17. September 2024

Das Thema der Reise war Programm: und so folgten wir auch mit unserer Route dem historischen Verlauf der Reconquista - mit Ausnahme von Burgos, das von Madrid aus einfach am besten zu erreichen war. Bereits der Name der Stadt verweist auf seine ursprünglich militärische Funktion (vgl. „Burg“): 811 errichtete hier das noch junge Königreich von Asturien eine erste Befestigungsanlage im Kampf gegen die Mauren, die 931 gar zur Hauptstadt des Königreiches von León erhoben wurde. Ab dem 11. Jahrhundert diente der aufstrebende Ort dann den Kastiliern (die sich zwischenzeitlich mit den Leonesen vereinigt hatten) als Krönungsstadt. Vom finanziellen und kulturellen Reichtum, der im Zuge der Entstehung des Jakobsweges und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgeerscheinungen profitierte die ganze Region zwischen Südfrankreich (einem boomenden kulturellen Zentrum im Mittelalter) und Nordwestspanien - und damit auch Burgos. Anfang des neunten Jahrhunderts waren die Reliquien des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela aufgefunden worden und machten diese Stadtam Ende der damals bekannten Welt zum drittwichtigsten Pilgerort der Christenheit (unmittelbar nach Jerusalem und Rom).  Die Pilgerströme mussten auf ihrem Weg ja versorgt, untergebracht und anderweitig verköstigt werden und Burgos wurde zu einer wichtigen Etappe auf diesem Weg.

Von dieser mittelalterlichen French connection zeugt auch heute noch die prächtige, von der französischen Gotik inspirierte Kathedrale, die wir eingehend bewunderten. Der später im isabellinischen Stil überformte Prachtbau bestach durch seine gewaltigen Altäre und der nach oben strebenden Kuppel, unter der sich auch das Leergrab des kastilischen Nationalhelden El Cid befindet. Bald bemerkten wir, dass die ganze Stadt in seinem Bann stand; wir erspähten seine Bronzestatuen auf den Hauptverkehrsstraßen, sahen ihn als putziges Souvenir mit seinem Pferd Babieca in kleinen Touristenläden und auf unzähligen T-Shirts und Schlüsselanhängern.

Was hatte es mit ihm auf sich? Wir erfuhren von seiner Bedeutung für das spanische Nationalbewusstsein: als fahrender Raubritter hatte Rodrigo Díaz de Vivar in der zweiten Hälfte des 11. Jh. sowohl gegen Muslime als auch gegen Christen gekämpft und dadurch einen Ruhm erlangt (etwa durch die Einnahme Valencias 1094), der ihm den Ehrennamen al-sayyid (volkssprachlich sidi, arabisch für „mein Herr“) einbrachte und unter dem er noch bis heute als El Cid bekannt ist. Im Mittelalter legendenhaft in epischen Gesängen als ritterliche Idealfigur verklärt (z.B. im Cantar de Mio Cid (1235)), wurde er in der Moderne zum Nationalhelden schlechthin emporgehoben und unter Spaniens Diktator Franco politisch instrumentalisiert. Der vermeintlich große christliche Kriegerfürst wurde so zur Symbolfigur des alten, kämpferisch-katholischen Kastilien stilisiert. Sein Grab hatte er dem nationalistischen Philologen Ramón Menéndez Pidal (1869-1968) zu verdanken, der diesem Werk sein nahezu gesamtes akademisches Leben gewidmet hatte. Ziel seines Wirkens war die Förderung eines spanischen Nationalstaatsgedankens durch eine einigende, vorbildhafte Figur der Geschichte – ein kulturelles Phänomen, das man überall im Europa des 19. Jahrhunderts vorfinden kann (man denke nur an das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald). 

 Hans-Ingo Radatz

Platanenallee am Ufer des Río Arlanzón

 Hans-Ingo Radatz

Das burgähnliche Stadttor Santa María 

 Hans-Ingo Radatz

Die Kathedrale von Burgos, die zahlreichen Fialen ergeben eine „steinernen Wald“ (Pierre Loti)

 Hans-Ingo Radatz

Einführende Stadtführung von Herrn Berschin 

 Hans-Ingo Radatz

Das Leergrab des El Cid

 Hans-Ingo Radatz

Die Exkursionsgruppe

 Hans-Ingo Radatz

Straßendenkmal des El Cid

 Hans-Ingo Radatz

Der Río Arlanzón

In unmittelbarer Nachbarschaft zu Burgos befindet sich die ehemalige Zisterzienserinnenabtei Las Huelgas Reales, die den kastilischen Königen lange Zeit als Grabesstätte diente. 1187 von Alfons VIII. und seiner Frau Eleonore Plantagenet (die Tochter des englischen Königs Heinrichs des Zweiten und Eleonore von Aquitanien) gegründet, sollte es als wohlhabendes Nonnenkloster adligen Frauen ein wohliges Domizil bieten. Mit anderen Worten, des Klosters Name war Programm: „königliches Freizeitdomizil“, auch wenn die typisch nüchterne zisterziensische Architektur darüber zunächst wegtäuschen mag. Der Äbtissin, also Leiterin des Klosters, kamen dabei weitreichende, bischofsähnliche Vollmachten über das Königreich Léon und Kastilien zu, die ihr – in der männerdominierten Kirchenwelt ungerne gesehen - erst 1873 vom Zweiten Vatikanischen Konzil entzogen wurden.

 Hans-Ingo Radatz

Zurückhaltende zisterziensische Formensprache der Außenfassade 

 Hans-Ingo Radatz
 Hans-Ingo Radatz

Chorwand: Die Schlacht bei Las Navas de Tolosa (1212) in einer Darstellung aus dem Jahr 1583 

 Hans-Ingo Radatz

Doppelsarkophag der Abteigründer Alfons XIII. und Eleonore Plantagenet: Wappen von Kastilien und des Hauses Plantagenet (Burg und drei Löwen) 

 Hans-Ingo Radatz

Stuckarbeiten im Mudéjarstil

 Hans-Ingo Radatz

Das an die Abtei angeschlossene Museum für mittelalterliche Stoffe: vieles wurde den Gräbern entnommen, von denen jedoch die meisten durch napoleonische Soldaten geschändet wurden. Hier zu sehen ist die Standarte des almohadischen Heeres (péndon), die in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa von den Christen erbeutet werden konnte. 

Noch am gleichen Tag fuhren wir nach Asturien weiter. Unsere Blicke wurden immer stutziger, als wir der alpinen, sommergrünen Landschaft um uns herum gewahr wurden: wahrhaftig, man hätte es nicht von der Schweiz unterscheiden können.

 Hans-Ingo Radatz
 Hans-Ingo Radatz

Auch hier verläuft der Jakobsweg