Hat jeder die Chance auf einen Doktorhut? Der freie Zugang zur Bildung ist eine der wichtigsten sozialen Probleme des 21. Jahrhunders, vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund (Bild: Photocase)

Projektleiterin Marianne Heimbach-Steins hielt den Eröffnungsvortrag des Symposiums (Bild: Pressestelle)

- Axel Bernd Kunze

„Bildung ist der entscheidende Schlüssel“

Bamberger Projekt zum Menschenrecht auf Bildung tagt in Nürnberg

Ohne Bildung ist der Zugang zu den wichtigsten sozialen und ökonomischen Lebensbereichen nahezu unmöglich. Nur: Kann jeder sein Recht auf Bildung einlösen? Ein interdisziplinäres Projekt der Universität Bamberg beschäftigt sich mit der Bildungsgerechtigkeit und veranstaltete am 19. und 20. Januar mit Fachleuten aus ganz Deutschland ein Symposium.

„Das Menschenrecht auf Bildung“: Unter diesem Titel hat der Bamberger Lehrstuhl für Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie in Kooperation mit dem Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (FIPH) im März 2006 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt zu zentralen Fragen der Bildungsgerechtigkeit begonnen. Erste Ergebnisse wurden am 19. und 20. Januar auf einem Symposium in der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg vorgestellt. Das Projekt schließt eine wichtige Forschungslücke innerhalb der Christlichen Sozialethik, die sich bisher erstaunlich wenig mit dem Thema Bildung beschäftigt hat.

Orkantief „Kyrill“ hatte auch das Tagungsprogramm kräftig durcheinander gewirbelt: Wegen der Probleme im Bahnverkehr konnte ein Teil der Tagungsgäste nicht anreisen – darunter auch zwei Referentinnen. Bis unmittelbar vor Tagungsbeginn musste daher improvisiert und am Programm gefeilt werden. Wie das einhellige Fazit am Ende der zwei Tage zeigte, hatten sich alle Aufregung und Mühe schließlich gelohnt: Intensiv diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen Fächern und Arbeitsbereichen, wo das Recht auf Bildung derzeit in Deutschland nur unzureichend verwirklicht ist und mit welchen Maßnahmen die Bildungsbeteiligung in Deutschland verbessert werden könnte.

Beteiligung durch Bildung

Der gerechte Zugang zu Bildung ist eine der wichtigsten sozialen Fragen des einundzwanzigsten Jahrhunderts – ein Thema, dessen enormes Gewicht nicht zuletzt im Zusammenhang mit den PISA-Studien immer deutlicher geworden ist. Denn wer keinen Zugang zu Bildung hat, wird sich auch in nahezu allen anderen Lebensbereichen schwertun: auf dem Arbeitsmarkt oder im bürgerschaftlichen Engagement, bei politischer Mitsprache oder in der eigenen Erziehungspraxis, beim Konsum oder beim persönlichen Gesundheitsverhalten.

Kurz: „Bildung ist ein, wenn nicht der entscheidende Schlüssel zu gesellschaftlicher Beteiligung“, wie Projektleiterin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) in ihrem Eröffnungsvortrag betonte. Das Recht auf Bildung sei eine wichtige Voraussetzung, um andere Rechte in Anspruch nehmen zu können. Katja Neuhoff, Mitarbeiterin des Projekts am FIPH, erläuterte, dass es aus menschenrechtlicher Perspektive dabei nicht nur darauf ankomme, dass Bildungsangebote ausreichend zur Verfügung stehen und allgemein zugänglich sind. Diese müssten auch inhaltlich bestimmten Qualitätsmaßstäben genügen.

Wichtig für die Subjektwerdung des Menschen

Dr. Axel Bernd Kunze (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) erläuterte, warum Bildung für die Subjektwerdung des Menschen unverzichtbar sei: „Selbstbestimmung setzt die Freiheit voraus, sich zum eigenen Wollen, Erkennen und Tun in ein wertendes Verhältnis setzen zu können.“ Ohne Bildung werde diese Freiheit im Denken und Handeln, auf die auch die demokratische Gesellschaft angewiesen sei, nicht zu erreichen sein. Deutlich machte Kunze aber auch, dass hierzu ein aktives Mitwirken notwendig ist: „Diese Verantwortlichkeit beim Schüler zu wecken und zu fördern, ist eine wichtige Erziehungsaufgabe der Schule.“

„Die Menschenwürde ist unverrechenbar“, bekräftigte PD Dr. Heiner Bielefeldt in einem anschließenden Korreferat. Daher dürfe niemand von Bildung ausgeschlossen werden. Die Schulpflicht gebe dem einzelnen Kind oder Jugendlichen, so der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die Möglichkeit, sein Recht auf Bildung im Konfliktfall notfalls auch gegen die eigenen Eltern durchzusetzen.

Migranten in Deutschland: von Bildung ausgeschlossen?

Besondere Herausforderungen stellen sich im Blick auf Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland ihr Recht auf Bildung oft nur unzureichend verwirklichen können. Wie diese Situation verbessert werden kann, diskutierten im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion unter Leitung von Prof. Dr. Heimbach-Steins Vertreter aus Wissenschaft, Verwaltung und Menschenrechtsarbeit.

Dr. Michael Griesbeck, Vizepräsident im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, betonte, dass durch vermehrte Integrationsanstrengungen im Bildungsbereich viele spätere soziale Probleme vermieden werden könnten. Wie dies konkret gelingen kann, zeigte Dr. Hans Hesselmann, Leiter des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg, anhand von zwei lokalen Pilotprojekten, die auf stärkere Vernetzung aller Beteiligten setzen: Durch Stadtteilarbeit könnten Eltern stärker zur Übernahme von Bildungsverantwortung befähigt werden; von einer eigens eingerichteten Koordinierungsstelle, die zwischen Schule, Berufsberatung und Betrieben vermitteln soll, erhoffe man sich, Nürnberger Hauptschülern bessere Ausbildungschancen zu geben. Katja Neuhoff machte deutlich, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund nicht allein als „Problemfälle“ betrachtet werden sollten. Vielmehr sei es wichtig, auch deren besondere Ressourcen – beispielsweise ihre Mehrsprachigkeit – wahrzunehmen und pädagogisch zu nutzen.

In einer noch viel schwierigeren Situation befinden sich Kinder, die in der Illegalität leben. Die Diskussionsrunde war sich einig darin, dass ein fehlender Aufenthaltstitel kein Grund sein dürfe, Kindern ihr fundamentales Menschenrecht auf Bildung zu beschneiden.

„Recht auf Bildungserfolg“

Die Abschlussdiskussion unter Leitung von Prof. Dr. Gerhard Kruip (FIPH) machte noch einmal deutlich, wie wichtig für den Einzelnen sowohl privat als auch beruflich gute Bildungschancen seien. Welche Form von Bildung konkret notwendig sei, könne nur vor dem Hintergrund des jeweiligen sozialen Kontextes bestimmt werden, betonte Dr. Alexander Filipovic (Otto-Friedrich-Universität Bamberg). Christof Mandry (Max-Weber-Kolleg für sozial- und kulturwissenschaftliche Studien in Erfurt) klagte besonders ein „Recht auf strukturellen Bildungserfolg“ ein: Wenn Bildungsversagen in bestimmten Schichten häufiger vorkomme als in anderen, zeige das ein Gerechtigkeitsproblem an, auf das mit Veränderungen im Bildungssystem reagiert werden sollte.

Die Beiträge der Tagung sollen im Herbst 2007 als Auftaktband der neuen Reihe „Forum Bildungsethik“ im Bielefelder W. Bertelsmann Verlag veröffentlicht werden.