Anne Waldman und die fast speaking women der Beat Generation

Die international renommierte Lyrikerin Anne Waldman hat bereits über vierzig Bücher veröffentlicht. Nicht nur als Autorin, sondern ebenfalls als spoken-word Performerin, Redakteurin, Aktivistin und Dozentin beeinflusst die US-Amerikanerin seit den 1960er Jahren die experimentelle Lyrikszene im englischsprachigen Raum.

Anne Waldmans Werk kann unter anderem der Beat Generation zugeordnet werden. Diese literarische Subkultur florierte in den USA der fünfziger und sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts und erregte vor allem durch die Werke von Autoren wie Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Bourrough Aufmerksamkeit. Freie Liebe und das Aufbrechen heteronormativer Schranken, exzessiver Drogenkonsum und intellektuelle Spiritualität: Den Beatniks (1)war es ein Anliegen die gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit zu provozieren. Ihre Exploration von Nonkonformität spiegelte sich in einer neuen Stilistik des Schreibens, die eine realistische Erzählweise propagierte, wider. Um Authentizität zu gewährleisten wurde Alltags-, Jugend- und Vulgärsprache begrüßt und die Unmittelbarkeit eines Schriftstücks oftmals durch rasante Bewusstseinsströme untermauert. Hierbei ist der Beat Generation ebenfalls eine Vorreiterrolle für die deutsche Popliteratur zuzuschreiben, die in den Sechzigerjahren kurz aufflammte und erneut in den Neunzigern Fuß fasste.(2)

Trotz des Anti-Establishment-Daseins der Beat Generation blieben vor allem die Frauen der Anfängergeneration der Fünfziger als Autorinnen weitgehend unbeachtet. Obgleich weibliche Stimmen durchaus existierten, wurden diese durch soziale Ächtung erstickt. Was man männlichen Beatniks als eine aufregende Rebellion zusprach, wurde Frauen unterbunden und häufig als Grund für den Ausstoß aus der Familie sowie die Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung gesehen.(3) In ihrer weiteren zeitlichen Entwicklung und einer zweiten ‚Welle‘, bot die Beat Generation schließlich mehr Raum für Autorinnen – wenngleich bis heute die Prominenz der Autoren gilt und auch die Wissenschaft lange Zeit die weiblichen Beatniks vernachlässigte.

Die zweite Welle von Beat-Autor*innen führte das Erbe der ersten Generation unter den neuen Voraussetzungen der Sechzigerjahre weiter. Sowohl die Hippie- als auch die aufkommende Frauenbewegung schufen zunehmend mehr Plattformen für Autorinnen. Frauen machten nun einen bedeutsamen Teil der Auflehnung gegen konservative Gesellschaftsstrukturen aus und standen an der Front im Kampf für ihre eigenen Rechte. Inspiriert von der Fünfzigerjahre-Beat-Philosophie etablierte sich eine neue Generation, deren weibliche Angehörige einiges zu sagen hatten und vielleicht sogar noch mehr normative Grenzen ausreizten als ihre männlichen Vorgänger:

Younger and often more nonconformist than the founding generation of male Beats, women Beat writers, fluent in Beat, hippie, and women’s movement idioms, partook of and bridged two important countercultures of the American midcentury. Persistently fore- grounding female experience in the cold war 1950s, the counterculture sixties, and every decade up to the millennium, women writing Beat have brought nonconformity, skepticism, and gender dissent to postmodern culture and literary production in the United States and beyond.(4)

So wuchs auch Anne Waldman als junge Frau inmitten der New Yorker Sechziger- jahre-Gegenkultur und Bohème-Szene auf, wobei sie diese Zeit als sehr einflussreich auf ihre lyrische Entwicklung nennt. Hier wurde sie als Jugendliche erstmals mit Beat Poetry (5)und Jazzmusik (welche einen enormen Einfluss auf den Schreibstil der Beat Generation und Waldmans Lyrik hatte) konfrontiert und begann eigene Texte zu verfassen. 1962 traf sie die Lyrikerin Diane di Prima, durch die sie erstmals in die faszinierende Welt der Beatniks eintrat.(6)

Als Frau der zweiten Beat Generation betont Anne Waldman den Freiheitscharakter der Beat-Bewegung als positiven Einfluss auf die der Frauenbewegung:

Anne credits the ‘freedom espoused by the Beat Movement’ as important springboards for the women’s movement, noting ‘I certainly felt empowered by the early shifts of conscious- ness that were taking place in the ‘60s as a result of freedoms and explorations espoused by the Beats and others.’(7)

Dahingehend gelten für Waldman auch einige ihrer männlichen Beat-Vorgänger als wichtige Mentoren. Durch die geteilte Auseinandersetzung mit dem Zen-Buddhismus und die Erkundung dieser Spiritualität im Hinblick auf das Verfassen von Lyrik, vertiefte sich insbesondere Waldmans Beziehung zu dem Lyriker Allen Ginsberg. Gemeinsam gründeten sie 1974 die Jack Kerouac School (ehem. Jack Kerouac School of Disem- bodied Poetics) an der buddhistisch-inspirierten Universität Naropa Institute in Boul- der, Colorado, wo Waldman bis heute im Sinne der Beat Poetry über experimentelles Dichten und experimentelle Lyrik doziert.(8)

Das vorliegende Exzerpt ist dem 1974 erschienenen Gedichtband Fast Speaking Wo- man entnommen, welchem insbesondere Waldmans Idee der Performance von Lyrik zugrunde liegt. Die fließende Struktur der ihm enthaltenen Gedichte orientiert sich an der buddhistischen Praxis des Chanten, dem wiederholten Singen von Melodien oder Texten als Form der Heilung und transzendenten Verbindung.

In Anne Waldmans Lyrik sind das Politische und das Persönliche oft unabdingbar ineinander verflochten. So liest sich Fast Speaking Woman als eine Ode des lyrischen Ichs an SIE – sich selber und alle anderen Frauen, die nie nur ‚eine‘ Frau sein können oder wollen. SIE ist viel- oder tausendschichtig. SIE ist neugierig, aufbrausend und fürsorglich; SIE ist zurückhaltend, ruhig und verletzlich. SIE ist nicht nur, sondern handelt, indem SIE an die Grenzen ihrer Umwelt stößt und sich an den Kanten ihres Inneren aufschürft – nur um sich im nächsten Moment genau dort in Harmonie wiederzufinden. SIE begibt sich auf eine mentale Reise in die Vergangenheit, blickt erregt oder nüchtern auf das gegenwärtige Geschehen und agiert als Wegbereiterin für eine bessere Zukunft…

 

Elena Trautwein


1 Weit verbreitete Bezeichnung für die Angehörigen der Beat Generation (vgl. Watson: The Birth of the Beat Generation: S. 4).

2 Zur „ersten Welle“ der deutschen Popliteratur vgl. etwa: Brinkmann, Rolf Dieter (1969): ACID. Neue amerikanische Szene. Zur „zweiten Welle“ vgl. etwa: Kracht, Christian (1995): Faserland.

3 Vgl. etwa Johnson/Grace: Girls Who Wore Black: S. 17; Knight: Women of the B.G.: S. 141, 289.

4 Johnson/Grace: Girls Who Wore Black: S. 14.

5 Die Schriftstücke der Beat Generation.

6 Vgl. Knight: Women of the B.G.: S. 287 - 288.

7 Knight: Women of the B.G.: S. 288.

8 Vgl. Anne Waldmans Website.


Quellenangaben

Literatur:

Johnson, Ronna C./Grace, Nancy M. (Hrsg.). Girls Who Wore Black: Women Writing the Beat Generation, Rutgers: Piscataway 2002.

Knight, Brenda. Women of the Beat Generation: The Writers, Artists and Muses at the Heart of a Revolution, Conari Press: San Francisco 1996.

Watson, Steven. The Birth of the Beat Generation: Visionaries, Rebels, and Hipsters, 1944 – 1960, Pantheon Books: New York 1995.

 

Internet:

Anne   Waldmans    Website. www.annewaldman.org [letzter    Zugriff   am 17.04.2020].