Innerhalb des der historischen Bauforschung zur Verfügung stehenden Methodenspektrums nimmt die wissenschaftliche Baudokumentation eine herausgehobene Stellung ein. Ihre Beherrschung ist die unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung von bauforscherischen Projekten – und dies unabhängig davon, ob die Projekte im Kontext der institutionalisierten Denkmalpflege, universitärer Forschung oder freiberuflicher Auftragsarbeiten angesiedelt sind. Einschlägige Expertise wird dabei nicht nur von den Ausführenden benötigt, sondern auch von Auftraggeber:innen, die in der Lage sein sollten, projektierte und fertiggestellte Dokumentationen bezüglich ihrer Qualitäten zu bewerten. Durch den Arbeitsbereich „Bauforschung“ wird diese Methode nicht nur in die Projekte des KDWT eingebracht und beständig weiterentwickelt, sondern innerhalb des Masterstudienganges „Denkmalpflege“ an der Universität Bamberg auch intensiv vermittelt (Abb. 1) und in vielen daraus erwachsenden Qualifikationsarbeiten eingesetzt.
Durch die Ausbildung von Bauforscher:innen und die Durchführung von Projektarbeiten im eigenen Hause sowie durch die intensive Zusammenarbeit mit Praktiker:innen aus der staatlichen Denkmalpflege, aus staatlichen Bauämtern und freiberuflichen Ingenieurbüros verfügt das Fachgebiet „Bauforschung“ über einschlägige Erfahrungen, um sowohl kongruierende als auch divergierende Vorstellungen benennen und bewerten zu können, die die beteiligten Akteure und Akteurinnen als Qualitätsmaßstäbe an wissenschaftliche Baudokumentationen anlegen. Der seit 1982 an der Bamberger Universität angesiedelte Studiengang „Denkmalpflege“ zeigt jedes Studienjahr aufs Neue, mit welchen – teilweise nur rudimentären – Kenntnissen zur Dokumentation historischer Bauten Studierende in den einschlägigen Fächern wie Architektur, Bauingenieurwesen, Restaurierung, Archäologie und Kunstgeschichte ausgestattet werden, wie diese Grundkenntnisse in Bamberg präzisiert und erweitert werden können und welche – allerdings in einem viersemestrigen Studium nur begrenzt zu vermittelnde – Erfahrungen und Routinen für die tatsächliche berufliche Praxis zusätzlich benötigt werden.
Als besonderes Manko sowohl für die Ausbildung als auch für die erfolgreiche Projektdurchführung mit Beteiligten unterschiedlicher Fachrichtungen in der späteren beruflichen Praxis erweist sich das Fehlen eines praxisorientierten Leitfadens und von verschriftlichten Empfehlungen, die über Möglichkeiten, Grenzen, Standards und Qualitätsmerkmale wissenschaftlicher Baudokumentationen detailliert informieren. Weder den Verfasser:innen noch den Nutzer:innen einer Baudokumentation stehen derzeit validierte und anhand nachvollziehbarer Kriterien geordnete Beispiele und Erläuterungen zur Verfügung, die eine für alle Beteiligte verständliche Diskussion über Inhalte, Produkte und Techniken einer Baudokumentation zulassen und die das derzeit verfügbare Spektrum sinnvoll einsetzbarer Techniken vollumfänglich abbilden und mit dem Fokus auf die Baudokumentation bewerten.
Die zur Thematik bislang erschienenen Handbücher und Leitfäden spiegeln strukturell zumeist den fachlichen Schwerpunkt ihrer Autor:innen wider, denn sie sind entweder von an historischen Bauten interessierten Architekt:innen und Archäolog:innen auf der einen oder von Vermessungsingenieur:innen auf der anderen Seite verfasst. Die unterschiedlichen Sichtweisen manifestieren sich am deutlichsten in den Betrachtungen zum viel diskutierten Begriff der Genauigkeit erhobener Daten. Vereinfachend lassen sich die Standpunkte wie folgt zusammenfassen: Die erste Gruppe von Autor:innen stellt die inhaltliche Genauigkeit einer Dokumentation in den Vordergrund und betont zu Recht, dass beispielsweise die messtechnisch hochpräzise Erfassung millionenschwerer Punktwolken keinen inhaltlichen Wert hat, wenn die oftmals winzigen und versteckt liegenden Hinweise nicht erkannt und erfasst werden, die das konstruktive und historische Verständnis für ein Bauwerk erst ermöglichen (Abb. 2). Die zweite Gruppe von Autor:innen betrachtet dagegen vorwiegend die messtechnische Genauigkeit der eingesetzten Verfahren und betont – wiederum zu Recht, dass eine zuverlässige und für unterschiedliche Fragestellungen verwendbare Baudokumentation nur diejenige sein kann, in der jeder Messpunkt eine quantifizierbare und somit nachvollziehbare Zuverlässigkeit besitzt. Der Umgang mit zufälligen, systematischen und groben Messfehlern sowie mit Standardabweichungen ist für jede Geodät:in eine Selbstverständlichkeit, bei vermessungstechnischen Laien jedoch stößt deren Erkennen und Bewerten auf Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Auch die Hersteller:innen von vermessungstechnischer Hard- und Software spielen in diesem Spannungsfeld eine wichtige Rolle, denn sie integrieren immer komplexere technische Vorgänge in immer benutzerfreundlichere Geräte und Nutzeroberflächen. Dadurch und mit Hilfe ihrer Verkaufspolitik fördern sie die Anwendung durch vermessungstechnisch Laien.
Natürlich haben beide Seiten recht, denn eine Baudokumentation hat sowohl in inhaltlicher als auch technischer Hinsicht genau zu sein, um vor allem eines zu gewährleisten: Die zuverlässige Beantwortung von Fragen, die zum Zeitpunkt Ihrer Erstellung noch nicht gestellt wurden. Das Erfüllen der aus den unterschiedlichen Fachdisziplinen gestellten Genauigkeitsanforderungen erfordert Expertise und Aufwand. Der jeweils angemessen erscheinende Aufwand und die nötige Expertise werden von den beteiligten Fachdisziplinen jedoch durchaus unterschiedlich bewertet – und dies vor allem, wenn es um die Genauigkeitsanforderungen der jeweils „fremden“ Fachdisziplin geht. Die Bamberger Empfehlungen zur Baudokumentation sollen hier eine Brücke schlagen.
Die Struktur der in diesem Projekt entstehenden Empfehlungen spiegelt die Reihenfolge der Entscheidungsfindungsprozesse in einem Projekt zur Baudokumentation wider. Daher gilt es zunächst, Bauteileigenschaften zu definieren, die durch eine Baudokumentation überhaupt erfasst werden sollen. Bauteileigenschaften wie Geometrie, innere Logik, Materialität, Oberflächenbeschaffenheit, Fügungstechnik und Herstellungsspuren sind entscheidend für die inhaltliche Detaillierung und Aussagekraft einer Baudokumentation. Ihre korrekte Erfassung ist in besonderem Maße von der Erfahrung der Aufnehmenden mit unterschiedlichen Baumaterialien und in unterschiedlichen kulturellen Kontexten abhängig. Der Gemeinplatz „Man sieht nur, was man weiß“ kann für Baudokumentationen in „Man dokumentiert nur das richtig, dessen Sinn man verstanden hat“ umformuliert werden. Der Gemeinplatz steht aber zugleich für eine Beschränkung, über die eine gute Baudokumentation eigentlich hinausgehen sollte. Die Dokumentation ist ein Vehikel, den eigenen Wissenshorizont zu erweitern und sollte im Idealfall auch Dinge korrekt erfassen, deren Sinn die Aufnehmenden zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht verstanden haben. Die Empfehlungen wollen in diesem umfangreichen Feld Hilfestellungen geben und dazu typische Bauteileigenschaften vorstellen sowie Vorschläge zu ihrer verbalen und graphischen Beschreibung liefern. Der Katalog umfasst Bauteileigenschaften, die bereits als relevant für bauhistorische Erkenntnisse erkannt wurden und soll den Aufnehmenden für die zu erwartenden Phänomene und deren Bedeutung sensibilisieren. Dieser Abschnitt der „Empfehlungen“ ist eng verknüpft mit dem ebenfalls am KDWT angesiedelten Projekt der Schlüsselbefunde.
Im zweiten Teil der Empfehlungen werden die Produkte der Baudokumentation vorgestellt, um Hilfestellungen für die Wahl der Ergebnisformen zu liefern. Verbale Beschreibungen, händische und computergenerierte Strichzeichnungen, virtuelle Volumenmodelle, 2D-Punktwolken (Photographien), 3D-Punktwolken, Oberflächenmodelle sowie Hybridprodukte in allen denkbaren Kombinationen (Abb. 1) besitzen Stärken und Schwächen, die es durch gezieltes Kombinieren zu nutzen bzw. aufzuwiegen gilt. Die Produkte werden dabei im Unterschied zu den gängigen Darstellungen losgelöst von den zu ihrer Herstellung nötigen Techniken betrachtet. Dadurch können Auswahlkriterien formuliert werden, die unabhängig von den sich permanent wandelnden Herstellungstechniken sind. Die Anwender:innen sollen damit in die Lage versetzt werden, Vor- und Nachteile sowie Qualitäten auch ohne detaillierte Kenntnis der zugrundeliegenden Techniken beurteilen zu können.
Integraler Bestandteil darin wird ein nach Bauteilarten, Detaillierungsstufen und Darstellungsformen geordneter Katalog beispielhafter Erfassungen sein. Durch die Aufgliederung der Beispiele nach Bauteilarten wie z.B. Fachwerkgefüge, Natursteinmauerwerk, Betonskelette, Stahlträger, Türen oder Fenster wird verdeutlicht, dass innerhalb einer Baudokumentation in Abhängigkeit vom Charakter eines Bauteils sehr unterschiedliche Detaillierungsstufen und Darstellungsformen möglich sind (Abb. 3). Damit soll einer differenzierten und die Möglichkeiten der digitalen Techniken besser nutzenden Definition von Dokumentationsleistungen der Weg geebnet werden, denn bislang ist es immer noch vielfach üblich, für Baudokumentationen sog. Detaillierungs- oder Genauigkeitsstufen pauschal festzulegen und die unvermeidlichen Einzelentscheidungen letztlich den Aufnehmenden zu überlassen.
Zunehmend wird an Baudokumentationen die Forderung nach nahtloser Fortschreibungsfähigkeit gestellt, was im Interesse der nachhaltigen Nutzung auch wissenschaftlicher Leistungen nur zur verständlich ist. Das Aufzeigen von Möglichkeiten zur Sicherung der Fortschreibungsfähigkeit von Baudokumentationen rundet den zweiten Teil ab.
Erst im dritten Teil widmen sich die Empfehlungen den eingesetzten Techniken. Diese Struktur soll zum Ausdruck bringen, dass die Wahl von Erfassungstechniken am Ende der Projektplanung steht, wenn vor allem die zu erstellenden Dokumentationsprodukte und die darin zu erfassenden Inhalte definiert sind. Die Empfehlungen können hier allerdings keine spezialisierten Handbücher zu den einzelnen Techniken wie etwa Terminologie, händisches Messen, Photographie, Tachymetrie, Photogrammetrie, Scantechniken, GNSS oder Georadar ersetzen. Der auf Baudokumentationen zugeschnittene Schwerpunkt wird vielmehr in den Verfahrenskombinationen und den sich daraus ergebenden Arbeitsabläufen liegen. Es sollen Entscheidungshilfen zu deren Auswahl und Hilfestellung zur Definition der Schnittstellen zwischen den einzelnen Techniken geboten werden.
Die Erfahrungen in den Projekten des KDWT und der Lehre des Masterstudienganges Denkmalpflege zeigen ferner, dass für unzuverlässige und nicht nachvollziehbare Ergebnisse, die mit diesen Techniken erzielt wurden, sehr oft keine der Technik immanenten Fehler verantwortlich sind. Vielmehr sind es zumeist Unsicherheiten und schlichtweg mangelnde handwerkliche Erfahrung im Umgang mit den hochkomplexen Systemen durch die Anwender:innen, die Fehler in Größenordnungen generieren, die alle technik-immanenten Fehler übersteigen. Die Empfehlungen sollen hier Hinweise zum praktischen Umgang mit den Techniken sammeln, die keinen Eingang in die einschlägigen Handbücher gefunden haben und die auf den langjährigen Lehrerfahrungen im Masterstudiengang Denkmalpflege basieren. Ziel ist es, ein ausgeprägtes Bewusstsein für die bei den eingesetzten Techniken geltenden technischen Qualitätskriterien zu schaffen, doch dabei deren Praxisrelevanz nie aus den Augen zu verlieren.
Die Bamberger Empfehlungen zur Baudokumentation richten sich sowohl an Ausführende als auch an Nutzer:innen und Auftraggeber:innen von Baudokumentationen. Dadurch soll es für alle Akteur:innen leichter werden, sich über geplante und tatsächlich erzielte Qualitäten von Baudokumentationen klar zu werden. Ausführende können ihre bestehende Expertise prüfen und erweitern, während Auftraggeber:innen das Spektrum des Machbaren kennenlernen, um besser zwischen Aufwand und Nutzen abwägen zu können.
Giese, Jürgen: Bamberger Empfehlungen zur Baudokumentation, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 108-111 (http://dx.doi.org/10.20378/irb-54270).
Giese, Jürgen: Im Dschungel der Aufmaßprodukte. Ergebnisformen der Bauvermessung gezielt auswählen, ausschreiben und nutzen, in: Breitling, Stefan / Giese, Jürgen (Hg.): Bauforschung in der Denkmalpflege. Qualitätsstandards und Wissensdistribution, Forschungen des Instituts für Archäologische Wissenschaften, Denkmalwissenschaften und Kunstgeschichte 5, Bamberg 2018, 143-161 (https://doi.org/10.20378/irbo-51734).
Giese, Jürgen / Ruppe, Ulrich / Schneider, Peter I. / Schnelle, Mike: Überlegungen zur systematischen Beschreibung und Präsentation von Befestigungsanlagen, in: Müth, Silke / Schneider, Peter / Schnelle, Mike / de Staebler, Peter (Hg.): Ancient Fortifications: A Compendium of Theory and Practice, Oxford 2016, 40-60.
Giese, Jürgen: Mit Laptop, Lot und Laserscanner? Lehrerfahrungen im Fach "Baudokumentation" an der Universität Bamberg, in: Heine, Katja (Hg.): Von Handaufmaß bis Hightech III, Mainz 2011, 122-130.
Giese, Jürgen: Das Aufbaustudium Denkmalpflege in Bamberg als Weiterbildungsangebot für Archäologen, in: Wunsch und Wirklichkeit. Alternative Berufschancen für Archäologen, Colloquium Marburg 2000, Münster 2001, 218-223.
Zitationshinweis für diesen Artikel / Parallelpublikation:
Giese, Jürgen: Bamberger Empfehlungen zur Baudokumentation, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 108-111 (http://dx.doi.org/10.20378/irb-54270).