Instapoesie – Die Wortkünstler unserer Zeit

Es sind meistes Drei- oder Vierzeiler. Einfache, oft aneinandergereihte Worte und Sätze, die in ihrer Komposition erst durch ihr aufregendes Spiel einen Sinn ergeben. Eingerahmt von feinen Linien, die kleine Blumen oder auch sinnliche Frauenkörper formen, wirken sie oftmals wie kleine Kunstwerke. Fein und zerbrechlich – auch die Worte. Die kleinen poetischen Textchen sprechen von Liebe, dem Alleinsein, dem Verblühen und Wachsen. Man nennt es Instapoesie, diese neue Form der Lyrik. Doch was steckt hinter dem Trend? Im Verlagswesen gelten Gedichtbände als Nischenprodukte, online scheinen sie ihr großes Comeback zu feiern. Dass die Lyrik jedoch ihre Renaissance ausgerechnet im Internet erlebt, wirkt zunächst durchaus absurd. So haben doch die neuen Medien den Ruf, oberflächlich zu sein, wenn nicht sogar materialistisch und neiderzeugend. Das Netz ist doch eine digitale Parallelwelt, in der fremde Meinungen und negative Bewertungen über die eigenen Beiträge hinwegfegen. Shitstorms planieren kreative Ideen sowie originelle Kunst und vermischen diese zu einem Einheitsbrei. Im World Wide Web dürfen sich zwar alle frei fühlen, aber im Endeffekt strebt jeder nach den gleichen Idealen und Individualität scheint ein Fremdwort zu sein. Genau in dieser Welt, in einem sozialen Netzwerk wie Instagram, in dem sogenannte Influencer ihren Followern Sportleggings, Abnehmtees und Gesichtsmasken verkaufen, genau dort entwickelte sich über die letzten Jahre hinweg ein Phänomen. Instapoesie, im Englischen instapoetry, bezeichnet schlichtweg Gedichte, die zur Veröffentlichung auf sozialen Netzwerken geschaffen werden. Es ist jedoch unklar, inwiefern sich die Instapoesie der klassischen Lyrik zuordnen lässt, folgt sie doch ganz anderen Regeln und Mechanismen. Ein Aspekt, der allein schon auf das Medium der Veröffentlichung zurückzuführen ist.

Die meisten digitalen Dichter sind weiblich und jung. Die bekannteste unter den Autorinnen ist Rupi Kaur, die mit ihrer Art der Poetik zur Bestsellerautorin wurde. Sie begann 2009 auf Tumblr ihre Gedichte zu veröffentlichen und machte sich so die Vorteile des Web 2.0 zu Nutzen. Über kaum einen anderen Weg kann man heutzutage so viele Menschen erreichen. Vor allem, da Teile der jüngeren Generation die traditionelle Lyrik als einen verstaubten Teil der Literatur ansehen und meistens eher unfreiwillig mit Gedichten konfrontiert wurden. Man erinnere sich: Schüler klatschen reihum den Rhythmus des zweihebigen Jambus, müssen Eichendorffs Sprache mit der Deutungsebene des Gedichts übereinbringen und dabei stets die unterschiedlichen Epochenmerkmale berücksichtigen. So entsteht schnell der Eindruck, Lyrik sei langweilig, öde und erst recht nicht aktuell. Nun kommt die Instapoesie als digitale Literatur ins Spiel, bei der die Form, ob Sonett oder Ballade, überhaupt keine Rolle mehr spielt. Sie zieht ihren Vorteil aus der praktizierten Teilbarkeit auf den sozialen Netzwerken. Heutzutage gehört das Vervielfältigen wie auch die Rezeption digitaler Kunst nämlich zum Alltag vieler junger Menschen dazu. Diese lassen sich von den Sprüchen inspirieren und posten sie sogar auf ihrer eigenen Profilseite. Die Gedichte gelangen in einen digitalen Dialog, werden von unterschiedlichen Menschen geteilt und geliked. Das ist beinah so, als würde man den gekauften Gedichtband allen Freunden weitergeben, die wiederrum das Gleiche tun und so weiter und so weiter.

Ein hervorragendes Beispiel für eine erfolgreiche Instapoetin ist Carina Eckl aus München . Mit ihren beiden Profilen kursives_ich und kursives_du erschafft sie lyrische Gespräche und melancholische Zeilen über die Liebe und das Leben. Der Look der Gedichte ist immer relativ ähnlich: Sentenzenhafte Verse mit wenig Schrift, die von ihren Lesern schnell erfasst werden können, während sie mit dem Finger durch ihren Instagram-Feed wischen. Man könnte meinen im modernen Zeitalter, in dem alles nur noch digital gelesen wird, würde dies zu einem oberflächlichen Lesen führen. Doch dem ist nicht so. Es muss schließlich nicht alles trivial sein, was kurz ist. Visual Statement heißt das neue Stilmittel der Lyrik, welches meist die ohnehin schon gelegte Aussage pointiert. Die Idee dahinter: Bei den Posts gibt es viel Weißfläche, die den wohl überlegten und perfekt arrangierten Wörtern noch mehr Gewicht verleiht. Abgetippt mit der Schreibmaschine erhalten die Gedichte so einen nostalgischen Wert, der einen fast das Gefühl gibt, man lese ein haptisches Buch und keinen digitalen Text. Viele Instapoetinnen arbeiten zudem mit rhetorischen Figuren. Komplexe Sprachbilder wie Oxymorons, Kyklen oder auch Symploken wird man aber eher seltener antreffen. Auch Carina spielt bei ihren Gedichten mit auffälligen Stilfiguren wie Anaphern oder Alliterationen und wiederholt so die Wörter. Sie verzichtet auf Interpunktion und setzt den Fokus auf die einzelnen Wörter sowie Buchstaben. So wird das große Du schnell zu einem kleinen und geht in den übrigen Wörtern unter. Ein intelligentes Spiel der unterschiedlichen Termini und Pronomen entsteht, das jeder Leser für sich zu interpretieren versucht. Die Zeilen sind einprägend und gehen unter die Haut – manchen Lyrikliebhabern sogar wortwörtlich, denn viele drucken sich die Sprüche nicht nur auf T-Shirts, sondern lassen sich die Zeilen sogar tätowieren. Der Erfolg der Instapoetinnen gründet nämlich auf der universellen Themenwahl der Gedichte. Oftmals handelt die Instalyrik von Liebe und Zurückweisung, von Freundschaft und dem eigenen Körper, aber auch von Ethnizität und Geschlechterungerechtigkeit. Zeitaktuelle Themen also, mit denen sich vor allem junge Menschen auseinandersetzen – und ebendiese zählen zu den Hauptnutzern von Instagram. Der Ton in den Gedichten ist meistens beobachtend und sogar ermutigend, beherrscht von einer einfachen Sprache, die man sich leicht merken kann. Was zunächst an Weisheiten alter Kalendersprüche und Aphorismen erinnert – sowohl inhaltlich wie auch stilistisch – erfüllt eine klare elementare Funktion der Poetik: plaire et instruire – sie erfreut und belehrt zugleich.

Auch die Texte von Erika auf ihrem Profil aufdenpunkt_ sind mit einer Schreibmaschine getippt, jedoch hält die Lyrikerin den Zettel mit dem Gedicht in der Hand und postet ein Foto davon. Das haptische, mit der Hand geschriebene Wortkunstwerk erhält so seinen handwerklichen Aspekt zurück – weg von der digitalen Unnahbarkeit. Zudem wird durch die eigene Handschrift die Singularität des Werkes betont. Der Wortakrobat bildet so eine eigene Ästhetik heraus und macht sich zu einer Marke. Erikas Gedichte gehen oftmals über mehrere Zeilen, auf denen sich die sprachlichen Bilder voll entfalten können. So findet sich das Liebeslabyrinth, das Leid des lyrischen Ichs im Chaos der Gefühle verloren zu sein, in dem Aufbau des Gedichts wieder, ist dies doch voller Kommata und unterschiedlich langer Zeilen in sich verrückt. Der Dialog zwischen dem Ich und dem Du, der meistens eher einer emotionalen Einbahnstraße gleicht, ist ein typisches Instrument der Instapoesie. Ebenso bei Sophia Fritz.Ihre Gedichte auf ihrem Account josephineschreibt wirken oftmals hingekritzelt – auf einem Foto, einem Block oder eben auch mal auf der Hand. Und genau das spiegelt sich auch im Charakter der Gedichte wider: Eine Nahbarkeit, Empfindungen, die jeder von uns schon mal hatte, verpackt in bittersüßen Metaphern und Sprachbildern, die die unterschiedlichen Gefühle endlich zu visualisieren scheinen. Die Zeilen, in Großbuchstaben geschrieben und mit Enjambements miteinander verbunden, werden zu einem großen Ganzen – einem einzelnen Bild, das sich in die Netzhaut einbrennt. Der Clou bei Sophia: In der Bildunterschrift ergänzt sie das Gedicht mit weiteren Zeilen, die so auf dem zweiten Blick entweder ganz neu erscheinen oder noch eine weitere Bedeutungsebene dazu erhalten. So liegt das Du nicht nur am Herzen, sondern auf ihm und erdrückt das lyrische Ich unter der Last der schweren Gefühle, die sogar das Atmen erschwert. Die traurige Ehrlichkeit mit der Sophia Probleme und Gedanken schildert, spricht vielen Lesern aus der Seele. Eben dieser Inspirationscharakter und die Möglichkeit der Gemeinschaftsbildung durch eine Feedbackkultur sind wesentliche Merkmale der Instapoesie, die vor allem durch die einfache Sprache wie auch die Themenwahl geschaffen werden. Vor allem Frauen finden sich durch die Instapoesie zusammen, um im digitalen Raum eine Stimme zu bilden, die so viel mehr Gehör findet als draußen, wo sie in der Masse und Lärm des Alltags verhallt. Und noch viel wichtiger: Was auf Instagram mit Likes und Followern startet, endet oftmals im normalen Buchhandel. Viele Instapoetinnen bringen ihre eigenen Gedichtbände raus – von wegen brotlose Kunst. Instapoesie ist ein eindrucksvolles Phänomen der Popkultur und die Digitalpoeten machen die Lyrik wieder modern. Unsere Generation schreibt eben Poesie mit dem Smartphone und setzt mit den angesprochenen Themen ein Zeichen gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt. Und wäre es nicht ein schöner Gedanke, wenn die Schüler vielleicht irgendwann einmal im Unterricht sitzen und diese Epoche der Lyrik behandeln – und dabei sogar Spaß haben?

 

Alicia Frey