Gruselig? Großartig? – Liebe in Zeiten Künstlicher Intelligenz
Der Schaum in der Badewanne glitzert im Schein der Kerzen. Rosenblätter säumen den Rand der Wanne, auf dem ein großer, dunkelhaariger Mann mit strahlend blauen Augen sitzt, in der Hand zwei Sekttulpen. Alma betritt das Badezimmer und wirkt wenig erfreut ob des vermeintlich romantischen Anblicks, der sich ihr bietet. Tom, der dunkelhaarige Mann, sagt: „Das ist etwas, wovon 93 Prozent der deutschen Frauen träumen.“ Alma gehört offensichtlich zu den anderen sieben Prozent. Tom ist kein echter Mann, kein echter Mensch. Tom ist ein sogenannter humanoider Roboter mit einer Künstlichen Intelligenz (KI), der ganz auf den Charakter und die Bedürfnisse von Alma programmiert ist. Diesen Ausschnitt aus dem Film „Ich bin Dein Mensch“ aus dem Jahr 2021 zeigte Psychotherapeutin Dr. Dorothee Halcour am Nachmittag des Hegeltags. Die Frage, die sich aufdrängt: Ist die Vorstellung eines solchen Partners gruselig? Oder ist die Liebesbeziehung zwischen einem Menschen und einer Künstlichen Intelligenz unsere Zukunft? Etwa 20 Prozent der Deutschen glauben, dass Liebesbeziehungen zwischen Menschen und Maschinen künftig normal sein werden, berichtet Halcour.
Auch wenn der Einsatz von KI in Robotern wie Tom zumindest aktuell nicht in der Wirklichkeit angekommen ist, steht die Szene doch exemplarisch für eine philosophische Frage: Wie steht es um die Liebe in Zeiten Künstlicher Intelligenz? Der Hegeltag 2021, sozusagen die Hegelwoche im Kleinformat, bot am Sonntag, 14. November, Gelegenheit, sich genau über diese Frage Gedanken zu machen. Nach Grußworten von Oberbürgermeister Andreas Starke erklärte Prof. Dr. Christian Illies, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie II an der Universität Bamberg, dass die Liebe in einem Spannungsfeld zwischen dem Menschen als Naturwesen und den Herausforderungen der modernen Technik stehe. Referentin Prof. Dr. Katrien Schaubroeck bot in ihrem Vortrag eine moral-psychologische Sicht auf das Thema „Liebe und KI“. Schaubroeck ist Professorin für Philosophie an der Universität Antwerpen. Eine Perspektive von der Couch zeigte Dr. Dorothee Halcour, psychologische Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Bamberg. Zum Abschluss diskutierten die beiden Referentinnen sowie Christian Illies auf dem Podium.
Singlebörsen sind keine neutralen Orte der Begegnung
KI wird in Sachen Liebe schon in kleinerem Rahmen eingesetzt. Mikro-Gesichtsbewegungen beim ersten Date lassen etwa erkennen, wer langfristig zueinander passt und die Analyse von Diskussionsmustern will eine Prognose erlauben, wie lange eine gerade geschlossene Ehe halten wird. Und auch Dating-Apps arbeiten schon seit einer ganzen Weile mit Algorithmen, um immer bessere „Matches“ für ihre Nutzerinnen und Nutzer zu generieren. KI ist gut geeignet, um dem Menschen Routineaufgaben abzunehmen. Ein eigenes Bewusstsein oder Intentionen hat eine Künstliche Intelligenz jedoch nicht. Für eine partnerschaftliche Beziehung, die eben auch daraus besteht, dass beide Personen eigene Intentionen und Bedürfnisse haben, eignet sich eine KI laut Halcour nicht.
Zurück zu Partnerbörsen, die KI nutzen. Tinder gibt es beispielsweise seit 2012 und ist mit 75 Millionen Nutzerinnen und Nutzern die größte Dating-App der Welt, wie Katrien Schaubroeck berichtet. Sie stellt sich in ihrem Vortrag vor allem zwei Fragen: Ändert sich durch die Nutzung von Singlebörsen etwas an der Art und Weise, wie wir Liebe wahrnehmen? Und beeinflusst die Nutzung von Singlebörsen die ethischen Beziehungen zwischen Menschen? Die Accounts werden bei Tinder durch Algorithmen miteinander verknüpft. Dafür wird ein Verfahren zur Kategorisierung genutzt, das die Nutzerinnen und Nutzer in psychologische Typen untergliedert. Singlebörsen sind also keine neutralen, offenen Orte der Begegnung, sondern vorab entworfene, digitale Räume, worin Algorithmen auf Grund von generalisiertem Wissen über die Präferenzen bei der Partnerinnen- oder Partnerwahl dafür sorgen, dass jemand einigen Personen innerhalb der Singlebörse begegnet und anderen nicht.
Fragebögen ersetzen nicht die sprichwörtliche Chemie zwischen Menschen
Es gibt auch Dating Apps, die es erlauben, dass Nutzerinnen und Nutzer Profile auf Grund von Ethnizität filtern. „Rassismus ist auf Singlebörsen ein großes Problem“, so Schaubroeck. Dieser Auswuchs zeige uns etwas Fundamentaleres über die Vorstellung, die hinter der Benutzung dieser Börsen liegt: Die Vorstellung ist, dass Menschen wissen, warum sie jemanden lieben und, dass sie die Eigenschaften wie Größe, Hobbys oder Augenfarbe, worauf sich ihre Liebe stützt, auflisten können. „Obwohl ich denke, dass es in der Tat Gründe zum Lieben gibt, denke ich gleichzeitig, dass wir diese Gründe nicht artikulieren können ohne vorher jemanden geliebt zu haben“, erläutert Schaubroeck. Ähnlich sieht das auch Dorothee Halcour. Fragebögen in Partnerbörsen könnten die sprichwörtliche Chemie zwischen zwei Personen nicht nachstellen. Schaubroeck ergänzt: „Wir haben ohne das Lieben selbst keinen Einblick in die Gründe, die unser Lieben verursacht haben. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben diesen Einblick nicht.“
Es gebe zwar Tendenzen, die man bei sehr großen Gruppen beobachten kann. Beispielsweise gibt es Forschung dazu, dass spezifische Hormonkonzentrationen im Körper dazu führen, dass wir eine Person attraktiv finden oder nicht. Dennoch hält Katrien Schaubroeck Liebe für etwas, das sich nicht in Kategorien pressen lässt. „Die Vorstellung, dass KI besser als die Menschen selbst weiß, wen sie lieben können, ignoriert, dass die Algorithmen der KI nur auf Grund von Daten funktionieren, die Menschen darin eingeben.“ Und diese Eingaben basierten auf menschlichen Entscheidungen, auf Forschung, die eventuell unvollständig, voreingenommen oder falsch interpretiert worden ist. Zudem müsse man laut Halcour unterscheiden zwischen dem anfänglichen Gefühl der Verliebtheit und der sich gegebenenfalls daraus entwickelnden Liebe, in der es darum geht, sich dem anderen in der jeweiligen Andersartigkeit immer wieder neu zu begegnen und den Mut zu haben, sich zu zeigen. Dann ist Liebe weniger ein Gefühl, sondern mehr eine Fähigkeit, Handlung oder Entscheidung.
Liebe als Produkt?
Und ein weiteres Problem ergibt sich: „Unser menschliches Verlangen nach Liebe wird auf Singlebörsen für ein Unternehmensmodell eingesetzt, das die Liebe als etwas Käufliches darstellt, obwohl diese Auffassung von Liebe es nur noch schwieriger macht, dass wir die romantische Liebe finden werden“, so Schaubroeck. Die Liebe sei nicht käuflich. Jedoch sei es diese Auffassung der Liebe, die bei Singlebörsen entsteht. Dorothee Halcour sieht dieses Problem auch. Dennoch findet sie, dass KI oder sogenanntes Profilmatching auf Dating-Plattformen dazu beitragen kann, jemanden zu finden, der insofern zu einem passt, als dass er oder sie genügend Ähnlichkeit aufweist, um viel Harmonie zu haben, aber genügend Verschiedenheit, um gegenseitige Entwicklung zu gewährleisten. Denn in der Partnerschaft sei neben dem Eros, also der sinnlichen Liebe, auch die Philia, die freundschaftliche Beziehung, enorm wichtig. „Ähnliche Werte und Weltsicht, verbindende Interessen und gemeinsame Ziele sind eine gute Vorhersagevariable für die langfristige Beziehungsqualität“, so Halcour. Darüber hinaus prägten vor allem früh erworbene Bindungsstile sowohl die Partnerwahl als auch das Verhalten in Partnerschaften. Unter Umständen könnten hier Dating Apps hilfreich sein, um nicht immer in dieselben destruktiven Beziehungsfallen zu geraten. Neben dieser positiven Sicht bleibt aber auch: Weil Dating Apps nicht verschwinden werden und Unternehmen durch das Spielen mit dem menschlichen Verlangen nach Liebe weiterhin Geld verdienen werden, ist es wichtig, dass Apps in Zukunft nicht nur Präferenzen, die insbesondere das Aussehen betreffen, als Auswahlkriterium betrachten. Die Dating Apps sollten vielmehr auch Bindungsmuster und Eigenschaften, die die soziale Interaktion betreffen, als Indikatoren von Liebe einbeziehen.
Der Hegeltag fand in Kooperation mit der Stadt Bamberg und der Mediengruppe Oberfranken statt. Die nächste Hegelwoche ist für Juni 2022 geplant.