Frühneuzeitliche Staatsbankrotte
Fritz Thyssen Stiftung, Projekt: „Frühneuzeitliche Staatsbankrotte. Akteurszentrierte Analyse der europäischen Kreditmärkte um 1550“ (abgeschlossenes Habilitationsprojekt)
Laufzeit: 1. Dezember 2014 bis 30. November 2016
Bearbeiter: Dr. Heinrich Lang
Staatsbankrotte sind angesichts der Einrichtung des europäischen Stabilitätsmechanismus zur Absicherung der überschuldeten Euro-Währungsstaaten unausgesetzt ein aktuelles Thema. Die Umschuldung von schwebenden Schulden in fundierte Schulden hat historische Vorgänger. Diese verfolgt das Projekt in einer systematischen Untersuchung am Fallbeispiel der Zahlungsunfähigkeiten der spanischen und französischen Kronen 1557/59 aus der Perspektive der an den Märkten für Darlehen an die Herrscher beteiligten Akteure.
Die Grundlagen: Archivmaterial
Auf der Grundlage der merkantilen Buchführung sollen Geschäftsstrategien und Zusammenhänge der wirtschaftlichen Felder von Waren- und Wechselhandel sowie Herrscherfinanzen für die Interpretation der über die Messestandorte Lyon und Antwerpen verknüpften Umschuldungen unter König Philipp II. von Spanien und König Heinrich II. von Frankreich analysiert werden. Hierzu dienen insbesondere von italienischer Seite die Archivbestände der Florentiner Kaufmannbankiers Salviati, der in Antwerpen ansässigen Affaitati aus Cremona sowie die Akten der Florentiner Martelli und die verstreute Dokumentation in den Carte Strozziane des Staatsarchivs in Florenz. Auf süddeutscher Seite zählen die Geschäftsbücher des Augsburgers Sebastian Neidhart, des Nürnbergers Paulus Behaim und Unterlagen im Fugger-Archiv zum konsultierten Archivmaterial.
Die Methode: Kreditmärkte und Herrscherfinanzen
Methodisch fokussiert das Projekt die Akteure auf Märkten. Denn durch die akteurszentrierte und handlungstheoretisch gestützte Analyse können an den sozialen Interaktionsvorgängen sowohl die Dynamiken der Herrscherfinanzkrisen als auch die wechselseitige Bedingtheit institutioneller und unternehmerischer Entwicklungen von Anleiheinstrumenten und deren Refinanzierung in Verbindung mit der prekären Situation des Nachschubs von Edelmetallen erkennbar werden. Überdies sollen einerseits das Zusammenwirken von Investoren, Kreditvermittlern und zentralisierten Institutionen, andererseits Anpassungs- und Innovationsleistungen der an Herrscherfinanzen beteiligten Akteure zur Gestaltung von Krisengeschehen berücksichtigt werden. In der Konzentration auf die beiden Herrscherinsolvenzen von 1557/59 soll der Konnex von Märkten zur Finanzierung der königlichen Anleihesysteme und deren Zusammenbruch mit den Waren- und Wechselmärkten vorwiegend im Licht des ökonomischen Verhaltens der darin involvierten Kaufmannbankiers begriffen werden.
Vergleich: die spanische und die französische Krone
Die Momente der Vergleichbarkeit von Anleihesystemen und ihrem Scheitern infolge von Überziehungsmechanismen machen das geplante Projekt auch für die aktuelle Situation interessant. Im Europa des 16. Jahrhunderts waren das spanisch-österreichische Königs- und Kaiserhaus Habsburg sowie die französischen Könige der Valois in erbitterte kriegerische Dauerkonflikte und konfessionelle, oft gewalttätig ausgetragene Auseinandersetzungen verstrickt. Daher benötigten sie explosionsartig anwachsende Mengen an finanziellen Mitteln, um ihre militärischen Vorhaben zu bezahlen. Hierzu nahmen sie Schulden, die sie durch unterschiedliche Deckungsmodelle absicherten, auf. Die Instrumente zur fundierten Schuld wie die langfristig angelegten Anleihen, die durch die Verpachtung von Steuer- und Zolleinnahmen gedeckt wurden, und zur schwebenden Schuld wie in den asientos auf die aus Südamerika eintreffenden Edelmetalle oder wie die Anteile am Grand Parti als regulierte Kreditaufnahme mit über zehn Jahre gestreckter Rückzahlung wurden allerdings überspannt. Durch den Zusammenbruch der Märkte für Kredite 1557 in Antwerpen gerieten zunächst die spanische Krone, sodann 1559 nach dem Scheitern des Grand Parti der französische König in die Zahlungsunfähigkeit. Der Grand Parti selbst stellte den Versuch dar, die königliche Kreditaufnahme zu deckeln und durch einen verzögernden, eher niedrig verzinsten Ausschüttungsmodus eine fundierte Schuld herzustellen.
Transdisziplinäre Ausrichtung
Diese Themenstellung bewegt einerseits sich an der Nahtstelle zwischen Militär- und Wirtschaftsgeschichte. Zum einen bestand eine wechselseitige Abhängigkeit der Entwicklung von Fiskalsystemen, Kreditmärkten und militärischen Konflikten. Zum anderen aber – und dies zeigt die entscheidende Rolle des akteurszentrierten Zugriffs für die hier vorgeschlagene Analyse – waren die an den Erhebungen von Kronanleihen beteiligten Amtsträger, Kreditvermittler und Kaufmannbankiers wesentlich auch bei den materiellen und finanziellen Transfers sowie bei den politischen Verbindungen zwischen den Zentralregierungen und den Söldnerherren bzw. deren Kapitänen tätig.
Andererseits verknüpft die Themenstellung Wirtschafts- mit Kulturgeschichte. Der handlungstheoretische Ansatz der Akteurszentrierung verweist auf die kognitive und pragmatische Beschaffenheit von Verhaltensmustern und auf die möglichen Lösungsansätze für Krisenmomente aus der Sicht der Beteiligten. Das Handlungsrepertoire auf Märkten für Kronanleihen wird eingebettet in die damit verbundenen Formen von Kooperation auf anderen wirtschaftlichen Feldern.
Die Kaufmannbankiers in Antwerpen und Lyon
Die entscheidende Rolle als Kreditvermittler und Investoren spielten toskanische, genuesische und süddeutsche Kaufmannbankiers, die wenigstens durch Kommissionäre auf den beiden wichtigen Kredit- und Wechselmärkten in Antwerpen und Lyon präsent waren. Von ihrer Fähigkeit, den Herrschern Bargeld zuzuführen, hing der Erfolg der Anleihepolitik ab. Die Netzwerke dieser Handelsgesellschaften verwoben die europäischen Waren-, Wechsel- und Herrscherfinanzmärkte miteinander. Ihnen standen von Seiten der Herrscher institutionell gebundene Vermittler gegenüber, um die verschiedenen Instrumente zur Schuldaufnahme der spanischen oder der französischen Könige in Kooperation mit den Merchant bankers zu entwickeln. Die Kaufmannbankiers reagierten mit sich anpassenden Methoden an den heftig steigenden Bedarf an Kronanleihen, indem sie immer neue Formen der Organisation und Bündelung von Krediten erprobten – auch um ihre Warenhandelsvolumina anzureichern. Durch die wiederholte Inkorporation von Kaufmannbankiers in die Kronfinanzierung wurden zudem ökonomische Wissensbestände in die zentralen Verwaltungen transferiert.
Merchant bankers veränderten ihre finanztechnischen und geschäftlichen Strategien, indem sie verstärkt in Anleihen sowie Grund investierten. Auch ist das scheinbare Verschwinden der Großen Handelsgesellschaften weniger auf deren Bankrott als vielmehr auf die zunehmende Bedeutung von zwischengeschalteten Kreditvermittlern und spezifisch qualifizierten Kommissionären zurückzuführen. Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts traten verstärkt individuell agierende Kreditvermittler, die durch Kommissionärsnetzwerke abgesichert ihre Geschäfte tätigten, in Lyon und Antwerpen auf – so dass die eingeführten italienischen oder süddeutschen Handelshäuser nur augenscheinlich verschwanden.