Das Werk des englischen Malers Henry Wallis „Der Tod des Thomas Chatterton“ von 1856 entstand 86 Jahre nach dem Selbstmord des Dichters, aus dessen Lebzeiten keine Abbildungen überliefert sind (Bild: Wikimedia Commons).
Die literarische Rezeption von Chattertons Leben wählte Bernd Goldmann als Thema seiner Antrittsvorlesung (Bilder: Charlotte Häusler).
Sein "offizieller Einstand" füllte den Hörsaal 105 der U7.
Zu den Besuchern gehörte auch Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert (r.), hier im Gespräch mit Goldmann.
Das Leben als größtes Kunstwerk
Seit Oktober letzten Jahres ist Prof. Dr. Bernd Goldmann Honorarprofessor an der Universität. Am 29. Juni hielt er nun seine Antrittsvorlesung. Thema seines Vortrages waren Leben und Werk des englischen Dichters Thomas Chatterton und dessen literarische Rezeption.
Eine „Bereicherung“ möchte er für die Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften (GuK) und besonders für die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft sein, so Prof. Dr. Bernd Goldmann zum Auftakt seiner Antrittsvorlesung am Montag, 29. Juni. Der Direktor des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia ist seit Herbst 2008 Honorarprofessor an der Otto-Friedrich Universität für das Fachgebiet Neuere deutsche Literaturwissenschaft und insbesondere im Bereich Kulturmanagement. Hier gibt er seine vielfältige praktische Erfahrung in Lehrveranstaltungen an die Studierenden weiter.
Goldmann studierte Germanistik, Geschichte, Politik und Bibliothekswissenschaften und war langjähriger Referent bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur und im Kultusministerium von Rheinland-Pfalz für den Bereich Museen, Literatur- und Kunstförderung. Zahlreiche Lehraufträge hatte er auch in Heidelberg und Mainz. Sein Weg führte ihn nach Bamberg als er 1997 Direktor des neu gegründeten Künstlerhauses Villa Concordia wurde, „seither entstand eine intensive Zusammenarbeit mit der Universität“, betonte Prof. Dr. Friedhelm Marx, Dekan der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften, in seiner Einführungsrede.
„Eine schöne Leiche“
Als Thema für seinen „offiziellen Einstand“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg hatte Goldmann den englischen Dichter Thomas Chatterton und dessen literarische Rezeption gewählt: „Ich bin doch nicht anders als andere Menschen. Thomas Chatterton, Ernst Penzoldt, Hans Henny Jahnn und andere“ lautete der Titel. In zehn Punkten erläuterte er das Leben des jungen Literaten und die Nachwirkungen seiner Dichtung.
Der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Chatterton ist durch eine Herausgeberfiktion berühmt geworden: Er erfand einen Mönch aus dem 15. Jahrhundert, für dessen angebliche Gedichte er eine eigens entworfene altertümliche Sprache nutzte. Die Schriften stießen auf großes Interesse, doch die Entlarvung als Fälschung und die Kritik an seinen Werken ließ Chatterton alle seine Dichtungen verbrennen. Mit nicht einmal 18 Jahren beging er Selbstmord. Sein Tod erregte wenig Aufsehen, „doch schon bald erahnte man sein Genie, sein Leben und der Freitod wurden dadurch interessant“, so Goldmann. Es folgte eine rege literarische Auseinandersetzung, „die Adaptionen gehen in die Hunderte“.
Dazu gehört unter anderem ein Bild des englischen Malers Henry Wallis, das den toten Chatterton in seinem besten Anzug darstellt. Als „eine schöne Leiche“ wurde er in diesem spätromantischen Bild bezeichnet. „Mich interessiert aber vor allem die vielfache Bearbeitung des Stoffes, die nicht auf die englischsprachige Literatur beschränkt ist“, führte Goldmann aus.
Wunderkind oder Fälscher?
Goldmann stellte im weiteren Verlauf seines Vortrages ganz unterschiedliche Bearbeitungen über Chattertons Leben und Werk vor. So zum Beispiel den Roman von Ernst Penzoldt von 1928 „Der arme Chatterton“. Er erzählt die Geschichte eines Wunderkindes, das sich durch Fleiß und Genialität vor dem Durchschnittsdasein bewahren konnte. „Ein Roman ohne Zeitbezüge und ein Schlüsselwerk für Penzoldts künstlerisches Schaffen.“ Ganz anders ging Hans Henny Jahnn mit dem Stoff um. Er schreibt 30 Jahre nach Penzoldts Roman die Tragödie „Thomas Chatterton“. „Mit keinem seiner Dramen hatte er so einen Erfolg wie mit diesem“, bemerkte Goldmann. Jahnn befreit das Leben des Dichters von sentimentalen Zügen romantischer Umdeutungen, verlässt jedoch die geschichtliche Wirklichkeit und verlagert die Handlung in eine Welt der Mythen und der Phantasie.
Goldmann stellte fest, dass die wohl größte Tragik in der Bewertung von Chattertons Werken darin bestand, „dass alles aus seinem Leben heraus gedeutet wurde, sein Leben wurde zu seinem größten Kunstwerk“. Auch der Lyriker Johannes Bobrowski verarbeitete in seiner „Ode auf Thomas Chatterton“ den Stoff um den englischen Wunderknaben und wurde dabei stark von Hans Henny Jahnn beeinflusst. Mit diesem Gedicht „hat er sich das Porträt eines Geistesverwandten geschaffen“, so Goldmann. Denn was beide verbindet, führte Goldmann aus, ist das Scheitern am Widerspruch zwischen der Realität und dem eigenen moralischen Anspruch.
Am Ende fasste Goldmann die vorgestellten Rezeptionen zu Chatterton zusammen, indem er meinte, dass eigentlich jeder Autor „seinen Chatterton“’ als Spiegel benutzt, um zu sagen: „Ich bin doch nicht anders als andere Menschen“.