhetik und Funktion des mythischen Raumes im kulturellen Gedächtnis“, sagt Klaus Bieberstein. Symbollandschaften sind auch das große Thema der Festschrift, die ihm sein Kollege Prof. Dr. Jürgen Bründl, Inhaber des Lehrstuhls für Fundamentaltheologie und Dogmatik, bei der Abschiedsveranstaltung virtuell überreichte. Auf weit über 700 Seiten versammeln sich unter dem Titel „Zeichenlandschaften. Religiöse Semiotisierungen im interdisziplinären Diskurs“ Aufsätze von 32 seiner Kolleginnen und Kollegen aus der Universität Bamberg, aber auch aus anderen Orten Deutschlands und der Welt.
Klaus Bieberstein war letzter Dekan der Theologischen Fakultät
Durch die interdisziplinäre Ausgestaltung seiner Forschung hatte Klaus Bieberstein eine zentrale Rolle im interreligiösen Dialog, vor allem mit dem Judentum, beim Aufbau des Zentrums für Interreligiöse Studien (ZIS) sowie bei der Einrichtung der Judaistik in Bamberg, wie Prof. Dr. Susanne Talabardon, Leiterin der Professur für Judaistik, bei der Abschiedsveranstaltung schilderte. Von 2006 bis 2009 war Bieberstein außerdem letzter Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Bamberg. Zum Wintersemester 2009/2010 wurde diese sistiert und als Institut für Katholische Theologie in die Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften integriert. „Das Ende der Fakultät war für uns wie ein Donnerschlag“, erzählt Bieberstein. Das Personal der katholischen Theologie sei halbiert, ein Teil des Kollegiums an andere Universitäten versetzt und freie Stellen nicht mehr neu besetzt worden. „Das ist sehr traurig, weil uns diese Kompetenzen anschließend fehlten. Andererseits – und das überwiegt für mich – habe ich diese Integration in die Geistes- und Kulturwissenschaften als große Befreiung empfunden, weil die Theologie genau dort hingehört, wo sie heute ist. Es sind dadurch viele Kooperationen mit anderen Fächern und Disziplinen entstanden, die es ansonsten möglicherweise nicht gegeben hätte.“
Im Einsatz für Studierende ist Klaus Bieberstein ein Vorbild
Besonders werden Bieberstein die vielen guten Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen in Erinnerung bleiben, die auch das eine oder andere Mal in einer herzlichen Umarmung endeten: „Ich schätze das Kollegium sehr. Vor allem werde ich die vielen jungen Leute vermissen. Sie haben mir viel beigebracht. Wahrscheinlich hätte ich ohne sie bis heute kein Handy.“ Gerade für die Studierenden hat sich Klaus Bieberstein immer eingesetzt – sowohl in der Lehre als auch institutionell als Studiendekan und Dekan –, erzählte Prof. Dr. Jürgen Bründl bei der Abschiedsvorlesung: „Dein vorbehaltloses Engagement finde ich immer wieder bemerkenswert. In deinem Einsatz für die Studierenden bist du uns allen ein Vorbild.“ Und das würdigten auch die Studierenden bei der Abschiedsveranstaltung: Die Arbeitsgemeinschaft Katholische Theologie (AG K.Theo), eine Gruppe Studierender, die sich in der Fachschaft für die Belange ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen einsetzt, hatte einen Film vorbereitet, in dem sowohl aktive als auch ehemalige AG-Mitglieder und weitere Studierende ihre schönsten Momente in Kurzvideos festhielten. „Meine schönsten AT-Momente waren bei der Reise nach Israel. Man hat einiges, was man vorher schon im Studium gelernt hat, live vor Ort gesehen, man konnte viel Neues dazulernen und so viele Eindrücke mitnehmen“, sagt eine Studentin in ihrem Video. „Die von Klaus Bieberstein organisierten Israelexkursionen gehören zu den Höhepunkten im Lehrangebot des Instituts für Katholische Theologie“, bestätigte auch Jürgen Bründl.
Ruhigstellen lässt sich Klaus Bieberstein auch im Ruhestand nicht
„Du, lieber Klaus, wirst nun in den Ruhestand versetzt, wie das so im Amtsdeutsch heißt, aber ruhigstellen lässt Du Dich sicher nicht“, sagte Prof. Dr. Markus Behmer, Dekan der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften, bei der Verabschiedung. Und Klaus Bieberstein hat noch einiges vor: „Ich habe bereits einige Bücher über Jerusalem geschrieben. Diese waren sozusagen der Mürbteig. Das neue Buch soll nun das Baiser obendrauf werden. Es behandelt die mythischen Symbolsysteme Jerusalems“, erklärt er. Und auch an einer letzten Israelexkursion wird er im kommenden Jahr teilnehmen. Und was bleibt? „Zum Schluss bleibt Herr Bieberstein der Dozent, der uns im Studium am meisten geprägt hat“, sagt eine Studentin bei der Abschiedsvorlesung.