Berlin-Exkursion am 26. und 27. Juni 2022
Berlin: Vielfalt Jüdischen Lebens heute
Studienreise der Jüdischen Studien Bamberg und Potsdam
Erstmals seit der zeitweisen Verunmöglichung von gemeinsamen Reisen durch Corona bot die Professur für Judaistik wieder eine Exkursion an. Im Juni 2022 ging es für zwei Tage nach Berlin – zweifelsohne der beste Ort, um sich mit aktiv gelebtem Judentum im heutigen Deutschland auseinanderzusetzen.
Das volle Programm führte zuerst in das Jüdische Museum der Bundeshauptstadt, dessen moderner Anbau des Architekten Daniel Libeskind mittlerweile selbst zu den architektonischen Wahrzeichen der Stadt gehört. Er soll die Verbindung zwischen jüdischer Tradition und deutscher Kultur widerspiegeln – mit Kreuzungspunkten und Leerstellen, „zick-zack“ und Wegfindung statt Geradlinigkeiten.
So sehr ein Gebäude aber auch zu sprechen vermag, im Fokus der nicht mal 48 Stunden stand der direkte Austausch: Noch am Sonntag folgte das Gespräch mit Dekel Peretz: Tel Aviver und seit 20 Jahren Wahlberliner. Er leitet das LABA, ein selbsternanntes Laboratory for Jewish Culture. Dort sollen Jüdische Kunst und ihre Künstler und Künstlerinnen nicht nur Raum für andauernde Selbstfindung und -verortung finden, sondern auch Unterstützung, um im deutschen Kunst- und Kulturbereich präsent zu werden. Im angegliederten Eruv Hub, einem Jewish Co-Working Space wird außerdem die Arbeit jüdischer nonprofit-Organisationen und Initiativen ermöglicht – die Vielfalt des jüdischen Berlins kommt hier zusammen. Das Ziel Peretz‘ und seiner Mitstreitenden: Nicht weniger als die (Re-) Konstruktion eines neuen jüdischen Kreuzbergs.
Die Exploration der reichen Vergangenheit und Gegenwart des jüdischen Berlins wurde am darauffolgenden Tag beim Besuch des Jüdischen Friedhofs in der Schönhauser Allee und der Synagoge in der Rykestraße fortgesetzt. Über 22.000 Gräber wurden in der Schönhauser Allee verstorbenen Bürger:innen gewidmet. Der Friedhof von 5 Hektar Fläche war 1827 eröffnet worden, weil der vorherige in der Großen Hamburger Straße voll belegt war. 1880 erfolgte schon wieder die Schließung: Auch der neue Friedhof war bereits wieder voll. Eine Geschichte von Sterben – aber auch dem Wiederaufleben – hat auch die Synagoge der Rykestraße zu erzählen. Denn dem bekannten Lauf der Geschichte deutscher Synagogen von Einweihung (in diesem Fall 1904) und Zerstörung in der Pogromnacht 1938 inklusive Ermordung der Gemeindemitglieder folgte ausnahmsweise schon 1953 die Wiedereröffnung. Auferstanden aus Ruinen wurde sie so zu einem Zentrum des Judentums in der DDR. Davon und vom heutigen Gemeindeleben berichtete uns der in der Bukowina geborene Gemeinderabbiner Boris Ronis. Schließlich war sein Geburtsort Czernowitz, ebenso wie Berlin, einmal pulsierendes Zentrum jüdischer Kultur gewesen.
Den Abschluss der Exkursion bildete das Gespräch mit Miriam Bistrovic, Leiterin der Berliner Repräsentanz des Leo Baeck Instituts. Wie wohl keine andere Institution steht das LBI für die langjährige Erforschung und Dokumentation des deutschsprachigen Judentums – und damit auch für die Bewahrung des Erbes der deutsch-jüdischen Geschichte und Kultur.
So wurde in den zwei Tagen mit vollem Programm in der Hauptstadt gelernt, gehört und gesehen, wie jüdisches Leben heute aussehen kann. Dieser Umstand und diese Erfahrungen erscheinen vielleicht als Trivialität, sind jedoch Grundlage dafür, dass der deutschen Obsession mit toten Juden auch Interesse und das aktive Einstehen für das heute lebendige Judentum folgen. Denn Wissen über dieses scheint trotz aller Bekundungen nicht immer zu existieren.
Max Braun
Die Synagoge in der Rykestraße von innen
Ein Grabstein auf dem Friedhof in der Schönhauser Allee
Ausstellung in der Mendelssohn-Remise