Dissertation von Daniel Alt
Sanctus episcopus Das Bischofsideal von früh- und hochmittelalterlichen Bischofsviten im Spannungsfeld von Anspruch und Wirklichkeit, Herne 2013, ISBN: 978-3-944487-00-7
„Bekanntlich gehören Bischöfe zu den bestdokumentierten Persönlichkeiten des Mittelalters, mögen auch Quantität und Qualität der Überlieferung von Fall zu Fall recht unterschiedlich sein.“ Als zahlenmäßig häufigste Form hagiographischer Quellen des Mittelalters bieten die in der bisherigen Forschung eher marginalisierten Bischofsviten ein recht vielschichtiges (Ideal-)Bild der kirchlichen Amtsträger und ihrer Einbindung in die sozialen Gefüge der mittelalterlichen Lebenswelt. Spannungsreich ist eine Untersuchung schon allein deshalb, weil auf den ersten Blick nicht immer einsichtig ist, wie groß die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit auf Seiten des dargestellten Bischofs ist, und wo die Grenze zwischen Obskurantismus und Dilletantismus auf Seiten des Vitenschreibers gezogen werden kann.
Letzteres ist für dieses Dissertationsprojekt zunächst weniger von Interesse, als vielmehr das überlieferte Idealbild, unabhängig von seiner historischen Faktizität, sondern allein aus Sicht des darstellenden Autors. Ein solches Idealbild – verstanden als problemindikatorisches Axiom – liefert Einsichten in und Erkenntnisse für das Daseinsverständnis und die Handlungsrationalität des jeweiligen Amtsträgers und lässt notwendigerweise auch auf weltanschauliche Implikationen schließen; primär natürlich aus der Perspektive des Vitenschreibers. In diesem genuin theologischen Horizont – im Sinne Husserls als grundlegender Sinnkontext – erhalten wir Auskunft über typische Denkweisen, Geisteshaltungen, Empfindungen und Wertungen, Verhaltensweisen und Reaktionsmechanismen sowohl in individual-anthropologischer, wie sozio-kultureller Perspektive.
Anhand eines intra- wie intergenerationellen Vergleiches dieser Idealbilder können dabei nicht nur die entscheidenden Kriterien für die perfekte Amtsführung im Bewusstsein der jeweiligen Generation eruiert werden, sondern gleichfalls die in dieser (episkopalen) Identität wurzelnden Konfliktfelder, sowie deren literarische Verarbeitung. In seiner generationalen Relationalität steht das Idealbild offenbar immer im Spannungsfeld von tradierten Normen und Verhaltensweisen einerseits und den Bedürfnissen und Anforderungen der Gegenwart andererseits.
Damit ist eine Reihe von Fragen und Problemen aufgeworfen, die im Rahmen dieser Arbeit von entscheidender Relevanz sein sollen.
Zunächst einmal stellt sich die Frage, in welchem zeitlichen und geographischen Rahmen ein angestrebter Vergleich gezogen werden kann. Sinnvoll erscheint hierfür eine Eingrenzung auf den westeuropäischen Raum in der Zeit vom 7. bis zum 15. Jahrhundert, denn gerade in dieser Phase lässt sich ein länderübergreifender Vergleich weitaus unproblematischer ziehen als zu Beginn der kurz darauf einsetzenden „europäischen“ Staatenbildung.
Dadurch ergibt sich als zweites Auswahlkriterium die Beschränkung auf Viten von heiligen Bischöfen. Die Vorauswahl muss dabei ein zweifaches Anliegen berücksichtigen: Zum einen stellt sich die Frage, wie und ob ein Bischof überhaupt heilig werden kann. Zum anderen wirft sich damit das Problem auf, mit welchem methodischen Verfahren die angestrebten Kriterien aus einer Vita eruiert werden können. Ein Blick in die Forschung der letzten Jahre zeigt deutlich, dass hagiographische Quellen mit der historisch-kritischen Methode eher ergebnislos durchsucht wurden, da auf diese Weise nur schwer eine Trennlinie zwischen Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit gezogen werden kann. Hingegen scheint der literarhistorische Ansatz, der die Intention der Abfassung schärfer in den Blick nimmt, den Verständnishorizont des Vitenlesers erweitert zu haben. Dennoch erfuhr die Hagiographie in der deutschen Forschung bislang nicht denselben Stellenwert wie vergleichsweise in der französischen Wissenschaft. Ausnahmen bilden hier einschlägige Arbeiten von František Graus, Friedrich Prinz oder Karl Bosl, die sich schwerpunktmäßig auf die Merowinger- und die frühe Karolingerzeit beziehen. Was die Erforschung von Bischofsviten im Zeitalter der Ottonen und Salier betrifft, so haben gerade Stephanie Coué und Stephanie Haarländer wichtige Ergebnisse geliefert. Die angestrebte zeitliche und geographische Erweiterung dieser Arbeit im Hinblick auf die gesamteuropäische Dimension stellt damit ein Novum auf dem Gebiet der hagiographischen Forschung dar. Die Stichhaltigkeit bzw. Plausibilität des angestrebten Vorgehens konnte zumindest für den „deutschen“ Raum bereits im Rahmen meiner Magisterarbeit unter Beweis gestellt werden.
Zusätzlich konnten in diesem Zusammenhang wertvolle Einsichten für die Frage nach den Kriterien der Heiligkeit eines Amtsträgers gewonnen werden. Ob und in wieweit nun das Heiligenideal und das Bischofsideal kongruent sind, hängt im Wesentlichen von den Aufgaben der jeweiligen Bischofsgeneration ab und der Einstellung bzw. Wertung, die der Vitenschreiber der Erfüllung der verschiedenen Aufgaben beimisst. Dabei sind natürlich zuallererst die Bedingungen der Möglichkeit eines Bewerbers auf ein Bischofsamt zu klären. Welche Rolle spielen persönliche Eignung, wie die Herkunft, der Bildungsgrad und erste „praktische“ Erfahrungen in Diensten des Vorgängers oder am Hofe des Königs bei der Auswahl eines Kandidaten? Wieweit ist eine Wahl überhaupt beeinflussbar und welche Personen können maßgebend Einfluss auf die Ämterbesetzung nehmen? Auch hier kann anhand meiner Magisterarbeit konstatiert werden, dass in verschiedenen Gebieten ganze Generationen von Bischöfen von ein und derselben Familie gestellt wurden. Gleichwohl sei hierbei bemerkt, dass z.B. die Designation durch den Vorgänger kirchenrechtlich verboten war, was dem Vitenschreiber eine Menge rhetorischen Geschickes abverlangte, diesen vermeintlichen – und für den damaligen Leser oftmals evidenten – Makel seines Dienstherren zu kaschieren oder geradezu als positive Eigenschaft umzukehren.
Dieselbe Schwierigkeit bestand im übrigen auch bei der Beschreibung der Aufgaben eines Amtsträgers: Die weltliche Betätigung, wie der Dienst bei Hofe und die Sorge um eine geordnete Stadtverwaltung, gehörte zu den wesentlichen Tätigkeitsfeldern eines Bischof und konnte bis hin zum Kriegszug führen, stand aber in krassem Widerspruch zum geistlichen Idealbild und konnte geradezu eine Identitätskrise des Amtsinhabers heraufbeschwören. Eine Heiligsprechung – wie im Falle Bennos II. von Osnabrück – wurde dadurch geradezu unmöglich. Warum aber erlangte nicht mehr als eine Generation zuvor Ulrich von Augsburg beinahe ‚Kultstatus’, als er die Stadt nach zähem Ringen mit den Rivalen des Königs auch noch – natürlich nur mit einer Stola „bewaffnet“ – gegen die anstürmenden Horden der Ungarn verteidigte und dennoch ein Leben gemäß des monastischen Ideales führen konnte, das für den angestrebten Kanonisationsprozess unabdingbar gewesen sein muss? Es liegt nahe, dass die Ideal-Kriterien einem steten Wandel unterzogen waren, der einerseits in der literarischen Verarbeitung seinen Niederschlag fand, andererseits aber auch genau hierdurch erst verbreitet werden und in das Bewusstsein der jeweiligen Generation eingehen konnte, und schließlich, als die allmähliche Entwicklung eines Kanonisationsprozesses im 11. Jahrhundert einsetzte, zum festen Bestandteil einer Heiligsprechung wurde. Dass bestimmte Viten dabei nicht nur der Erinnerung an eine heiligmäßige Person dienten, sondern ebenso stilbildend auf andere Schreibergenerationen wirkten und darüber hinaus ebenso propagandistischen Zwecken unterworfen sein konnten, lässt sich schwerlich abstreiten. Ob und inwieweit sie daneben auch Einfluss auf das Bewusstsein und die Identität verschiedener Generationen nehmen konnte, hängt zum Wesentlichen auch von ihrem Leserkreis ab und kann dementsprechend nur im Einzelfall geklärt werden. Ihr Stellenwert als Informationsquelle für das Generationenbewusstsein und die „grundlegenden Elemente kollektiver Identität“ wurde in der bisherigen Forschung damit zu Unrecht unterschätzt.
Über den Autor:
Jahrgang 1982seit Oktober 2002: Studium für das Lehramt an Hauptschulen an der Universität Bamberg mit den Fächern Katholische Theologie, Deutsch, Geschichte, SportFebruar 2005: Erste Staatsprüfung im Fach Erziehungswissenschaftenseit April 2005: Magisterstudiengang in Katholischer Theologie, Nebenfächer: Geschichte, PhilosophieOktober 2006: Studienbegleitender Leistungsnachweis für das Lehramt an Hauptschulen für das Fach Katholische ReligionslehreFebruar 2007: Magisterarbeit mit dem Thema: "Der Wandel des Bischofsideals im Mittelalter. Eine Analyse der Bischofsviten heiliger Bischöfe vom 7. bis zum 12. Jahrhundert."