Tagungsbericht zur studentischen Tagung "Sprache und Gesellschaft"
Wie und anhand welcher Phänomene kann man das Zusammenspiel von Sprache und Gesellschaft sichtbar machen und verstehen? Diese Frage prägte den lebendigen wissenschaftlichen Diskurs im Rahmen der studentischen Tagung, die am 13. und 14. Juli 2018 zahlreiche Linguistik-Begeisterte in die MG2 lockte. Hier wurden die Früchte eines innovativen Lehr-Lernkonzeptes geerntet, das in dieser Form zum ersten Mal in der germanistischen Linguistik in Bamberg umgesetzt wurde. Studierende und Lehrende präsentierten und diskutierten auf Augenhöhe die Ergebnisse ihrer sprachwissenschaftlichen Forschungsprojekte. Wissenschaft wurde dabei nicht nur anschaulich vermittelt, sondern erlebbar gemacht und von Lehrenden wie Lernenden gemeinsam aktiv gestaltet.
Während des vergangenen Semesters arbeiteten die Studierenden in thematisch passenden Seminaren und einer begleitenden Methodenübung bei intensiver Betreuung durch ihre Dozentinnen und Dozenten an einer individuellen Forschungsfrage, führten Befragungen oder Korpusanalysen durch, werteten Ergebnisse statistisch aus, verfassten Abstracts und stellten sich der Herausforderung, ihre Forschungsergebnisse vorzutragen und zu diskutieren. Sie konnten dabei nicht nur erfahren, wie sie sich selbst im wissenschaftlichen Betrieb bewähren, sondern auch ihre Dozentinnen und Dozenten aus einer anderen Perspektive in Aktion erleben.
Den Auftakt machte am Freitag Lehrstuhlinhaberin Renata Szczepaniak mit einem Vortrag zum Thema „Die Universität als Arbeitgeberin“: Wer sagt so etwas und warum?, wobei sie darlegte, wie die im Titel genannte nicht-referentielle Verwendung von -in-Bildungen in Bezug auf unbelebte Feminina zustande kommt und wie sie von linguistischen Laien wahrgenommen und mit Fragen geschlechtergerechter Sprache in Verbindung gebracht wird.
An den Eröffnungsvortrag schloss sich ein vielfältiges Spektrum gegenwartssprachlicher wie historischer Themen an. Ausgehend von einzelnen sprachlichen Phänomenen und deren Analyse wurden hochaktuelle gesellschaftlich relevante und zum Teil auch brisante Themen diskutiert. So präsentierte beispielsweise Victoria Herrle ihre diskursanalytische Untersuchung zu Forumsbeiträgen sogenannter Pickup Artists und prüfte anhand der Sprache der Community ihre These, ob sich dort eine antifeministische Gesinnung abzeichnet.
Lena Sommermann argumentierte gegen die verbreitete Annahme, durch die Kommunikation im Internet und den Gebrauch von Emoticons werde ein „Sprachverfall“ vorangetrieben. Mit der Kommunikation im Netz setzte sich auch Jens Sørensen auseinander. Er untersuchte die Rolle von Memes als Sprachrohr der Millennials.
Heißt es gewinkt oder gewunken? Würden Sie so etwas sagen wie „Ich tu grad die Rosen schneiden“ und wenn ja, in welchem Kontext? Diese Fragen führten in Bezug auf die Vorträge von Annika Vieregge und Eleonore Schmitt (Dozentinnen) sowie Andrea Karl-Schurian zu Diskussionen über die Rolle von Sprachideologien und die Stigmatisierung bestimmter sprachlicher Ausdrucksweisen. Mit seinem innovativen Ansatz begeisterte Jonas Fehn, der sich mit dem Grammatikalisierungsgrad des beim-Progressivs und dessen kognitiver Konzeptualisierung beschäftigt hatte.
Inwiefern linguistische Forschung anhand eines Phänomens wie der Groß- und Kleinschreibung in frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen weitreichende Schlüsse zulassen kann, ließ Lisa Dücker (Dozentin) in ihrem Vortrag zur Belebtheit von Personenbezeichnungen erahnen. Ihre Ausführungen führten zu Diskussionen über die Frage nach einer geschlechtergerechten Sprache.
Stefan Hartmann (Dozent) zeigte in seinem Vortrag auf, anhand welcher verbreiteten Muster, Stereotypen und Topoi deutlich wird, inwiefern political correctness als Feindbild und Projektionsfläche im soziopolitischen Diskurs fungieren kann, um eine „große Verschwörungstheorie“ zu generieren. Im Anschluss daran wurde die Frage aufgeworfen, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf das reagieren können, was aktuell unter dem Schlagwort „postfaktisch“ diskutiert wird.
Von didaktischer Relevanz waren Katja Rabolds Ausführungen zum Gebrauch des deutschen Artikels bei Arabisch-Muttersprachlern. In Auseinandersetzung mit einer historischen und kulturell höchst einflussreichen Quelle, nämlich Goethes Faust, referierte Kimberley Wegner zur gesellschaftlichen Dimension des Fremdwortgebrauchs.
Ad fontes führte Anette Kremer (Dozentin) mit einem Werkstattbericht zum in Bamberg ansässigen Forschungsprojekt LegIT, insofern sie über die Spurensuche nach dem ältesten deutschen Wortschatz in den überwiegend lateinischen Handschriften der Leges barbarorum und dessen Dokumentation im Online-Portal sprach. Damit erhielten die Studierenden nicht nur einen Einblick in ein in Bamberg laufendes Forschungsprojekt, sondern konnten auch die Komplexität der Forschung an Handschriften nachvollziehen.
Diese wurde auch im Vortrag von Jakob Stößlein deutlich. In Bezug auf seine Untersuchung zur klitischen Schreibweise der althochdeutschen Negationspartikel ni im Otfrid kam insbesondere auch die Problematik der Edition der ältesten deutschsprachigen Textzeugen zur Sprache. Zu einer älteren Sprachstufe referierte auch Julien Binet. Er hatte anhand der Textbasis des Nibelungenlieds die Verwendung von Definitartikeln in Präpositionalphrasen untersucht.
Die gemeinsame offene Reflexion der beiden Tage zeigte, dass die intensive und arbeitsreiche Vorbereitungszeit die Beteiligten keineswegs abschreckt, dass das abwechslungsreiche Programm sowie das Format der Tagung Studierende wie Lehrende überzeugt hat und eine Fortsetzung in den nächsten Semestern von allen Seiten ausdrücklich gewünscht wird. Studierende im Publikum äußerten sich überaus motiviert, selbst auch einmal vortragen und an dem Programm aktiv teilnehmen zu wollen. Die gesprächsoffene, diskussionsfreudige und kollegial-wertschätzende Atmosphäre trug dabei ebenso zum Gelingen der Veranstaltung bei wie die qualitativ hochwertige fachliche Arbeit.
Martina Osterrieder