Nachhaltigkeit als Thema der Forschung

Mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen sich mehr Bamberger Forschende, als man zunächst vermuten würde. Vier von ihnen zeigen anhand verschiedener Fragen, was sie erforschen. Sie sind Expertinnen und Experten für Amerikanistik, Wirtschafsinformatik, BWL und Pädagogik. So unterschiedlich die Fachbereiche sind, so facettenreich sind auch ihre Forschungsergebnisse.


Welche Schnittstellen gibt es zwischen der frühen Umweltbewegung und US-amerikanischer Literatur?

Die Umweltkrise ist auch eine Krise der Vorstellungskraft, deshalb sind Literatur und Umweltbewegung untrennbar miteinander verbunden, gerade in den USA. Mitte des 19. Jahrhunderts  kam die amerikanische Literatur erstmals zur vollen Blüte – formal und inhaltlich autonom, radikal innovativ und international beachtet. Die scheinbar unbegrenzte Natur war ein zentrales Thema, und mehr noch: Sie wurde zur Basis eines neuen, demokratischen Ideals und bot formal-ästhetische Inspiration. Zeitgleich änderte sich der gesamtgesellschaftliche Blick auf die Umwelt. Galt die Natur bis dahin primär als zu überwindendes Hindernis und wirtschaftliche Ressource, sahen viele nun ihre Verletzlichkeit, ja Endlichkeit, und diskutierten ihren Wert an sich. Es ist kein Zufall, dass der Begriff  Ökologie in dieser Zeit geprägt wurde.

Die Literaturwissenschaft fragt nach dem Verhältnis dieser beiden historischen Wendepunkte und hat damit einen Paradigmenwechsel angestoßen: Die Literatur der Romantik gilt nun als Vordenkerin eines ganzheitlichen ökologischen Blicks – vor allem durch ihren Fokus auf eine neue Sprache, die es ermöglicht, das Zusammenspiel aller Lebensformen auszudrücken. Die amerikanische Lyrik von Walt Whitman und Emily Dickinson ist hierfür das schillerndste Beispiel. Wie zeigt sich das konkret? In der wertschätzenden Darstellung des kleinsten Grashalms und der „nutzlosesten“ Mücke in dynamischen Ökosystemen und als Basis globalen (Über-)Lebens. Im Ausloten menschlicher Abhängigkeit von der nichtmenschlichen Umwelt, bis in die eigene Körperlichkeit; in der Kritik an Kolonialismus und Domestizierung auch mit Blick auf Flora, Fauna, Land und Wasser. Im Bewusstsein des Scheiterns unserer Bemühungen um ein nicht-zerstörerisches Leben in und mit der Natur, bei gleichzeitigem Getragensein von eben dieser Vision. Und in der Skepsis gegenüber den Möglichkeiten des eigenen Schreibens,
gerade in der scheinbaren Vollendung von Whitmans weit ausholendem freien Vers und Dickinsons knapper Sprachkunst. Aus heutiger Sicht erschließt sich das radikale Umweltverständnis romantischer Literatur mit besonderer Vehemenz und verdichtet sich im Konzept der Umwelt-Demut, der environmental humility.

Prof. Dr. Christine Gerhardt,
Professur für Amerikanistik


Wie kann der E-Commerce nachhaltiger werden?

E-Commerce bezeichnet den elektronischen Handel mittels Internet. Dies ist eng verbunden mit der Logistik, da die gehandelten Waren gelagert, umgeschlagen und transportiert
werden müssen. Wie kann der E-Commerce nachhaltiger werden? Erstens durch die Vermeidung unnötiger Bestellungen und Retouren. Zweitens durch die ressourcenschonende Ver-
wertung von Überbeständen und Rücksendungen. Drittens durch die Verringerung des mit den notwendigen Logistikleistungen verbundenen CO2-Ausstoßes, beispielsweise durch Bündelung von Transporten und Einsatz von Elektro-Lieferwagen. Unser Lehrstuhl forscht zu allen drei Dimensionen.

Dabei besteht im Onlinehandel eine große Gefahr des Greenwashings, also des Versuchs von Unternehmen, ein grünes Image zu erlangen, ohne durchgängig so zu agieren. Einerseits werden Einzelmaßnahmen öffentlichkeitswirksam als besonders nachhaltig herausgestellt. Andererseits wird an unbeobachteten Stellen umweltschädliches Verhalten forciert. Wie passt es beispielsweise zusammen, dass sich führende Onlinehändler als nachhaltig bezeichnen, weil sie recycelbare Verpackungen nutzen, gleichzeitig aber neuwertige unverkaufte und retournierte Waren vernichten? Die Forschung des Lehrstuhls konnte in der Vergangenheit auf solche Missstände hinweisen und hat breite gesellschaftliche Debatten angestoßen. Diese beeinflussten zum Beispiel auf politischer Ebene eine Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, das nun eine Obhutspflicht für Unternehmen vorsieht und explizit auf Retouren eingeht. Die Frage, ob der Onlinehandel bereits proaktiv genug tut, um als wirklich nachhaltig zu gelten, ist demnach aktuell zu verneinen. Nachhaltigkeit im Onlinehandel betrifft jedoch gleichfalls
die Konsumentinnen und Konsumenten beziehungsweise deren Verhalten. In vielfältigen Forschungsprojekten analysiert der Lehrstuhl deshalb nicht nur das Bestellverhalten von Online-Shoppern, sondern auch, wie dieses im Sinne der Nachhaltigkeit beeinflusst werden kann. Als Forschende und Lehrende führen wir diesen kritischen Diskurs auch in unseren  Lehrveranstaltungen mit einer der Hauptzielgruppen des Onlinehandels: den Studierenden.

Prof. Dr. Eric Sucky und Dr. Björn Asdecker, Lehrstuhl für
Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik


Wie setzen Sie sich für eine nachhaltigere Bildung weltweit ein?

Nachhaltigkeit kann nur erreicht werden, wenn eine globale Perspektive eingenommen wird und Menschen aus dem Globalen Süden mit in den Blick kommen. Diese Forschungsperspektive nimmt die Allgemeine Pädagogik in doppelter Hinsicht ein. Zum einen geht es uns um das Globale Lernen in Deutschland und Europa. Wie wird die Komplexität weltgesellschaftlicher Entwicklung im Unterricht dargestellt? Was lernen Schülerinnen und Schüler in Begegnungsreisen im Globalen Süden? Welche Wahrnehmungen haben Migrantinnen und Migranten aus der Türkei über weltgesellschaftliche Zusammenhänge und wie beeinflusst diese Wahrnehmung das Verhältnis zur Demokratie? Das sind drei Beispiele für unsere Forschungsfragen. Diesen Themen ist gemeinsam, dass die abstrakte Sozialität des Planeten, also das solidarische Zusammenleben mit nicht bekannten Menschen, vermutlich eine andere Form der Sozialerziehung benötigt als das direkte, reale Zusammenleben.

Zum anderen geht es um Bildungsgerechtigkeit im Globalen Süden. Mit dem International Master Program on Educational Quality in Developing Countries bieten wir – gefördert durch Brot für die Welt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – eine Weiterbildung an: Sie ermöglicht es Führungspersönlichkeiten aus kirchlichen Schulsystemen aus Subsahara-Afrika, ihre Kompetenzen im Hinblick auf Unterrichtsentwicklung und Steuerung von Bildungssystemen zu vertiefen. Bis jetzt haben an diesem Programm 90 Studierende teilgenommen, die für mehr als 3,8 Millionen Schülerinnen und Schüler Verantwortung tragen. Dieses Programm wendet sich an kirchliche Schulen, da in den ärmeren Ländern der Staat in der Regel nur für 20 bis 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen Bildung anzubieten vermag und die christlichen Kirchen diese Bildungslücke zu schließen versuchen. Gleichzeitig forschen wir unter anderem im Bereich von Schulen in nicht-staatlicher Trägerschaft in Ländern, die von Armut betroffen sind.

Prof. Dr. Annette Scheunpflug,
Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik


Wie erkennt man automatisch, ob Wärmepumpen energieeffizient arbeiten?

Wärmepumpen können mit Hilfe von elektrischer Energie Wärme von einem Reservoir mit niedriger Temperatur in ein Reservoir mit höherer Temperatur transportieren. Diese Fähigkeit macht die Geräte zu einer wichtigen Säule der Energiewende: Erneuerbare Wärmeenergie, die auch an kalten Tagen in der Außenluft oder im Erdreich verfügbar ist, kann so zum Heizen von Räumen und zur Warmwasserbereitung dienen. Mit modernen Wärmepumpen lassen sich aus 1 kWh Strom über 4 kWh nutzbare Wärme gewinnen. Schlussendlich ersetzen Wärmepumpen fossile Energieträger, erhöhen aber den Bedarf an elektrischer Energie. Entsprechend wichtig ist ein effizienter Betrieb der Geräte nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch in der Praxis – und dies auch noch viele Jahre nach der Installation. Es ist jedoch eine komplexe Aufgabe, Wärmepumpen auszulegen und zu konfigurieren. Häufig werden Kennlinien bei der Installation zu großzügig eingestellt, und auch Fehler, die im Betrieb auftreten, erkennen Nutzerinnen und Nutzer nur selten.

Das Bits to Energy Lab an der Universität Bamberg und der ETH Zürich erforscht, wie sich fehlerhafte Einstellungen und technische Defekte aus der Ferne erkennen lassen. Dafür nutzt das Lab Verfahren der Künstlichen Intelligenz zusammen mit Lastgang-Daten, welche durch gängige elektronische Stromzähler (Smart Meter) verfügbar werden. Wetterdaten, Satellitenbilder und Referenzhaushalte helfen, die Verbrauchswerte einzuordnen und gestatten eine automatische Kosten-Nutzen-Bewertung möglicher Effizienzmaßnahmen. Dadurch wird eine gezielte Ansprache von Haushalten mit hohem Einsparpotenzial möglich. In einer Feldstudie mit über 250 Haushalten konnte das Forschungsteam belegen, dass sich durch eine Vorauswahl der Wärmepumpen, bei denen Maßnahmen ergriffen werden sollten, die durchschnittlichen Einsparungen von 640 kWh auf 1.800 kWh (circa 470 Euro) pro Jahr steigern lassen und zugleich rund die Hälfte der Vor-Ort-Besuche entfallen kann. Damit wird die Energiedienstleistung für die Haushalte und Anbieter attraktiv – und die Welt der elektronischen Stromzähler um einen
sinnvollen Anwendungsfall reicher.

Prof. Dr. Thorsten Staake, Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik,
insbesondere Energieeffiziente Systeme


Wie positionieren sich Landwirt*innen angesichts der starken Kritik an der Intensivtierhaltung?

Zwar wird öffentlich viel über Intensivtierhaltung, selten aber mit Intensivtierhalter*innen gesprochen, obgleich sie eine der wichtigsten Akteursgruppen für die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft bilden. Durch meine Befragungen auf bayerischen Geflügel- und Schweinehaltungsbetrieben ziehen sich vor allem drei Themen wie ein roter Faden: eine resignative Haltung gegenüber Verbraucher*innen, die von der Produktion entfremdet sind; Misstrauen gegenüber kritischen journalistischen Berichterstattungen; und das Empfinden, eine gesellschaftliche Randgruppe zu sein. Im Vordergrund steht die Angst der Befragten, im Zuge des anhaltenden Höfesterbens zur Betriebsaufgabe gezwungen zu werden. Die Aussagen bilden daher Anpassungen an Wachstumsdruck, selbstausbeuterisches Arbeitspensum und eine starke Verinnerlichung von Leistungsdenken ab. Dazu kommen aus Konkurrenzverhältnissen und angespannten Pachtmarkt-Situationen resultierende Vereinzelung, Entsolidarisierungsprozesse und psychische Negativfolgen. Meine Interviewpartner*innen räumen der Politik nur wenig bis kein Potenzial zur Lösung ihrer Probleme ein – zu stark sind aus ihrer Sicht Einschränkungen durch internationale Handelsbeziehungen, erschwerte einheitliche Regelungen durch die EU und die Macht der großen Player auf dem Lebensmittelmarkt.

Zudem entsteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den strenger werdenden tierschutzrechtlichen Vorgaben und deren Umsetzung in der Praxis. Ganz offen thematisierten die Landwirt*innen teils selbst das Scheitern von Kontrollmechanismen, die in erster Linie der Etablierung bürokratischer Strukturen dienen und anstelle von Tierwohl-Verbesserungen vor allem höhere Papierberge erzeugen. Wo eine Stellschraube im durchgetakteten, aufeinander abgestimmten System Intensivtierhaltung verändert wird, entstehen an anderer Stelle neue Probleme. Das Dilemma der Landwirt*innen besteht vor allem darin, dass die kulturellen Entwicklungen, die ihren moralischen Anerkennungsverlust bedingen, nämlich ein generell zunehmendes gesellschaftliches Hinterfragen von Wachstumsdruck und Produktivitätssteigerung, auf fehlende langfristig-politische Konzepte treffen.

Prof. Dr. Barbara Wittmann,
Juniorprofessorin für Europäische Ethnologie mit Schwerpunkt Immaterielles Kulturerbe