Bericht über Vortrag Timothy H. Breen im WS 2004/05
Was der einfache Mann über sein Amerika dachte
Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen im Moment wie kein anderes Land im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Viel wird berichtet über dieses Land, dessen Wurzeln eng mit der europäischen Geschichte verwoben sind. Doch sei es besser "in diesen bewegten Zeiten weg von Amerika zu sein, um über Amerika besser nachdenken zu können", so Timothy H. Breen, Professor für Amerikanische Geschichte an der Northwestern University in Evanston, Il., der zur Zeit in Deutschland als Forschungspreisträger der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Göttingen arbeitet. Sein Schwerpunkt ist die Geschichte des Werdens der Vereinigten Staaten im 18. Jahrhundert und die der "political thoughts". Gerade schreibt er an einem Buch "The Collapse of an American Empire: Revolutionary Political Culture, 1774-1776". Am vergangenen Mittwoch stellte er einen Teil seiner Arbeit in Bamberg vor.
Auf Einladung des neuen Lehrstuhlinhabers für Neuere Geschichte, Mark Häberlein, referierte Breen über das Thema "A Comparative Framework for Interpreting Political Ideology and Nationalism: The Three Faces of Late 18th-Century Patriotism". Dabei beleuchtete er den Wandel, den der Nationalismus in Amerika in der Zeit der Kolonien der britischen Krone, der Amerikanischen Revolution und des daraus hervorgehenden freien Amerikanischen Staates durchlief.
Breen, dessen frische und lockere Art des Vortrags die Zuhörer in ihren Bann zog, untersuchte dieses Phänomen an Quellen, die den "ordinary men" möglichst nahe stehen, da auch sie das Medium des Nationalismus waren. Nicht die Reden der Großen der Geschichte, sondern die Gedanken des kleinen Mannes, wie sie sich in Zeitungsartikeln, Flugblättern oder in Debatten auf der lokalen Ebene äußerten, wurden von Breen untersucht. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist ein neues Verständnis der wechselseitigen Beziehungen von politischem Gedankengut und Nationalismus und ein Modell, das drei verschiedene Ausprägungen des Nationalismus im Umfeld der Amerikanischen Revolution feststellt.
In der ersten Phase, als die Kolonien in der Neuen Welt dem britischen Empire unterstanden, unterschied sich der von den Kolonisten empfundene Patriotismus nicht von dem ihrer irischen oder schottischen Landsleute. Man sah sich als Brite und identifizierte sich mit den politischen und militärischen Erfolgen der Krone. Doch dies währte nur bis zur Entdeckung der eigenen Abhängigkeit, und das Gefühl von "Britishness" wich dem Bewußtsein für das eigene Land. Die Bewohner der Kolonien begannen sich schon vor der Revolution, die am 4. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung hervorbrachte, als Amerikaner zu fühlen. Dieser neue revolutionäre Nationalismus sprach die Sprache der "universal rights", die auch für die afroamerikanische Bevölkerung Geltung haben sollten. Nach dem Sieg der Amerikaner im Unabhängigkeitskrieg 1783 wurde die Frage danach, wer Bürger dieses neuen Staates sei und wer an ihm teilnehmen dürfe, zentral. Dieser republikanische Nationalismus war somit - entgegen den früher geforderten gleichen Rechten für alle - durch Ausschluß geprägt, demzufolge Schwarze nun nicht mehr als Bürger betrachtet werden durften. Der amerikanisch-republikanische Patriot war Weißer.
Breens quellentechnische Herangehensweise an diesen komplexen Sachverhalt war das Besondere an diesem Vortrag, der die konstruktiven, wie auch die negativen Seiten des Patriotismus zu erklären suchte und über dessen äußere Erscheinungsformen in dessen Wesen drang.
Andreas Schmidt