Die Erforschung der „Allee der Vulkane“ in Ecuador gehörte zu den Höhepunkten der Forschungsreise Alexander von Humboldts nach Südamerika. Das am Fuße des Antisana gelegene Landgut (Abb. 1), auf dem Humboldt vom 15. auf den 16. März 1802 sein Basislager für einen Besteigungsversuch des über 5.700 m hohen Vulkans aufschlug, gehört zu den wenigen baulichen Zeugnissen, die mit der Anwesenheit des Forschers auf dem Kontinent in Verbindung gebracht werden können und wird auch in politischer Hinsicht als völkerverbindender Erinnerungsort für die ecuadorianische wie deutsche (Wissenschafts-)geschichte angesehen.
Im Hinblick auf eine anstehende notwendige Instandsetzung der bestehenden Berghütte sollte eine bauforscherische Voruntersuchung die Grundlage für den denkmalgerechten Erhalt des bedeutenden Baudenkmals bieten. Dafür fand sich ein internationales Team aus Bauforschern der Universität Bamberg, der Denkmalpflegerin Annegret Haseley und der Architektin María José Freire Silva von der Universidad Central del Ecuador zusammen. Außerdem sollte als Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Forschung über die zu ermittelnde Baugeschichte des Gebäudes der Bauzustand zur Zeit von Humboldts Aufenthalt rekonstruiert werden.
Ausgehend von einer Vermessung des Gebäudes mittels Tachymetrie und Structure-from-Motion-Verfahren zur Erstellung eines verformungsgerechten Plansatzes und einer bauforscherischen Befunduntersuchung wurde die Baugeschichte über die relative Chronologie der auszumachenden Bauabschnitte geklärt und durch Anhaltspunkte aus Quellen mit Datierungen versehen (Abb. 2). Zum Verständnis des hochandinen Hausbaus wurden die baukonstruktiven Details zeichnerisch und fotografisch aufgenommen, die konstruktiven Probleme des Bauwerks ausgemacht und die Genese vorhandener Schäden als Grundlage für die Erarbeitung eines Erhaltungskonzepts analysiert (Abb. 3). Schließlich konnte über eine Auswertung von Reiseberichten diverser Andenforscher, beginnend bei Humboldts Tagebucheintrag von 1802 bis hin zu Publikationen des frühen 20. Jahrhunderts, der Nutzungszusammenhang nachvollzogen und Anhaltspunkte zur Datierung einzelner Bauphasen abgeleitet werden.
Mit der bauforscherischen Untersuchung konnten für die internationale Humboldt-Forschung wesentliche neue Erkenntnisse zu den Umständen von Humboldts Aufenthalt am Antisana gewonnen werden, die in Teilen den bisherigen Forschungsstand zur Nutzung der Hütte durch Humboldt revidieren. Ferner dürften die Arbeiten in der deutschsprachigen Forschung den ersten Beitrag zum Verständnis der hochandinen Bautradition darstellen. Eine Veröffentlichung dieser wichtigen Forschungsergebnisse ist derzeit in Vorbereitung.
Die im Rahmen des Forschungsprojekts erzeugten formtreuen Planzeichnungen und photogrammetrischen Ansichten sowie die bauforscherische Befund- und Schadensdokumentation wurden dem Grundstückseigentümer Fondo para la protección del agua (FONAG) und den künftig beteiligten ecuadorianischen Architektur- und Ingenieurbüros in vollem Umfang zur Verfügung gestellt. Auf Basis dieser Grundlagen können nun die Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen für die durch das raue Bergklima sowie die seismische Aktivität beeinträchtigte Bausubstanz ausgearbeitet und damit der langfristige denkmalgerechte Erhalt des wertvollen baulichen und historischen Zeugnisses der deutsch-ecuadorianische Wissenschaftsgeschichte in Zukunft gewährleistet werden.
Salzer, Leonhard / Nöbauer, Anna / Arera-Rütenik, Tobias: Die "Casa Humboldt" in Ecuador. Bauforschung und Bauerhalt im internationalen Kontext, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 124-125 (http://dx.doi.org/10.20378/irb-54270).
Salzer, Leonhard / Nöbauer, Anna: (Auf) Humboldts Spuren. Eine bauforscherische Untersuchung der "Casa Humboldt" am Antisana in Ecuador, in: HiN - Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien 22/43, 2021, 65-82 (http://dx.doi.org/10.18443/309).
Zitationshinweis für diesen Artikel / Parallelpublikation:
Salzer, Leonhard / Nöbauer, Anna / Arera-Rütenik, Tobias: Die "Casa Humboldt" in Ecuador. Bauforschung und Bauerhalt im internationalen Kontext, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 124-125 (http://dx.doi.org/10.20378/irb-54270).