„Prophete rechts, prophete links, das Weltkind in der Mitten“
Die Philosophie – ein mit Steuermitteln finanzierter Zeitvertreib? Prof. Dr. Christian Illies, seit März 2008 Inhaber des Lehrstuhls für praktische Philosophie, wusste schon den Kritikern im Bologna-Prozess den Wind aus den Segeln zu nehmen. In seiner Antrittsvorlesung am 8. Juli trat er zur Ehrenrettung seiner Disziplin an.
Die Naturwissenschaft denkt in der dritten Person, sie braucht den Vorwurf der Subjektivität nicht zu fürchten. Die Philosophie dagegen wagt es, „ich“ zu sagen und führt jeden Gedanken zugleich auf den Denkenden zurück. So stellt sie mit jeder Frage den Horizont des Fragenstellers neu zur Diskussion und bleibt damit, obwohl älteste Wissenschaft, stets „ein Kind ihrer Zeit“.
Schon Goethe nannte die Philosophie ein „Weltkind“ und verortete sie damit im praktischen Leben. Die Gedichtzeile, die Prof. Dr. Christian Illies im Titel seiner Vorlesung zitierte, ist der Schlussvers einer frühen Wissenschaftssatire Goethes: Auf seiner Rheinreise 1774 nimmt der junge Goethe den theologisch höchst ambitionierten Disput seiner Reisegefährten Lavater und Basedow beim Abendessen in Bad Ems aufs Korn: „Und wie nach Emmaus weiter ging’s, mit Sturm- und Feuerschritten: Prophete rechts, prophete links, das Weltkind in der Mitten.“ Goethe lehnt seine Wissenschaftskarikatur an das Lukas-Evangelium an, das die Emmaus-Jünger, zwei Suchende, als Blindgänger schmäht, vermuten sie doch den Herrn, das Zentrum ihres Denkens und Tuns, weit entfernt, obwohl er längst, wenn auch noch unerkannt, mitten unter ihnen ist.
Aufgaben der Philosophie
„Sich im Suchen nicht zu verlieren, ist die Crux der Philosophie.“ Zweimal in der Geschichte der Disziplin wäre es fast um sie geschehen, meint Illies scherzhaft. Einmal, während der „Krise“ der Geisteswissenschaften (Dilthey) im 19. Jahrhundert, als die empirischen Naturwissenschaften die subjektive philosophische Rede in Erklärungsnot brachte, und jüngst zum zweiten Mal, als der „Bologna“-Prozess nach Fakten verlangte, so Illies. „Da wurde der Zeitvertreib, aus Steuermitteln finanziert, doch existentiell.“ Paragraph 5 des Bologna-Vertrages frage nach klaren Zielen des Studiums. Der Philosoph Illies antwortet selbstbewusst: „Seit 2000 Jahren ungeklärt und offen.“ Der Hochschulpolitiker Illies schiebt die amtliche Erklärung nach: Ziel des Philosophie-Studiums sei der Erwerb fachspezifischer Grundqualifikationen und der Fähigkeit, sich mit philosophischen Fragen kritisch zu befassen. Für die Bachelor-Studierende heißt das, sich essayistisch an die großen Fragen dieser Welt heranzutasten, frei nach Kants Vorrede zur Logik-Vorlesung: „Was kann ich wissen, was muss ich tun, was darf ich hoffen, und was ist der Mensch?“
Illies lässt seine Studenten nicht weniger schwitzen und benennt seinerseits drei ureigene Aufgaben der Philosophie: Aufgabe 1: Wie lässt sich „zusammendenken“, was zunehmend disparat erscheint: nämlich die Ordnungsmodelle der Geistes-, Gesellschafts- und Naturwissenschaften? Oder anders, mit dem Selbstbewusstsein des Philosophen gesprochen: Was macht die Philosophie zur „Universalwissenschaft“? Aufgabe 2: Was heißt es zu denken und wie viele Arten des Denkens gibt es? Geschmacksfragen, Kommunikation – all das sei schließlich Ausdruck „denkender Weltauseinandersetzung“. Und schließlich Aufgabe 3: Wie sich rational zu sich wandelnden Wertvorstellungen verhalten? Denn der Fragehorizont des Sinnvollen sei in der Gegenwart wieder akut geworden und führe zur Frage, wie Wirklichkeit zu gestalten und zu verändern sei.
Philosophie braucht Bescheidenheit, Humor und Zeit
Um dieses Pensum zu bewältigen, brauche die Philosophie „dialogische Weltoffenheit“. Der Philosoph müsse offen sein für die ganze Wirklichkeit, mit den Nachbardisziplinen ins Gespräch kommen und im Gespräch Einsichten entwickeln und überprüfen. „Der Philosoph muss bedenken, dass er vielleicht doch ein Scharlatan ist.“ Vor zwei Propheten sei dennoch gewarnt: dem Dogmatismus („schädlich“) und dem Skeptizismus („unnütz“). Beide führten dazu, dass der Philosoph seine Aufgabe verfehle. Die zu erfüllen, brauche es Dreierlei: Bescheidenheit, Humor und Zeit – denn eins sei jedenfalls gewiss: Denken braucht Zeit!
Seine Zeit wusste der Philosoph und Biologe Illies gut zu nutzen: Essen, Oxford, die Niederlande und die USA – Professor Dr. Friedhelm Marx, Dekan der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften, zählte nur einige der Stationen der „weltkindmäßigen“ Philosophie des Freunds und Kollegen auf. Arbeiten zur philosophischen Anthropologie im biologischen Zeitalter (2006), zu Darwin (1998/1999) oder zur ethischen Dimension der Architektur (2001) zierten die Publikationsliste des Cambridge-Fellows.
Zum Abschluss ging Illies Dank an alle, die ihm die Zeit zum Denken gewährten: allen voran der Universität – „aus Spektabilitäten wurden Freunde“ – und den Studierenden, „die in Bamberg einfach wunderbar sind“. In der Stadt des frühen Hegels gebühre das letzte Wort allerdings nicht der Vernunft, sondern der Liebe: Illies großer Dank galt Freunden und Familie, die zu seiner Antrittsvorlesung zahlreich erschienen waren.