24. September 2024
Mit Spannung fieberten wir dem nächsten Tag entgegen, an dem es nach Sevilla gehen sollte. Der gewaltige Reichtum, den diese Stadt durch ihr Monopol im spanischen Kolonialhandel erworben hatte, war an jeder Straßenecke zu spüren. Stuckierte Barockfassaden, die größte gotische Kathedrale der Welt, der weitläufige Alcázar, all dies hatte sich herumgesprochen: der Andrang von Touristen war so groß, das wir uns dann doch den kleineren, aber keineswegs minder beeindruckenden Sehenswürdigkeiten widmen mussten, wie der Casa de Pilatos, ein Renaissance-Wohnpalast im antik-arabisierenden Stil – eine seltsam anmutende, synkretistische Mischung – oder der monumentalen Plaza de España (ein „Dankesgeschenk“ an die südamerikanischen Kolonien) mit ihren umgebenden herrlich-weitläufigen Parkanlagen. Die viertgrößte Stadt Spaniens weist eine interessante Geschichte auf, die sich in der größten Altstadt des Landes auch baulich manifestiert hat: Hispalis existierte als prosperierendes Handelszentrum bereits vor der Ankunft der Römer, ein heute versandeter Binnensee garantierte die Ankunft auch größerer Handelsschiffe und bot ausreichend Schutz vor Seeräubern und auswärtigen Mächten. Im wichtigen Erzbistum Sevilla wirkte der bereits bekannte Heilige Isidor noch in der Spätantike, 712 wurde die Stadt dann von den Umayyaden erobert und entwickelte sich unter den Almohaden ab der Mitte des 12. Jh. zur wichtigsten Stadt von ganz Al-Andalus.
Das prestigeprächtigste Bauwerk der Stadt, die große Moschee, wurde ebenfalls in dieser Zeit errichtet, von ihr existieren jedoch nur noch architektonische Reminiszenzen wie der untere Abschnitt des Minaretts, der Giralda. Auch der Torre del Oro, Teil einer Sperranlage gegen feindliche Schiffe, wurde von den Almohaden erbaut. 1248 wurde Sevilla dann von Ferdinand III. von Kastilien erobert und erlebte in der Folge zunächst einen wirtschaftlichen Niedergang, was mit der sukzessiven Auswanderung von ca. 300 000 einheimischen Mauren nach Nordafrika und Granada nachvollziehbar erscheint. 1363 ließ Peter I. dann den Alcázar, den königlichen Palast, von maurischen Handwerkern aus Granada erbauen; insofern bemerkenswert, als dass die hispanischen Eliten, seien es Muslime, Juden oder Christen, an einer gemeinsam ausgestalteten Hofkultur partizipierten, in der religiöse Grenzen tendenziell als eher zweitrangig betrachtet wurden. Stichwort Religion: viele der in der Stadt ansässigen Juden wurden bereits beim Pogrom von 1391 vertrieben, in der Folge lebten aber auch manche als Kryptojuden weiter, deren Existenz jedoch stets gefährdet sein sollte: 1480 nahm die spanische Inquisition ihren Sitz in Sevilla und begann mit der Verfolgung der „Ungläubigen“; 1481 wurden dann die ersten Autodafés abgehalten. Eine erneute wirtschaftliche Glanzperiode sollte sich erst wieder im 16. und 17. Jh. einstellen, als der Stadt das Privileg verliehen wurde, als einziger Handelskontor (Casa de Contratación) mit der Neuen Welt Handel zu treiben. Die unvorstellbaren Massen an Gold und Silber, die in Mittel- und Südamerika gefördert werden konnten, spiegeln sich bis heute in der reichen Sakral- und Profanarchitektur nieder, aber auch die Kultur, namentlich die Malerei (z.B. Zurbaran), blühte auf.
Die Versandung des Guadalquivir und die Entziehung des Handelsprivilegs als Folge des spanischen Erbfolgekrieges führten im 18. Jh. jedoch zu einem erneuten ökonomischen Niedergang. Heute ist Sevilla eine ausgesprochen lebendige und leider auch vom Massentourismus geplagte Universitätsstadt sowie Wirtschafszentrum von Andalusien und gilt unter anderem als Wiege des Flamencos und der spanischen Tapas.