21. September 2024

Toledo bestach durch seine multikulturelle Atmosphäre: sowohl Christen als auch Muslime und Juden hatten ihre Spuren in der ehemaligen Hauptstadt des Westgotenreichs (von 531 bis 711) und der kastilisch-leonesischen und später habsburgischen Monarchie (1087-1561) hinterlassen. Die Stadt am Tajo war für ihre reichen Eisenerzvorkommen bekannt, aufgrund derer sie sich zu einem bedeutenden Schmiedehandwerkszentrum entwickeln konnte: noch Kaiser Karl V. ließ seine Schwerter hier für seine Truppen anfertigen. Die Rückeroberung der zwischenzeitlich maurisch gewordenen Stadt (ulayuladurch Alfons VI. im Jahr 1087 besaß einen hohen Symbolcharakter für die Zeitgenossen, handelte es sich doch um die alte Hauptstadt der iberischen Halbinsel und somit um einen wichtigen Etappensieg, der die Moral der Christen stärkte und die Almoraviden, eine kämpferische und strenggläubige Berberdynastie aus Marokko, zum Eingreifen in al-Andalus zwang. Entsprechend seiner symbolischen Bedeutung nahm Toledo eine kirchliche Vormachtstellung im Königreich ein: 1088 wurde dem Erzbischof von Toledo der Primat über seine „spanischen“ Amtskollegen von Papst Urban II. bestätigt. 

Auch kulturell gesehen kam es in der multikonfessionellen Stadtgemeinschaft zu einer Blüte: die „Übersetzerschule von Toledo“ (maßgeblich: Gerhard von Cremona) übersetzte im 12. und 13. Jahrhundert antike philosophischen Schriften, die zuvor aus dem Griechischen ins Arabische übertragen worden waren, aber auch arabische Werke aus den Fächern der Theologie, Mathematik und Astronomie. An den Übersetzungsprojekten hatten viele iberische Juden mitgewirkt, die häufig sowohl des Arabischen als auch des Romanischen mächtig waren und somit als Mittler zum Lateinischen fungierten: nach mehreren Pogromen 1355 und 1391 gegen deren bedeutende Gemeinde (ca. 12 000 Juden) wurden sie 1492 mit dem Inkrafttreten des  Alhambra-Edikts endgültig des Landes verweisen. Toledo wurde nun noch kurze Zeit zur Renaissance-Residenz des neuen habsburgischen Spaniens (aus dieser Zeit stammt auch der unter Karl V. erbaute Alcázar), bis es 1561 vom zentraler gelegenen Madrid abgelöst wurde. 

Doch nun zu unserem Stadtrundgang: Am Beginn stand die Besichtigung der in ihren Ausmaßen gewaltigen Kathedrale, die den Vorrang des Erzbischofs von Toledo auch architektonisch signalisieren sollte und noch heute als magnum opus gotischer Baukunst in Spanien gewertet wird. Wir entdeckten auch eine ehemalige, in eine Kirche umgewandelte Moschee (El Cristo de la Luz) aus dem 10. Jahrhundert, deren Säulen aus westgotischen Palästen stammen. Eine arabische Inschrift zeugt noch von dieser wechselhaften geschichte: „Im Namen Allahs. Ahmad ibn Hadidi ließ diese Moschee auf eigene Kosten und in Erwartung einer Belohnung durch Allah im Paradies erbauen. Das Bauwerk wurde vollendet mit der Hilfe Allahs und unter der Leitung von Musa ibn Ali, Architekt und Sa'ada(?), im Monat Muharram des Jahres 390.“ In diesem Gebäude vereinen sich römische (Triumphbogen), westgotische (Hufeisenbögen) und maurische (Rautendekor (sebka)) Architekturelemente. 

Weitere Highlights waren das von der „katholischen Königin“ Isabella von Kastilien gestiftete Kloster San Juan de los Reyes (ein in seiner Pracht mehr einem Schloss ähnelnder Bau), an dessen Wände die Ketten freigekaufter, christlicher Sklaven hängen, sowie eine Synagoge aus dem 13. Jahrhundert, die im ehemaligen Judenviertel (judería) der Stadt zu finden war. Von unserem Apartment aus hatten wir einen bezaubernden Blick über das gesamte Altstadtpanorama, das von dem festungsähnlichen Alcázar und den zahlreichen Klöstern und Kirchen der Stadt geprägt wurde.  

 Hans-Ingo Radatz

Gassengewirr in der Altstadt, im Hintergrund der Turm der Kathedrale

 Hans-Ingo Radatz

Die Kathedrale in gotisch anmutender, aber bereits aus der Zeit der Renaissance stammender Fassaden

 Hans-Ingo Radatz

Die Plaza del Ayuntamiento mit dem namensgebenden Renaissance-Rathaus (Covarrubias) 

 Hans-Ingo Radatz

Das Chorgestühl (entstanden Ende des 15. Jh.) mit Szenen aus der Eroberung Granadas   

 Hans-Ingo Radatz

El Transparente – eingebautes Deckenauge und barockes Meisterwerk (1729-1732)

 Hans-Ingo Radatz

Der italianisierende Renaissance-Kapitelsaal 

 Hans-Ingo Radatz

Die ehemalige Moschee El Christo de la Luz 

 Hans-Ingo Radatz

Im Inneren wurden westgotische Säulen als Spolien eingesetzt

 Hans-Ingo Radatz

Porta Vieja de Bisagra: altes maurisches Stadttor

 Hans-Ingo Radatz

Puerta Nueva de Bisagra: repräsentatives Stadttor der spanischen Habsburger. 

 Hans-Ingo Radatz

Ummauerter Torinnenhof, der als Umschlagplatz und zur Kontrolle von Waren genutzt wurde 

 Hans-Ingo Radatz

Das „Begräbnis des Grafen von Orgaz“ (1588) - ein Meisterwerk El Grecos und wohl das erste europäische Gruppenporträt

 Hans-Ingo Radatz

Das Franziskanerkloster San Juan de los Reyes aus dem 16. Jh., gedacht als Dankesstiftung der katholischen Könige nach ihrem Sieg über Portugal in der Schlacht von Toro im Jahr 1476 

 Hans-Ingo Radatz
 Hans-Ingo Radatz

Isabella die Katholische, Königin von Kastilien und León, Gattin Ferdinands II. von Aragón 

 Hans-Ingo Radatz

Toledaner Damaszenerstahl gilt als besonders hart und korrosionsbeständig und ist bis heute ein Verkaufsschlager bei Touristen 

 Hans-Ingo Radatz

Die ehemalige Synagoge El Tránsito

 Hans-Ingo Radatz

Glockenturm der Kathedrale 

 Hans-Ingo Radatz

Das Jungszimmer 

 Hans-Ingo Radatz

Aussicht von der Wohnung: Blick auf die Kathedrale (rechts) und den Alcázar (links) 

 Hans-Ingo Radatz

Prozession

 Hans-Ingo Radatz

Plaza de Zocodover 

22. September 2024

Nach einem kurzen Fotostopp vor den Toren Toledos (die Aussicht hatte schon den spanisch-griechischen Maler El Greco zu einer berühmten Stadtansicht inspiriert), stießen wir, vorbei an nicht enden wollenden Weizenfeldern (La Mancha) in das südliche Spanien nach Andalusien vor. Doch zunächst machten wir noch Halt auf der spektakulär gelegenen Burg von Calatrava, die – strategisch günstig gelegen – im Mittelalter einen wichtigen Pass vor dem Eindringen der Muslime schützte. Der Calatravaorden wurde im Jahr 1158 als erster spanischer Ritterorden vom Zisterzienserabt Raimundo Serrat ins Leben gerufen, um die strategisch wichtige Burg Calatrava la Vieja vor den Mauren zu schützen. In der Folgezeit beteiligte sich der Orden intensiv an weiteren Kämpfen, erlangte zahlreiche Ländereien und wurde zunehmend reicher und mächtiger. So mächtig, dass er als „Staat im Staat“ von den katholischen Königen nach dem Ende der Reconquista aufgelöst und dem Königreich Kastilien einverleibt wurde. 60 km südlich von Calatrava la Vieja befindet sich die neue Ordensburg, in die die Glaubensritter 1217 umzogen. Sie wurde nach der Schlacht bei Las Navas de Tolosa mithilfe von maurischen Kriegsgefangenen erbaut und als autarker Lebensraum der Ordensgemeinschaft mit eigenem Kloster, Gasthaus, Dorf, Außenanlagen und eigener Kirche konzipiert.      

 Hans-Ingo Radatz

Blick auf Toledo und den die Stadt hufeisenförmig umfließenden Fluss Tajo 

 Hans-Ingo Radatz
 Hans-Ingo Radatz

La Mancha - kilometerweite Felder…  

 Hans-Ingo Radatz

Calatrava la Nueva 

 Hans-Ingo Radatz

Prof. Radatz 

 Hans-Ingo Radatz
 Hans-Ingo Radatz

In der Ferne erkennt man den strategisch wichtigen Gebirgspass (Almuradal), den es im Auge zu haben galt 

 Hans-Ingo Radatz

Die zisterziensische Burgkirche mit Rosettenfenster aus dem Ende des 15. Jh. 

 Hans-Ingo Radatz

Bergfried 

Nach der Besichtigung der Burg machten wir noch einen kurzen Halt in einer ehemaligen Kolonistenstadt (La Carolina), ein verschlafener Weiler, in dem man als Tourist noch neugierig betrachtet wurde und wo man hervorragende landestypische croquetas verspeisen konnte. Abschließend inspizierten wir das Austragungsfeld der „Gamechanger“-Schlacht Las Navas de Tolosa, in der 1212 vereinigte christliche Heere ein muslimisches Aufgebot vernichtend schlugen: danach war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die restlichen arabischen Königreiche fallen würden. An der Schlacht beteiligten sich zahlreiche Kontingente aus den iberischen Königreichen Kastilien, Aragón und Navarra, aber auch Anhänger der Ritterorden. Eine internationale militärische Auseinandersetzung also, die nach vorangegangenen Vorstößen der Almohaden als „Kreuzzug“ von Papst Innozenz III. auch ideologisch aufgewertet wurde. Unter der Führung König Alfons VII. gelang den ca. 12 000 kämpfenden Christen ein überraschend vollständiger Sieg über das fast doppelt so große maurische Heer des Kalifen Muhammad an-Nâsir (ca. 20 000-30 000 Kämpfende). Die vorherrschende Legende von der Unbesiegbarkeit der Almohaden hatte unwiderruflichen Schaden genommen; die Unterlegenden hatten sich von ihren schweren Verlusten nie wieder ganz erholen können. Der Süden Spaniens stand den Christen nun strategisch offen. Und dennoch: für uns war das alles nur noch schwer vollstellbar, waren doch das Tal und die Anhänge mittlerweile völlig mit dichtem Pinienwald bewachsen. 

 Hans-Ingo Radatz

Siesta in La Carolina 

 Hans-Ingo Radatz

Glasaale mit Rührei (Revuelto de Angulas)

 Hans-Ingo Radatz

Hauptplatz von La Carolina 

 Hans-Ingo Radatz

Die Rosa de Oro (goldene Rose) kann als Ehrengeschenk vom Papst vergeben werden und wird liturgisch verehrt 

 Hans-Ingo Radatz

Für die Schlacht existiert ein eigenes, vor kurzem gebautes Museum, das jedoch nicht geöffnet hatte

 Hans-Ingo Radatz
 Hans-Ingo Radatz
 Hans-Ingo Radatz

Der Austragungsort der Schlacht bei Las Navas de Tolosa 

 Hans-Ingo Radatz