Roland Simon-Schaefer (von links), Jacques Santer, Sir Peter Torry und Godehard Ruppert im Gespräch
Ulrike Leutheusser dirigierte durch die Podiumsdiskussion am Abschlusstag
Die AULA der Universität war an allen Tagen gut besucht und bot einen angemessenen Rahmen für die 17. Hegelwoche
Aufklärung statt Verklärung bei der 17. Bamberger Hegelwoche
Franzosen und Niederländer haben die europäische Verfassung abgelehnt. Im Streit um das Verhältnis der EU zur Türkei ist kein Ende in Sicht. Wie soll es weitergehen mit Europa? Mitten in die jüngst ausgerufene „Reflexionsphase“ fiel die 17. Bamberger Hegelwoche, die sich vom 27. bis 29. Juni dem Thema „Europa weiter denken“ und damit genau der geforderten Reflexion widmete.
Der Eröffnungsabend der 17. Bamberger Hegelwoche am 27. Juni in der AULA der Otto-Friedrich-Universität (ehemalige Dominikanerkirche) gehörte den Staatsmännern. Nach den einleitenden Worten von Dr. Helmuth Jungbauer, Herausgeber und Verleger des Fränkischen Tags, und Prof. Dr. Roland Simon-Schäfer sprach Sir Peter Torry, seit drei Jahren britischer Botschafter in Deutschland, unter dem irritierenden, wenn nicht provozierenden Titel „Die Briten – vorbildliche Europäer“. Sein Vortrag zeigte, dass er die Kunst der Diplomatie glänzend beherrscht – und was sich damit bewirken lässt. Sanft, aber sachlich und sehr beharrlich verteidigte er umstrittene britische Positionen und Forderungen. Der britische Botschafter definierte die EU als eine „Union von Werten und Normen“, die es zu sichern, aber auch zu verbreiten gelte. Im Gegensatz dazu plädierte Dr. Jacques Santer leidenschaftlich für eine „politische und geographische Finalität“ Europas, für einen klar festgelegten Ziel- und Endpunkt des Vereinigungsprozesses und gegen einen unkontrollierten „Erweiterungs-big-Bang“. Als ehemaliger Premierminister von Luxemburg und früherer Präsident der EU-Kommision weiß Santer aus eigener Erfahrung, dass eine bedenkliche „Kluft zwischen Politikern und Bürgern“ entstanden ist. Nun gelte es, die Begeisterung für die Idee eines vereinigten Europas, das zugleich zum „Baustein für eine freie Welt“ werden könne, neu zu entfachen. Das waren Stellungnahmen aus allererster Hand, von zwei Staatsmännern, die in der europäischen Politik auf höchster Ebene mitmischen.
Das Europa der Kulturen
Der zweite Abend gehörte dann der Kulturpolitik und -philosophie. „Nur wenn wir die Vergangenheit Europas mitreflektieren, werden wir Antworten auf die Frage nach der Zukunft Europas erhalten.“ In diesem Sinne erforschten Roland Simon-Schäfer und sein Gast Prof. Dr. Olaf Schwencke, Präsident der Deutschen Vereinigung der Europäischen Kulturstiftung (ECF), die europäische Vergangenheit.
Die Floskel von den „jüdisch-christlichen Wurzeln“ unserer Kultur erfreut sich, so Simon-Schäfer, zunehmender Beliebtheit. Aber sind das unsere einzigen Wurzeln? Und sind es die ausschlaggebenden? An vielen Beispielen erläuterte der Bamberger Philosophie-Professor, wie insbesondere die griechische und römische Antike unser heutiges Selbstverständnis geprägt hat. Und die nächsten entscheidenden Impulse seien weniger dem darauf folgenden „christlichen Jahrtausend“, als vielmehr der neuzeitlichen Aufklärung zu verdanken. Im Anschluss sprach Schwencke über „Das Europa der Kulturen“. Das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestags und des EU-Parlaments zeichnete nach, wie die Idee einer „europäischen Identität“ zuerst im kulturellen, nicht im politischen Bereich aufgekommen sei. Folglich sah Schwencke hier die Chance, das unzureichende Verständnis Europas als „gut funktionierendem Binnenmarkt“ zu überwinden. Das kulturpolitische Engagement der EU müsse verstärkt werden.
Eine neue Friedensunion?
Am dritten und letzten Abend der Hegelwoche dominierte die Podiumsdiskussion mit sechs Vertretern aus Wissenschaft, Kultur und Politik. Ulrike Leutheusser vom Bayerischen Fernsehen, das die Veranstaltung aufzeichnete, übernahm die Moderation der Gesprächsrunde. Zwei verschiedene Ansätze, „Europa weiter zu denken“, kristallisierten sich heraus: Keinen leichten Stand hatte der Bamberger Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Gehring, der die europäischen Institutionen verteidigte. Wir hätten ihnen mehr zu verdanken als Feinstaubrichtlinien. Andere rückten die europäischen Werte in den Mittelpunkt. Der bayerische Landtagsabgeordnete Dr. Linus Förster meinte sogar, dass sich die Gemeinschaft „in alle Richtungen ausbreiten“ und eines Tages vielleicht nicht mehr „Europäische Union“, sondern „Friedensunion“ heißen könnte. Prof. Dr. Theodor Berchem hakte nach: „Wie lauten diese Werte? Und werden sie der jungen Generation ausreichend vermittelt?“ Schon war man wieder bei der Frage nach den „christlichen Wurzeln“ und dem Gottesbezug in der Verfassung. Der Ton verschärfte sich. Gehring wollte wissen: „Haben unsere christlichen Werte die Weltkriege und den Holocaust verhindert?“ Der Chefredakteur des „Rheinischen Merkur“, Prof. Michael Rutz, konterte: „Soll man die Gesetze abschaffen, nur weil es trotzdem noch Mörder gibt?“ Schwencke bemühte sich um einen Kompromiss: Entscheidend sei doch, dass wir aus der Barbarei unsere Lehren ziehen. Das ist nach 1945 in Europa geschehen, während die USA, wie der Irakkrieg jüngst gezeigt hat, noch immer auf das „Recht des Stärkeren“ setzten. Für die Zukunft mahnte Prof. Dr. Roland Simon-Schäfer eine fundiertere Auseinandersetzung mit dem Islam an. Möglicherweise sei die Türkei noch nicht bereit für einen EU-Beitritt, doch wäre es auch ein Fehler, Europa als „christliche Wagenburg“ zu verstehen.
Universität als Stätte des Dialogs
Weitgehende Einigkeit herrschte darüber, dass der EU-Erweiterungsprozess künftig behutsamer voranzutreiben sei, ohne dies „an denen auszulassen, die jetzt vor unserer Tür stehen“, an Bulgarien und Rumänien, wie Berchem ergänzte. Sein Vortrag war der Podiumsdiskussion vorausgegangen. Knapp, aber sehr prägnant untersuchte der Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, inwiefern die Institution Universität zur Herausbildung einer „europäischen Identität“ beigetragen habe. Seit Jahrhunderten gingen die Lehrenden und Lernenden in ihrem Wissensdurst „mit großer Selbstverständlichkeit über die nationalen Grenzen hinweg“ und leisteten damit ihren Beitrag zur europäischen Verständigung. Berchem würdigte die Universität als „Stätte des Dialogs“ und der „kritischen Distanz“, die keiner Religion oder Weltanschauung, sondern der Freiheit des Denkens und Sprechens verpflichtet sei.
Nichts als schöne Worte? Keineswegs, und zum Beweis genügt es, auf die Veranstaltung zu verweisen, auf der sie gesprochen wurden. „Europa weiter denken“: Vielleicht hatte bei diesem Stichwort manch ein Hörer erwartet, auf der 17. Bamberger Hegelwoche werde eine große europäische Zukunftsvision ausgemalt. Sie blieb aus. Aber das spricht für die Veranstaltung, auf der die fundierte, nüchterne und präzise Auseinandersetzung mit konkreten Fragen deutlich dominierte. Am Ende dürften die Klärungen, die hier erzielt wurden, viel nützlicher und zukunftsweisender sein als die verklärten Traumgebilde politischer Sonntagsredner.