Nachruf auf Dr. Andreas Wittenberg
,Flog ein Vogel federlos / auf einen Baum blattlos, / kam die Frau mundlos, / fraß den Vogel federlos.‛ Auf diesen hier etwas frei wiedergegebenen Rätseltext wies Andreas Wittenberg im Einführungskurs der Neueren deutschen Literaturwissenschaft anlässlich eines Gesprächs über Paul Celans Gedicht Ein Blatt hin. Das Rätsel von der Sonne, die den Schnee verzehrt, war Teil von Andreas Wittenbergs enormem Wissensschatz, an dem er uns hat teilhaben lassen über die vielen Jahre, in denen er zahlreiche internationale Studierende als ehrenamtlicher Tutor durch Seminare und Vorlesungen begleitete, bei der Prüfungsvorbereitung unterstützte und für Literatur begeisterte. Dabei hat er mit fast allen Kolleginnen und Kollegen aus der NdL zusammengearbeitet. Mit Interesse und Neugier ließ er sich auf die unterschiedlichsten Themen in den verschiedenen Lehrveranstaltungen ein. Er war, auch außerhalb von Kursen, ein interessanter, liebenswürdiger und wertschätzender Gesprächspartner und konnte großartig staunen. Besonders am Herzen lag ihm die hymnologische Forschung. So war er ein ausgewiesener Experte für Soldaten- und Kirchenlieder, sammelte, untersuchte und edierte sie. Zudem gehörte er zum Kreis der ständigen Mitarbeiter und Berater des Jahrbuchs für Liturgik und Hymnologie. Zuletzt beforschte er vor allem Kirchenlieder über und für Kinder und Gesangbücher für Kindergottesdienste.
Dies alles gehörte zu Andreas Wittenbergs zweitem beruflichen Leben. Davor war er mehr als vier Jahrzehnte lang bei der Bundeswahr tätig gewesen. 1999 endete dort sein Dienst als Brigadegeneral und Kommandeur Heeresschulen. Danach studierte er Germanistik und Geschichte in Bamberg. 2008 promovierte er mit der von Prof. Dr. Heinz Gockel und Prof. Dr. Hermann Kurzke betreuten Arbeit Die deutschen Gesang- und Gebetbücher für Soldaten und ihre Lieder zum Dr. phil. Im Jahr darauf wurde er dafür mit dem Melchior Otto Voit von Salzburg-Preis geehrt, einem Sonderpreis zur Honorierung herausragender Forschung im Rahmen von Promotionsstudien im Anschluss an eine aktive berufliche Laufbahn. Bis zur Covid-19-Pandemie, die so vieles veränderte, blieb er der Otto-Friedrich-Universität, insbesondere der Neueren deutschen Literaturwissenschaft eng verbunden. Einige von uns standen auch darüber hinaus weiter mit ihm in wertvollem Kontakt.
Andreas Wittenberg hat sich in vielerlei Hinsicht gesellschaftlich engagiert. Viele lange Jahre war er Kirchenvorstand in der evangelischen Kirchengemeinde in St. Stephan. Seine große Liebe galt der Kirchenmusik. Als Junge hat er beim Windsbacher Knabenchor gesungen, bis ins hohe Alter hat seine schöne Bassstimme die Kantorei in St. Stephan verstärkt und ist bei vielen Konzerten dort erklungen.
Am 14. August 2024 ist Dr. Andreas Wittenberg im Alter von 85 Jahren gestorben. Wir sind sehr traurig über seinen Tod und werden ihn sehr vermissen. Seiner Familie gilt unser herzliches Beileid. Wir danken Elisabeth Wittenberg dafür, dass ihr Mann so viel Zeit und Energie für die NdL und uns aufwenden konnte. Gern und dankbar werden wir uns an die Zusammenarbeit und die Gespräche mit ihm erinnern.
Denise Dumschat-Rehfeldt und Iris Hermann im Namen der Kolleginnen und Kollegen der Bamberger Neueren deutschen Literaturwissenschaft
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Andreas Wittenberg hat eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten vorgelegt, die wir unbedingt zur Lektüre empfehlen. Nachfolgend eine Auswahl.
- Die deutschen Gesang- und Gebetbücher für Soldaten und ihre Lieder. Tübingen: Francke 2009 (= Mainzer hymnologische Studien 23). (Dissertation)
- Gedanken zur evangelischen Militärseelsorge in Deutschland. Vergleichende Untersuchung der Militärgesang- und -gebetbücher des 19. und 20. Jahrhunderts. Hamburg: Führungsakademie der Bundeswehr 1970.
- Militär-Gesangbuch und Militär-Seelsorge in Vergangenheit und Gegenwart. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 18 (1973/1974), S. 97–162.
- „Allmächtiger Herr der Heere …“. Krieg und Frieden im Kirchenlied des 20. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 23 (1979), S. 53–94.
- „Helm ab – zum Gebet“ – „Ich bete an die Macht der Liebe“. Gedanken zum Großen Zapfenstreich. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 26 (1982), S. 157–174.
- … die Vernunft hat ihn vertrieben? Gedanken zur „aufgeklärten“ Gesangbucharbeit der Gegenwart. In: Homiletisch-liturgisches Korrespondenzblatt NF 3 (1985/1986), H. 12, S. 421–450.
- Gedanken zu „Evangelisches Gesang- und Gebetbuch für Soldaten – Ein Literaturbericht“ von Waltraud Ingeborg Sauer-Geppert. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 31 (1987/1988), S. 120–126.
- „Zieh selber, Jesu, mit ins Feldt ...“. Lieder für Soldaten in evangelischen Gesangbüchern. In: „Ein Kriegesmann und guter Christ ...“. Historische Skizzen aus der Soldatenseelsorge. Hg. vom Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr, Bonn. Hannover: Lutherisches Verlags-Haus 1990, S. 55–80.
- „Fürchtet Gott, den König ehret ...“. Die Obrigkeit im Spiegel des deutschen evangelischen Gesangbuchliedes. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 35 (1994/1995), S. 171–209.
- Das erste (und einzige) evangelische Gesangbuch Bambergs. In: St. Stephan Bamberg 1808-2008. 200 Jahre evangelische Kirchengemeinde. Hg. im Auftrag des Kirchenvorstandes St. Stephan durch Helmut Glück, Ariane Slater u. Andreas Wittenberg. Bamberg 2008, S. 13–19.
- Eine „Leiche I. Classe“ [Wilhelmine von Plüskow, geb. von Witzleben, 1793–1872]. In: St. Stephan Bamberg 1808-2008. 200 Jahre evangelische Kirchengemeinde. Hg. im Auftrag des Kirchenvorstandes St. Stephan durch Helmut Glück, Ariane Slater u. Andreas Wittenberg. Bamberg 2008, S. 67–74.
- Kirchenlieder aus dem Reformationsjahrhundert – Martin Luther: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“. In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2012), URL: deutschelieder.wordpress.com/2012/08/13/martin-luther-erhalt-uns-herr-bei-deinem-wort/
- Kirchenlieder aus dem Reformationsjahrhundert – Martin Luther: „Wir glauben all an einen Gott“: In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2012), URL: deutschelieder.wordpress.com/2012/05/28/martin-luther-wir-glauben-all-an-einen-gott/
- Kirchenlieder aus dem Reformationsjahrhundert – Martin Luther: „Christ lag in Todesbanden“. In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2012), URL: deutschelieder.wordpress.com/2012/04/09/martin-luther-christ-lag-in-todesbanden/
- Tiere im Kirchenlied. In: Eckers Bestiarium (2013), URL: eckersbestiarium.wordpress.com/2013/06/01/andreas-wittenberg-tiere-im-kirchenlied/
- Der Weihnachtsvogel. Zu „Wach Nachtigall, wach auf!“. In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2013), URL: deutschelieder.wordpress.com/2013/12/24/wach-nachtigall-wach-auf/
- Kirchenlieder aus dem Reformationsjahrhundert: Martin Luthers „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“. In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2013), URL: deutschelieder.wordpress.com/2013/12/16/martin-luther-mit-fried-und-freud-ich-fahr-dahin/
- Barocke Frömmigkeit und Rhetorik. Zu Paul Gerhardts „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ (1653). In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2014), URL: deutschelieder.wordpress.com/2014/04/21/paul-gerhardt-geh-aus-mein-herz-und-suche-freud/
- Tauf- und Schlaflied. Wilhelm Heys „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“. In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2014), URL: deutschelieder.wordpress.com/2014/03/31/wilhelm-hey-weisst-du-wieviel-sternlein-stehen/
- Ein Land soll erwachen. „Wach auf, wach auf, du deutsches Land“ – Johann Walters Lied immer noch aktuell? In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2015), URL: deutschelieder.wordpress.com/2015/08/24/johann-walter-wach-auf-wach-auf-du-deutsches-land/
- Ins Meer der Liebe versenken. Zu Gerhard Tersteegens „Ich bete an die Macht der Liebe“. In: Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie (2015), URL: deutschelieder.wordpress.com/2015/06/01/gerhard-tersteegen-ich-bete-an-die-macht-der-liebe/
- Die Kirchenlieder zu den Jubiläumsfeiern der Reformation 1617 bis 1917 in Deutschland – Rückblick oder Aufbruch? In: IAH-Bulletin 46 (2018): Kirchengesang und Hymnologie in Zeiten der Transformation. Tagungsbericht der 29. Studientagung der IAH: Teil II, Beiträge, S. 10–31. (Beitrag zur Studientagung 2017 in Løgumkloster (DK); iah-hymnologie.de/de/tagungen/iah-studientagungen/2017-logumkloster/beitraege-an-der-studientagung-2017-in-logumkloster-dk/)
- Von So treiben wir den Papst hinaus bis zu Weil ich Jesu Schäflein bin. Kinder im Kirchenlied und Kirchenlieder für Kinder von Luther bis heute. In: IAH-Bulletin 48 (2020/2021), Teil II, Beiträge: Religious singing in childhood, youth and education. Proceedings of the 30th Biennial IAH Conference 2019 in Halle/Saale (DE), S. 10–27. (Beitrag zur Studientagung 2019 in Halle/Saale (DE); iah-hymnologie.de/de/tagungen/iah-studientagungen/studientagung-2019-in-halle-saale-de-2/beitraege-an-der-studientagung-2019-in-halle-saale-de)
- 155 Volks- und Soldatenlieder. Hg. vom Heeresamt, bearb. von Generalmajor Jürgen Reichardt, Quellenforschung von Brigadegeneral Andreas Wittenberg. Köln: Heeresamt 1998.