Zur Geschichte der islamischen Kunstgeschichte in Deutschland
In der frühen Neuzeit entwickelte sich das europäische Interesse an der materiellen Kultur des ‚Orients‘ im Spannungsfeld zwischen politischer Konfrontation und ökonomisch wechselseitig gewinnbringenden Kontakten. Parallel zur europäischen Kunstwissenschaft entstand - unter kolonialen Vorzeichen – eine Kenntnis außereuropäischer Kunst, die sich zunächst vor allem auf Ostasien richtete (Porzellan war von besonderem Interesse), aber in Teilbereichen (z. B. Teppiche) auch die islamische Welt umfasste. Charakteristisch für die Präsentation islamischer Kunst und Kultur im Europa des 19. Jahrhunderts war die Exotisierung, zum Beispiel auf Weltausstellungen, im Sinne des westlichen Orientbildes.
Wissenschaftlich fundierte Beschäftigung mit Kunstwerken der islamischen Welt
Die Ausstellung von „Meisterwerken muhammedanischer Kunst“ 1910 in München zeigte bereits eine deutlich veränderte Haltung: Die kunstwissenschaftlich und archäologisch fundierte Beschäftigung mit Kunstwerken der islamischen Welt hatte begonnen. Sie wurde von verschiedenen staatlichen, privaten und akademischen Institutionen getragen. In Kairo war bereits Ende des 19. Jahrhunderts das „Comité de Conservation des monuments de l’art arabe“ gegründet worden, das die Erhaltung und Restaurierung – und damit auch die Erforschung – islamischer Baudenkmäler in Ägypten zur Aufgabe hatte. Durch die Ausgrabungen in der Kalifenhaupstadt Samarra (Irak) ab 1911 wurde die islamische Archäologie entscheidend vorangebracht.
Die Rolle deutschsprachiger Gelehrter in der islamischen Kunstgeschichtsforschung
Bei der Erforschung der islamischen Kunst nahmen Gelehrte aus dem deutschsprachigen Raum zunächst eine führende Stellung ein. Mit der Gründung der Islamischen Abteilung der Berliner Museen 1904 unter der Leitung von Friedrich Sarre war die islamische Kunstgeschichte in Deutschland etabliert. Eine wichtige Rolle spielte das Kunsthistorische Institut der Universität Wien, wo Josef Strzygowski die asiatische Kunstgeschichte förderte. Aus diesen Anfängen gingen mit Ernst Diez, Ernst Herzfeld, Ernst Kühnel, Katharina Otto-Dorn, Richard Ettinghausen und Kurt Erdmann bedeutende Wissenschaftler-Persönlichkeiten hervor. Die Untersuchungen arabischer Inschriften durch den Schweizer Max van Berchem bildeten eine Grundvoraussetzung für die systematische Untersuchung von Kunstdenkmälern. In anderen europäischen Ländern nahmen islamische Kunstgeschichte und Archäologie nach dem ersten Weltkrieg einen starken Aufschwung, während sich nationale und koloniale Antikenverwaltungen in den Ländern der islamischen Welt mit der Sammlung und Erhaltung islamischer Kunst innerhalb ihrer Grenzen befassten.
Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
Durch die erzwungene Emigration von Gelehrten während der Nazizeit, durch den zweiten Weltkrieg und die Spaltung Deutschlands veränderte sich die Situation grundlegend: Die Bestände der Berliner Museen waren geteilt. In der DDR bestand neben dem Museum für Islamische Kunst in Berlin (Pergamon-Museum) der Wissenschaftsbereich Orientarchäologie an der Universität Halle-Wittenberg. An westdeutschen Universitäten war das Fach Islamische Kunstgeschichte nur noch durch eine Dozentenstelle in Heidelberg und eine Honorarprofessur in Hamburg vertreten, die beide im Laufe der Zeit gestrichen wurden. Seit den 1960er Jahren wurde islamische Kunstgeschichte an westdeutschen Universitäten im Rahmen der Orient-Fächer und der außereuropäischen Kunstgeschichte sowie in der Baugeschichte gelehrt; die Universitäten Bonn und Tübingen sowie die TU Berlin sind hier an erster Stelle zu nennen. Archäologische Forschung in der islamischen Welt wurde durch das Deutsche Archäologische Institut mit seinen Abteilungen Istanbul, Kairo, Madrid und Teheran bzw. Außenstellen in Bagdad, Damaskus und Sanaa betrieben. Für die Bundesrepublik Deutschlang lag die einzige fest etablierte wissenschaftliche Einrichtung im Museum für Islamische Kunst in Berlin-Dahlem. Kuratorenstellen an den völkerkundlichen Museen in Stuttgart und München kamen hinzu.
Islamische Kunstgeschichte und Archäologie im wiedervereinigten Deutschland
Mit der Wiedervereinigung wurden auch die beiden Berliner Museen für Islamische Kunst wieder am Standort Mitte im Pergamon-Museum vereint. Die universitäre Verankerung der Islamischen Kunstgeschichte in Berlin entwickelte sich langsam. An der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde eine Professur für Islamische Kunstgeschichte und jüdische Kunstgeschichte des Mittelmeerraumes geschaffen. Von 2002 bis 2013 wirkte auf dieser Stelle Avinoam Shalem. Eine Professur für mamlukische Studien an der Universität Bonn wurde 2013 mit der Islam-Archäologin Bethany Walker besetzt. Am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin wurde 2014 Wendy Shaw zur Professorin für Islamische Kunstgeschichte berufen.
An der Universität Bamberg wurde 1988 die Stiftungsprofessur für Islamische Kunstgeschichte und Archäologie eingerichtet und bis 1993 mit wechselnden Gastdozenten besetzt. Mit der Umwandlung in eine feste Professur vertrat Barbara Finster das Fach ab 1996. Ihr folgte auf dieser Stelle ab 2003 Lorenz Korn.
Als Fachvereinigung wurde 2005 die Ernst-Herzfeld-Gesellschaft für Islamische Kunstgeschichte und Archäologie mit Sitz in Bamberg und mit Prof. Dr. Barbara Finster als erster Vorsitzender gegründet. Ihre jährlichen Kolloquien haben sich zu einem internationalen Forum der islamischen Kunstgeschichte und Archäologie entwickelt.