Offenheit und Toleranz liegen Ada Raev besonders am Herzen
Für Prof. Dr. Ada Raev ist die Einrichtung der Professur für Slavische Kunst- und Kulturgeschichte an der Universität Bamberg ein Glücksfall gewesen, wie sie selbst berichtet. Ada Raev war die erste Wissenschaftlerin, die diese Professur bekleidete und verabschiedet sich nun nach mehr als zwölf Jahren an der Otto-Friedrich-Universität in den Ruhestand. Ihre Abschiedsvorlesung unter dem Titel „Die Macht der Bilder. Fëdor Dostoevskij als Bildbetrachter. Versuch einer Annäherung“ fand am Donnerstag, 28. Oktober, in der AULA der Universität statt. Die Vorlesung verband jene zwei Welten und Fächer, denen Raev in ihrer akademischen Laufbahn, insbesondere in Bamberg, verbunden gewesen ist und es auch bleiben wird – die Kunstgeschichte und die Slavistik.
Doch wieso war die Einrichtung der Professur für sie ein Glücksfall? „Es gibt im deutschsprachigen Raum kaum Professuren für osteuropäische oder russische Kunst“, erzählt die studierte Kunsthistorikerin. Ada Raev habe mit ihrer Professur in Bamberg ihre Berufung umsetzen können, so Dekan der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften Prof. Dr. Markus Behmer am Abend der Abschiedsvorlesung: „Nämlich die Befassung mit dem Schnittfeld zwischen osteuropäischer Kunst und gesamteuropäischer Kultur, die Schnittstelle zwischen Ost und West, zwischen Slavistik und Kunstgeschichte, zwischen Kunstforschung und Kulturvermittlung. Die Professur wurde quasi für Ada Raev eingerichtet“.
Schwerpunkt im Bereich der Genderforschung
Raev studierte Kunstgeschichte an der Historischen Fakultät der Staatlichen Universität M.I. Lomonosov in Moskau und promovierte mit einer Arbeit zu dem Thema „Russisch-deutsche Kunstbeziehungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (1896-1906)“. Im Zentrum ihrer wissenschaftlichen Arbeit steht die Kunst- und Kulturgeschichte Russlands der Neuzeit und der Moderne mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der mannigfaltigen, dabei aber auch von Abgrenzungsstrategien gekennzeichnete Verknüpfung der russischen Kunst und Kultur mit gesamteuropäischen Phänomenen und Prozessen. Ein weiteres Forschungsfeld betrifft den hohen Stellenwert des Theaters einschließlich des Balletts in der russischen Kultur der Neuzeit im Hinblick auf ihren ausgeprägten Schaucharakter. Zu diesem Thema hielt sie 2009 auch ihre Antrittsvorlesung unter dem Titel „Imperial und Modern. Ballets Russes (1909-1929)“.
Ein eigenständiger Schwerpunkt liegt im Bereich der Genderforschung. Ausgehend von der Präsenz von Künstlerinnen in der russischen Moderne und Avantgarde werden sowohl Fragen nach den sozial- und mentalitätsgeschichtlichen, politischen und institutionellen Voraussetzungen für das Wirken von künstlerisch tätigen Frauen als auch zu ihrer Positionierung in den Gattungen Kunsthandwerk, Graphik und Buchkunst, Malerei, Plastik und Szenographie behandelt. Zu diesem Thema habilitierte sich die nun im Ruhestand befindliche Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin. So trug ihre Habilitationsschrift von 1999 den Titel „Russische Künstlerinnen der Moderne (1870-1930). Historische Studien. Kunstkonzepte. Weiblichkeitsentwürfe“.
„Die Frauenfrage war mir durch meine Forschung nicht fremd“
Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass Ada Raev vom Wintersemester 2008/2009 bis zum Sommersemester 2015 Frauenbeauftragte der Universität war. „Die Frauenfrage war mir durch meine Forschung nicht fremd“, erklärt Raev. „Und auch heute noch ist das Thema nicht vom Tisch. Es ist ein strukturelles und gesellschaftliches Problem, an dem man langfristig arbeiten muss.“ Es sei wichtig, schon junge Frauen helfend und fordernd zu ermuntern und ihnen zur Seite zu stehen. Raev engagierte sich im Female Research Network (FeRNet), dem Mentoring-Programm der Universitätsfrauenbeauftragten der Otto-Friedrich-Universität. FeRNet ermöglicht Nachwuchswissenschaftlerinnen den Austausch mit einer wissenschaftlich erfahrenen Person sowie den Aufbau von Beziehungen über die Grenzen der eigenen Universität hinaus. Ada Raev war Mentorin für eine jüngere Kollegin aus Frankfurt am Main. Die Nachwuchswissenschaftlerinnen werden mit Hilfe der Mentoring-Beziehung sowie einem begleitenden Rahmenprogramm angeregt, ihre akademische Laufbahn gezielt zu planen und zu verfolgen und ihr Selbstverständnis als Wissenschaftlerinnen zu stärken.
„Selbstbewusstsein ist hier ein wichtiger Faktor, damit Frauen sich wissenschaftliche Karrieren zutrauen“, sagt Raev. An der Otto-Friedrich-Universität Bamberg sei schon viel getan worden, nicht zuletzt in Sachen Familienfreundlichkeit: „Wer als junge Frau an der Universität Bamberg etwas erreichen möchte, bekommt auch Unterstützung.“ Es gehe jetzt und in Zukunft aber nicht mehr ausschließlich nur um Frauenförderung, sondern darüber hinaus um Diversität, also die Unterstützung ganz unterschiedlicher Gruppen.
Exkursionen ermöglichen die Kommunikation mit dem Original
Eine weitere junge Frau, deren wissenschaftliche Karriere Ada Raev nachhaltig prägte und auch weiterhin prägen wird, ist eine ihrer aktuell drei Promovendinnen, die sie auch im Ruhestand noch weiter betreuen wird. Magdalena Burger war Tutorin, wissenschaftliche Hilfskraft und später Mitarbeiterin bei Ada Raev. Sie spricht am Abend der Abschiedsvorlesung zum Publikum und sagt: „Schon zu Beginn meines Studiums war ich begeistert, wie enthusiastisch Ada Raev von ihrem Fach gesprochen und mit wie viel Freude sie ihre Lehrveranstaltungen abgehalten hat. Ada Raev hat vielen Studierenden – und so auch mir – einen eigenen Weg zu Kunst und Kultur eröffnet.“ Nicht zuletzt die gemeinsamen Exkursionen, von Prag und Wien über die Ukraine bis nach Georgien, seien ein Highlight gewesen. In der AULA säumen an diesem Abend Plakate einer Ausstellung der Kleinen Fächer-Wochen das Mittelschiff des Dominikanerbaus. Sie zeigen Impressionen eben jener Studienfahrten. „Diese Exkursionen tragen zur Nachhaltigkeit der Lehre bei“, erklärt Raev. „Bei den Exkursionen hat man nicht nur schöne, gemeinschaftsbildende Erlebnisse. Die Dinge, die in Seminaren besprochen werden, können die Studierenden so auch direkt auf sich wirken lassen – sozusagen eine Kommunikation mit dem Original.“
Kunst und Literatur können sich gegenseitig inspirieren
Bei der Abschiedsvorlesung kann Ada Raev zwar keine Kommunikation mit dem Original anbieten. Sie zeigt jedoch eindrücklich und anhand ausgewählter Bilder, wie der berühmte Schriftsteller Fëdor Dostoevskij über die Literatur hinaus auf seine Weise kunstaffin gewesen ist. Dostoevskijs Verhältnis zur bildenden Kunst ist das Thema. Dabei geht Raev insbesondere auf drei Aspekte ein: 1. Die kulturellen und persönlichen Umstände, welche Dostojevskij dazu bewogen haben, sich mit ganz bestimmten Kunstwerken unterschiedlicher Gattungen, Epochen und Länder zu beschäftigen. 2. Der prominente Status von Bildern in der russischen Kultur insgesamt und Dostoevskijs Verhältnis zur zeitgenössischen russischen Kunst als Privatperson, als Kunstkritiker und als Schriftsteller. 3. Dostoevskijs Verhältnis zur russischen Orthodoxie und der ihr von ihm zugeschriebenen Rolle für das Selbstverständnis der russischen Gesellschaft und deren Positionierung in der Welt.
„In ihrem Vortrag hat Ada Raev wunderbar gezeigt, wie Kunst und Literatur sich gegenseitig inspirieren können“, sagt Prof. Dr. Elisabeth von Erdmann, Inhaberin des Lehrstuhls für Slavische Literaturwissenschaft, nach der Vorlesung. „Es ist jetzt ein guter Zeitpunkt zu sagen, was es für ein Vergnügen war, mit dir zusammenzuarbeiten.“ Mit Ada Raev sei stets auch eine Heiterkeit an die Universität gekommen. „Es ist Ada Raev gelungen, Generationen von Studierenden für die Slavische Kunst- und Kulturgeschichte zu begeistern“, sagt Magdalena Burger.
Im Ruhestand wird Ada Raev eben jenen Kontakt mit jungen Menschen vermissen. „Das ist schon etwas, das einen auch selbst jung hält im Kopf.“ Die Kunstgeschichte bleibt aber weiterhin ein wichtiger Teil von Ada Raev. „Gerade bin ich dabei, einen Aufsatz über ein DDR-Künstlerpaar zu schreiben.“ Ein paar Artikel für das „Lexikon der Kunst“ stehen auch noch aus. „Außerdem würde ich gerne ein Buch über Marie Vassilieff, eine russische Künstlerin aus dem Umfeld der École de Paris, das ich bereits auf Russisch herausgegeben habe, ins Deutsche übersetzen und veröffentlichen.“ Ada Raev kann sich außerdem vorstellen, weiterhin mit Museen zusammenzuarbeiten, Katalogtexte für Ausstellungen zu schreiben. Doch erst einmal zieht es Raev im November nach Paris. „In der Stiftung Louis Vuitton gibt es derzeit eine Ausstellung über die russischen Kunstsammler Michail und Iwan Morosow. Die Brüder haben unglaubliche Kunstwerke zusammengetragen von Picasso über Matisse bis Gauguin.“