Adelssitze des Mittelalters und der frühen Neuzeit bilden für die disziplinenübergreifende integrative Erfassung und Erforschung eine besonders geeignete Denkmalgruppe. Sie sind zahlreich in der Fläche verbreitet, berichten von Machtausbau und Repräsentation, vereinen alltags-, wirtschafts-, bau-, kunst- und bautechnikgeschichtliche, archäologische sowie kulturgeographische Aspekte und liefern Informationen auf allen Maßstabsebenen vom siedlungsgeographischen Umfeld bis hin zum einzelnen Buckelquader. Darüber hinaus sind Adelssitze eng mit der umgebenen Landschaft verbunden, sei es durch ihre naturräumliche Lage, die ökonomische Vernetzung mit dem Herrschaftsterritorium, örtlich ansässige Adelsgeschlechter oder einfach durch die für ihre Errichtung genutzten lokalen Baumaterialien.
Weil die Bauforschung als Schnittstellendisziplin eine Vermittlerrolle zwischen kulturhistorischen Fächern und Natur- sowie Ingenieurswissenschaften einnimmt, weil darüber hinaus die Bamberger Bauforschung auf vielfältige Erfahrungen bei der Erforschung von Burgen und Schlössern zurückblicken kann und schließlich, weil fachübergreifende Vernetzung sowie innovative methodische und technische Kompetenzen zu den Leistungsmerkmalen des KDWT gehören, bildet die bayernweite integrative Erfassung dieser Denkmalgruppe einen besonderen Zukunftsschwerpunkt innerhalb des Arbeitsbereichs.
Ausgehend von einem Vorprojekt zu Burgen und Schlössern im Altmühltal wird die erarbeitete Digitalisierungsstrategie nun auf alle Adelssitze im Bundesland angewendet (Digitale Erfassung der Burgenlandschaft Altmühltal).
Zur Durchführung der Aufgabe steht dem Projektteam eine eigens programmierte, webbasierte Plattform zur Verfügung. Diese verknüpft Ereignisse der Bau- und Herrschaftsgeschichte, bauliche Anlagen sowie ihre Einzelelemente, Adelsfamilien und Bauschaffende miteinander und legt diese Informationen in hochstrukturierten XML-Dateien ab. Ein Vorteil dieses Vorgehens liegt zum einen in der flexiblen Nachnutzbarkeit der Informationen innerhalb ganz anderer Systeme. Zum anderen enthalten die Editionen zu jedem Adelssitz miteinander referenzierte Daten unterschiedlicher Fachbereiche. Sie ermöglichen feingranulare Abfragen, die auf unterschiedlichen Differenzierungsebenen mehrere Fachperspektiven einbeziehen.
Das Ziel des genannten Vorprojektes bestand vor allem in der Aggregation des vielfältig bereits vorhandenen Wissensstandes. Verstreute Publikationen der letzten mehr als 100 Jahre Burgenforschung, wie auch zeitgenössische Abbildungen und Familienchroniken bildeten einen wesentlichen Grundstock. Auf der anderen Seite wurde die bauliche Anlage eines jeden Adelssitzes als semantisches Graphenmodell abgebildet. Der Detaillierungsgrad reicht dabei bis hin zu Einzelelementen wie Fensterformen, Werksteinbearbeitungsspuren und Baumaterialien (siehe dazu auch: Semantische Modellbildung in der Bauforschung). Wesentlich für die wissenschaftliche Auswertung des Materials in der historischen Bauforschung sind aber vor allem die vielfältig angelegten Querbezüge zwischen den Ereignissen der historischen Überlieferung und den im semantischen Modell definierten Bauteilen. Weil die Daten in hochstrukturierter Form vorliegen, ist deren Analyse mit quantitativen Methoden möglich, wodurch sich Ergebnisse statistisch belegen lassen.
Die nahezu unendlichen Kombinationsmöglichkeiten des Datenmaterials für Forschungszwecke können im Folgenden nur schlaglichtartig und beispielhaft aufgezeigt werden.
Zu den bisher knapp 300 inventarisierten Burgen und Schlösser im Altmühltal wurden fast 4.500 historische Ereignisse aus der Fachliteratur erfasst. Weil jedem dieser Ereignisse entsprechende Klassen und Typen zugeordnet sind, lässt sich der Quellenwert dieser Sammlung hinsichtlich der an der Erforschung von Adelssitzen beteiligten Disziplinen sehr schnell überblicken. In der Datensammlung sind bisher 3.887 rein historische und 1.669 baugeschichtliche Ereignisse aufgenommen (mehrfache Klassenzuweisung ist möglich). Die Zahlen bestätigen den Eindruck des Bearbeiterteams, dass Adelssitze vornehmlich aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive betrachtet wurden. Bauhistorische Analysen sind zumindest flächendeckend bisher ein Desiderat.
Weil jedem Ereignis ferner Beginn- und Enddaten zugeordnet sind, lässt sich zügig deren chronologische Verteilung analysieren (Abb. 2). Histogramme stellen Laufzeiten und Schwerpunkte mit statistischen Mitteln heraus. Thesen und Fragestellungen lassen sich auf diese Weise zügig graphisch überprüfen und verwerfen oder detaillierter ergründen. Verlinkungen zu Adelsfamilien und Bauschaffenden erlauben die Einbeziehung der historischen Akteure, Verknüpfungen der Quellen, Autor:innen und Quellenarten ermöglichen jederzeit Quellenkritik bis hinunter zum einzelnen Ereignis.
Auf vergleichbare Weise können mithilfe der hochstrukturierten digitalen Baubeschreibungen der Überlieferungszustand des Sachzeugnisses oder typologische sowie chronologische Analysen des vorhandenen Baubestands durchgeführt werden. Zu den knapp 300 Adelssitzen wurden fast 6.000 Einzelelemente wie Einzelbauten, Teilelemente, Mauerwerke, Infrastrukturelemente etc. gelistet und ebenfalls mit Typen- und Formbegriffen, gelegentlich auch mit ihren Abmessungen ausgezeichnet. Weil diese Objekte desgleichen mit den Ereignissen verknüpft sind lassen sich in Datenabfragen nicht nur massenhaft Beziehungen zu Adelsfamilien und Bauschaffenden herstellen. Vor allem die Referenzierung von Jahreszahlen erlaubt die statistisch gestützte Analyse von Laufzeiten bestimmter Bauweisen, formaler Moden und typologischer Neuerungen (Abb. 3).
Schließlich dient die Aufnahme von Geokoordinaten sowie die Anfertigung interaktiver Pläne der Einbeziehung der räumlichen Dimension von Informationen, seien sie nun historischer oder baugeschichtlicher Natur. Der Wert von Plänen – also die kleinere Maßstabsebene – für die Erforschung und Vermittlung von Burgen und Schlössern wurde an anderer Stelle bereits erwähnt (siehe dazu: Digitale Erfassung der Burgenlandschaft Altmühltal). Die spatio-temporale Auswertung der Geokoordinaten von Objekten und Ereignissen ermöglicht demgegenüber vor allem die kulturgeographische Analyse des Materials (Abb. 4 und 5). Erst das Zusammenspiel zeitlicher und räumlicher Aspekte in Diagrammen und Karten erlaubt die differenzierte Betrachtung geschichtlicher und architektonischer Phänomene und deren Einordnung in den kulturhistorischen Kontext. Interdisziplinäres, eng miteinander referenziertes Datenmaterial ermöglicht folglich fachübergreifende Forschung.
Nach nun weitestgehend erfolgreichem Abschluss der Datenerhebung zu Burgen und Schlössern im Altmühltal ist zunächst direkt im Anschluss die umfassende Auswertung nach oben beschriebenem, nur schlaglichtartig aufgezeigtem Muster geplant. Die Analysen dienen der Evaluation der Methode hinsichtlich der wissenschaftlichen Aussagekraft.
Parallel dazu wird die Datensammlung fallbezogen ausdifferenziert und nachverdichtet. So sollen beispielsweise die Ergebnisse neuerer Forschungen zu Einzelphänomenen wie Treppenräumen und Baumaterialien einfließen und die Fortschreibbarkeit und Anschlussfähigkeit des Materials belegen. Desgleichen werden Dokumentationen zu Burgen und Schlössern außerhalb des Altmühltals aus früheren Forschungen und laufen bayerisch-tschechischen Vorhaben der digitalen Inventarisierung fortlaufend zugeführt.
Auf der anderen Seite fließen schon jetzt die Daten auch in Fremdportale. Regelmäßig wird der Gesamtbestand in die Datenbank Ebidat des Europäischen Burgeninstituts mithilfe einer Schnittstelle migriert. Weitere Schnittstellen zum datenaustausch mit dem Monumentalbauarchivsystem MonArch sind bereits begonnen worden.
Es ist geplant, in näherer Zukunft durch einen Großantrag den gesamten Bestand von etwa 4.500 Burgen und Schlössern in Bayern zu erfassen und den beteiligten Disziplinen wie Geschichte, Bauforschung, Kunstgeschichte, Kulturgeographie sowie Archäologie – natürlich auch der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Breitling, Stefan / Arera-Rütenik, Tobias: Das Baudenkmal im Wissensraum. Perspektiven der Burgen- und Schlösserforschung in der digitalen Welt, in: Deutsche Burgenvereinigung (Hrsg.): Burgenforschung aus Hessen. Zweites Hessisches Burgensymposium auf Schloss Hirschhorn, Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung B 19, Braubach 2024, 135-152.
Breitling, Stefan / Arera-Rütenik, Tobias: Burgen und Schlösser Bayerns. Integrative Erfassung einer Denkmallandschaft, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 116-119 (http://dx.doi.org/10.20378/irb-54270).
Arera-Rütenik, Tobias: Digitale Erfassung der Burgenlandschaft Altmühltal. Wissensdistribution in die Öffentlichkeit, in: Arera-Rütenik, Tobias / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2016-2018, Berichte des KDWT 1, Bamberg 2019, 64-67 (http://dx.doi.org/10.20378/irbo-54686).
Zitationshinweis für diesen Artikel / Parallelpublikation:
Breitling, Stefan / Arera-Rütenik, Tobias: Burgen und Schlösser Bayerns. Integrative Erfassung einer Denkmallandschaft, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 116-119 (http://dx.doi.org/10.20378/irb-54270).