Bildung ohne Förderung
Die meisten deutschen Studierenden erhalten keine BAföG-Unterstützung und müssen andere Wege finden, sich zu finanzieren. In manchen Fällen lohnt sich auch der Weg zum Anwalt.
40.000 Euro Schulden werde sie nach zehn Semestern Jurastudium haben. Alina Fuchs (Name von der Redaktion geändert), 31, zuckt mit den Schultern und lehnt sich entspannt zurück, als sie das sagt. Vielleicht, weil sie sich ihrer Sache sicher ist. Vielleicht, weil sie inzwischen genau weiß, was sie will und bereit ist, es mit allen Mitteln zu erreichen, wenn nötig eben auch mit einem Kredit. Denn vom Staat wird sie nicht mehr finanziell unterstützt. Das Bundesausbildungsförderungs-gesetz (BAföG) soll zwar eigentlich dafür sorgen, dass ein Studium für jeden möglich ist – unabhängig von der finanziellen Situation der Familie.
Viele Fälle werden dabei aber nicht berücksichtigt. 82,4 Prozent der deutschen Studierenden erhalten kein BAföG und müssen andere Wege finden, ihr Studium zu finanzieren. Dazu gehören Spätanfänger wie Alina: Studierende, die sich erst ab 30 Jahren für ein Studium entscheiden.
Alina ist 31 Jahre, kommt aus Franken, hat nach ihrem Abitur zwei Semester Gymnasial-Lehramt in Bamberg studiert. Ein „Verlegenheitsstudium“ nennt sie es heute. „Ich wusste damals nicht, was ich machen wollte und die Sicherheit eines Beamtenjobs hat mich entspannen lassen“, sagt sie. Kurze Zeit später habe sie gemerkt, dass sie weder Sicherheit wollte, noch den Rest ihres Lebens in einer Schule verbringen. Als sie sich in einen Mann aus Berlin verliebte, brach sie kurzerhand ihr Studium ab und zog zu ihm. Dort kellnerte sie die nächsten fünf Jahre in einem kleinen Café, bis es im Februar 2015 schließen musste.
Was jetzt? Alina wollte sich neu orientieren, etwas machen, das sie forderte und ihr Spaß machte. Nicht mehr Menschen bedienen, sondern an Veränderung teilhaben. Sie recherchierte auf den Webseiten von Menschenrechtsorganisationen in Berlin und stellte fest, dass alle Jobangebote, die sie interessierten, in Rechtsabteilungen waren. „Die Möglichkeit, noch einmal ein Studium aufzunehmen, tendierte vor der Entscheidung für Jura gegen Null – rein der Finanzierung wegen“, stellt sie fest. „Jetzt aber wusste ich ganz klar: Ich will und werde das machen.“
Ihre einzige Möglichkeit, sich das Studium zu finanzieren, war, einen KfW-Studienkredit aufzunehmen. Der Kredit für Wiederaufbau fördert deutsche Studierende zwischen 18 und 44 Jahren bei ihrem im Erst- oder Zweitstudium oder der Promotion mit einem Jahreszins von 3,8 Prozent. Die monatlichen Auszahlungsbeträge werden je nach Bedarf auf 100 bis 650 Euro festgelegt. Alina hat sich für die Höchstsumme entschieden. Davon zahle sie 160 Euro an die Krankenversicherung, da es auch hier für über 30-Jährige keine Studentenermäßigung mehr gibt. Nach Abzug der Miete blieben nur etwa 200 Euro für Essen, Freizeit und sonstige Ausgaben. Deshalb hat sie sich zu Beginn ihres Studiums noch einen Nebenjob gesucht, etwa 600 Euro verdient sie sich dadurch im Monat dazu. Nach dreißig Stunden Uni in der Woche und 14 Stunden im Nebenjob bleibt nicht viel Zeit zum lernen.
Einen ähnlich engen Zeitplan haben viele Studierende. Laut der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hatten im Jahr 2012 circa 61 Prozent der Studierenden einen Nebenjob, für den sie durchschnittlich 13 Stunden in der Woche aufwendeten. Die meisten würden das tun, um sich etwas mehr leisten zu können. Für mehr als die Hälfte sei es aber notwendig, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Neben Spätanfängern wie Alina gibt es auch die, die eigentlich Anspruch auf BAföG haben – zumindest eine gewisse Zeit lang. Wer etwa die Regelstudienzeit überschreitet, bekommt kein Geld mehr. Laut dem Statistischem Bundesamt schaffen es aber nur 39 Prozent der Studierenden, ihre Prüfungen innerhalb dieser Zeit abzuschließen. Wer länger braucht, ohne anerkannte Gründe dafür angeben zu können, wie Krankheit, Schwangerschaft oder Behinderung, muss sich selbst finanzieren. Wenn ein Nebenjob nicht möglich ist, kann auch hier ein Kredit helfen. Für Studierende, die noch nicht 30 Jahre alt sind und kein BAföG mehr erhalten, gibt es das BAföG-Bankdarlehen mit einem Jahreszins von 1 Prozent. Die Höhe des Darlehens legt das Amt für Ausbildungsförderung fest.
In bestimmten Fällen kann es sich auch lohnen, rechtliche Beratung einzuholen. Peter Deutschmann ist Rechtsanwalt in Berlin für Sozialrecht, Strafrecht und Verwaltungsrecht und hat sich auf BAföG-Fragen spezialisiert. Er berät unter anderem Studierende, die ihre Fachrichtung wechseln, die die Förderungshöchstdauer überschreiten oder die den Leistungsnachweis, der normalerweise nach dem vierten Semester abgegeben werden muss, verspätet einreichen.
In besonders ernsten Fällen, wie Betrugsvorwürfen gegenüber Studierenden, die Vermögenswerte falsch angegeben oder ganz unterlassen haben, empfiehlt er, sich frühzeitig an einen Rechtsanwalt zu wenden, da die Vorwürfe ein Strafverfahren nach sich ziehen können. Auch Fälle, in denen sich Eltern weigern, Auskunft über ihr Einkommen zu geben, oder ihrem Kind keinen Unterhalt zahlen, obwohl sie dazu in der Lage sein sollten, können vor Gericht enden. Der erste Schritt wäre hier, beim BAfög-Amt Vorausleistung zu beantragen. Damit erhielte der Studierende den Unterhalt zunächst vom Amt, den eigentlich seine Eltern zahlen müssten. Dieses forderte dann das Geld von den Eltern zurück, was bis zu einer Unterhaltsklage führen kann, bei der das Kind als Zeuge auftritt.
Für einige Studierende kommen weder die Doppelbelastung eines Nebenjobs, noch eine Verschuldung oder der Weg vors Gericht in Frage und sie entscheiden sich schließlich gegen das Studium. In einer bundesweiten Befragung der Hochschulinformationssystem GmbH im Jahr 2008 gab jeder Fünfte der Exmatrikulierten an, sein Studium aufgrund finanzieller Probleme abgebrochen zu haben.
Alina hat das nicht vor.