Porträtfoto der Professorin Raev

▼ Professorin Dr. Ada Raev [2009]

Leiterin der Professur für Slavische Kunst- und Kulturgeschichte

\\ PROFESSORINNEN AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG

\\ INTERVIEW VON 2009

 

"Ich bin zwar von Hause aus Kunsthistorikerin, bin aber jetzt in der Slavistik gelandet und finde es sehr schön und reizvoll, dass ich auch Studierende unterrichte, die eigentlich von der Sprache und der Literatur herkommen und die nun durch meine Professur auch ein breiteres Verständnis von Kultur bekommen."


Wie gefällt Ihnen Bamberg?

Sehr gut, Bamberg ist eine der schönsten Städte Deutschlands, ich fühle mich sehr wohl hier und habe von meinem Büro aus einen wunderbaren Blick auf die Dächer Bambergs. Und wenn ich ein bisschen den Kopf drehe, sehe ich sogar den Bamberger Dom. Was will man mehr?

Sie sind seit 2008 Professorin hier, leben aber noch in Berlin?

Ja, ich bin eine der Pendlerinnen, habe mir aber hier im Hainviertel eine kleine Wohnung gemietet, worüber ich sehr glücklich bin. Ich kann alles zu Fuß erledigen und bin dadurch sehr mobil.

Könnten Sie uns Ihre berufliche Laufbahn vorstellen? Sie haben unter anderem in Moskau studiert?

Ich bin in der DDR groß geworden, in der Nähe von Berlin, und habe dort, in Kleinmachnow, eine sehr gute erweiterte Oberschule, d. h. ein Gymnasium, besucht. Dann bekam ich das Angebot, im Ausland zu studieren. An der Martin-Luther-Universität Halle an der Saale gab es eine zentrale Einrichtung, die das Ganze koordiniert hat. Dort wurde denjenigen, die dafür in Frage kamen, zunächst das Spektrum dessen vorgestellt, was man in den sozialistischen Ländern, anderswo war es nicht möglich, studieren konnte. Da ich keine der Naturwissenschaften oder Russisch studieren wollte und hörte, dass man auch Kunstgeschichte wählen könne, habe ich mich danach erkundigt. Für Kunstgeschichte war Moskau die erste Adresse. Nach einigem Überlegen, auch gemeinsam mit meinen Eltern, habe ich mich dann dazu entschlossen. Zunächst habe ich in Halle das Abitur abgelegt, übrigens nach zwölf Jahren. Ich denke, man war trotzdem gut auf ein Studium vorbereitet. Dann bin ich nach Moskau gegangen, an die Lomonosov-Universität. Dort habe ich in der Regelstudienzeit studiert und hatte nach fünf Jahren mein Diplom in der Tasche. Ich hatte mich dort so gut eingewöhnt, die Sprache gelernt, das Fach lieb gewonnen und viele Freunde und Bekannte kennengelernt, dass ich meine Ausbildung in Moskau fortsetzen wollte. Das war dann insofern nicht so einfach, als die russischen Dozenten der Uni zwar meinten, dass ich gerne wieder kommen könnte, ich mir aber alles selbst organisieren müsste. Sonst wäre es eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes gewesen.

Wie haben Sie sich entschieden?

Ich bin an der Humboldt-Universität in Berlin aufgenommen worden, habe aber darauf hingewirkt, zurück nach Moskau zu gehen. Drei Jahre später habe ich in Moskau promoviert, und zwar über russisch-deutsche Kunstbeziehungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Für jemanden, der aus der DDR kam und in der Sowjetunion studiert hatte, war das ein nahe liegendes Thema, denn man konnte das Wissen aus zwei Kulturen einbringen. Anschließend bin ich an die Humboldt-Universität zurückgegangen. Das war damals der normale Weg – die Einrichtung, die einen delegiert hatte, nahm einen auch wieder auf. Ich habe zunächst einen befristeten Vertrag und nach einem Jahr eine unbefristete Assistentenstelle bei der Kunstgeschichte bekommen. Nach einiger Zeit habe ich mir schon die Frage gestellt, ob ich habilitieren soll oder nicht. Als junge Absolventin ist man ja erst einmal völlig von anderen Dingen absorbiert gewesen: vor allem musste ich lernen, zu unterrichten, so dass ich anderes ein bisschen vor mir her geschoben habe. 1984 ist mein Sohn geboren worden. Irgendwie wuchs dann doch der Druck, beruflich weiterzukommen. Noch vor der Wende habe ich mich gemeinsam mit einigen Kolleginnen mit Feministinnen aus Westdeutschland getroffen. So bin ich auf das Thema gekommen, mit dem ich mich dann jahrelang beschäftigt habe, nämlich die russischen Künstlerinnen der Moderne. Es hat dann noch eine Weile gedauert, bis ich 1999 schließlich habilitiert war, aber ich hatte das Glück, dass ich noch einmal einen 4-jährigen Vertrag an der Humboldt-Universität bekam. Im Anschluss daran habe ich mehrere Vertretungen übernommen. Die Arbeit an anderen Hochschulen – ich war in Kiel, Dresden, wieder in Berlin und in Braunschweig – war für mich sehr interessant. Dann wurde hier in Bamberg zu meinem großen Glück diese wunderbare Stelle für slavische Kunst- und Kulturgeschichte ausgeschrieben, ich habe mich beworben, durfte hier vortragen und dann hat’s geklappt.

Dann hatten Sie, wenn ich das richtig verstehe, nie die Idee, eine wissenschaftliche Karriere gezielt zu forcieren, sondern das hat sich so nach und nach ergeben?

Wie soll ich sagen, in der DDR war der Zwang, es bis zur Professorin bringen zu müssen oder zu wollen, nicht so groß, weil man auch im mittleren Bereich, vergleichbar etwa mit den Akademischen Räten in der BRD, praktisch eine Daueranstellung haben konnte. Natürlich kann man dagegenhalten, dass man, wenn man das Zeug dazu hat, doch vorwärts kommen sollte. Aber wenn man noch relativ jung und der Druck nicht so groß ist, dann sagt man sich, man kann auch so weitermachen. Mit einem kleinen Kind ist das sowieso alles ein bisschen schwieriger. Der innere Druck, der kam erst mit der Zeit, nach den heutigen Altersstrukturen im Hinblick auf eine wissenschaftliche Karriere fast ein bisschen spät. Deshalb bin ich auch relativ spät berufen worden.

Wie sehen Sie das Frauenbild heute und damals, in Ost und West? Gab es da gravierende Unterschiede und wie entwickelt sich das momentan?

Also Unterschiede gab es schon, weil man im Osten gar nicht das Bewusstsein hatte, dass es ein Problem sein könnte, als Frau beruflich angemessen tätig zu sein. Das Bewusstsein darum ist erst nach der Wende geschärft worden. Allerdings bin ich mit meinem Thema über die Künstlerinnen etwas gegen den Strom geschwommen. Die westdeutschen Kolleginnen beklagten immer wieder, es gäbe so wenig anerkannte Künstlerinnen. Ich war erstaunt und dachte, wieso, in Russland waren sie doch präsent, sie waren sogar vergleichsweise öffentlich anerkannt. Aber wenn man dann genauer hinschaute, sah man natürlich schon, dass sehr wohl ähnliche Mechanismen vorhanden waren wie im Westen, aber ihre Wirksamkeit war vielleicht nicht ganz so gravierend. Nach der Wende stieg der Konkurrenzdruck in der akademischen Welt sehr an, und ich musste wie viele meiner Kolleginnen erkennen, dass es Frauen vielleicht ein bisschen schwerer haben als Männer, voran zu kommen, und dem sah ich mich auch ausgesetzt. Das war also eine Annäherung von beiden Seiten. Auf die heutige Situation angesprochen, würde ich sagen, dass insofern einiges besser geworden ist, weil das Bewusstsein um diese Problematik sich inzwischen unter Frauen und Männern durchgesetzt hat. Allerdings besagt das nicht, dass es einen Automatismus gibt, dass z.B. die Stellenbesetzung ausgeglichen ist, daran muss man immer noch arbeiten. Damit und mit der Förderung von Chancengleichheit für Frauen hat ja auch das Amt zu tun, in das ich jetzt hinein gewählt worden bin.

Was reizt Sie am Amt der Universitätsfrauenbeauftragten und wie kamen Sie überhaupt zu diesem Amt?

Gekommen bin ich dazu ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind, um im Bilde zu bleiben, indem ich von Frau Wagner-Braun, meiner Mitstreiterin, angesprochen worden bin, ob ich das Amt mit ihr gemeinsam übernehmen würde, alldieweil meine Vorgängerin ein anderes Amt übernommen hatte und nun nicht mehr zur Verfügung stand. Zuerst war ich schon etwas erschrocken und habe gedacht, meine Güte, kann ich denn das jetzt, wo ich noch relativ neu, im zweiten Semester, an der Uni Bamberg bin, überhaupt leisten? Ich kenne die inneren Strukturen der Universität nach so kurzer Zeit nur bedingt, und es ist natürlich immer günstiger, wenn jemand schon gut eingearbeitet ist, dann lässt es sich geschickter agieren. Schließlich habe ich dann doch eingewilligt, da Frau Wagner-Braun bereits langjährige Erfahrung in diesem Amt hat und somit nicht die Gefahr bestand, dass zwei Anfängerinnen tätig werden müssen. Von der Sache her finde ich es als Betroffene, als Frau, wichtig, dass man sich für die Belange von Frauen im wissenschaftlichen Bereich einsetzt. Außerdem habe ich von dem Verein „Universität Bayern e.V.“ gerade eine Förderung für meine neu eingerichtete Professur erhalten und möchte auf diesem Wege ein bisschen von dem zurückgeben, was ich bekommen habe.

Haben Sie während Ihrer Studienzeit und danach Förderung erhalten?

Nein, eine spezielle Förderung im heutigen Sinne habe ich nicht bekommen. Das hängt damit zusammen, dass ich bis zur Wende eine unbefristete Stelle hatte. Anfang der 1990er Jahre habe ich selbst in der Struktur- und Berufungskommission der Kunst- und Kulturwissenschaften in Berlin mitgearbeitet im Rahmen der Umstrukturierung eine auf sechs Jahre befristete Stelle bekommen. Auf dieser Stelle habe ich mich dann habilitiert. Als Förderung könnte man den bereits erwähnten Vertrag für vier Jahre interpretieren, den ich schon als nochmalige, faire Chance für meine wissenschaftliche Karriere empfunden habe.

Gab es in Ihrer Laufbahn Vorbilder oder Menschen, die Sie in Ihrem Vorhaben bestärkt haben?

Konkret eigentlich nicht, vielleicht hat mich eher der innere Druck bestärkt, den ich empfand, da ich diese Ausbildung genossen habe, diese Chance bekommen habe und ich es einfach schaffen wollte. Und irgendwie muss man ja auch Geld verdienen und für sich und die Familie aufkommen. Außerdem habe ich große Freude daran, mein Wissen weiterzugeben.

Was finden Sie denn besonders reizvoll an Ihrem Fach?

Ich bin zwar von Hause aus Kunsthistorikerin, bin aber jetzt in der Slavistik gelandet und finde es sehr schön und reizvoll, dass ich auch Studierende unterrichte, die eigentlich von der Sprache und der Literatur herkommen und die nun durch meine Professur auch ein breiteres Verständnis von Kultur bekommen. Sie sind angehalten, sich auch mit der Bildkultur auseinanderzusetzen und verstehen zu lernen, dass Wort und Bild gerade auch in den slavischen Kulturen sehr eng zusammengehören. An der Herausbildung dieses Bewusstseins von jungen Leuten mitzuarbeiten, empfinde ich als ein Privileg und als eine sehr schöne und für mich selbst sehr bereichernde Angelegenheit.

Könnten Sie uns Ihren Forschungsschwerpunkt vorstellen?

Durch meine Promotion und durch die Habilitation sind zwei für mich wichtige Richtungen vorgegeben. Von der Promotion angeregt wurde das Bewusstsein um den europäischen Gesamtzusammenhang, in den auch die slavischen Länder, namentlich Russland, eingebunden sind. Ich finde es sehr wichtig, das Wissen darum, dass Europa kulturell gesehen doch ein bisschen größer und vielfältiger ist als gemeinhin angenommen, zu vermitteln. Darum bemühe ich mich auch, indem ich menen Unterricht demgemäß aufbaue und den Studierenden, egal ob sie Slavistik oder Kunstgeschichte studieren, dieses Wissen vermitteln möchte. Ich wähle zum Teil auch die Themen gezielt so aus, etwa im nächsten Semester, wo es in einem Seminar um den osteuropäischen Beitrag zur so genannten École de Paris gehen wird. Außerdem habe ich mich verstärkt mit der Problematik von Künstlerinnen beschäftigt, sowohl mit den soziologischen und ästhetischen Prämissen ihres Schaffens als auch mit der Bewertung künstlerischer Leistungen von Frauen. Schließlich haben mich auch immer Randgebiete der Kunstgeschichte interessiert, zum Beispiel die Plakatkunst, die Buchkunst oder das Bühnen- und Kostümbild in der Sphäre des Theaters oder des Tanzes.

Ließ sich Ihr Beruf mit familiären Plänen in Einklang bringen?

Ja, letztendlich doch. Zu DDR-Zeiten war es ein bisschen leichter, einen Kinderkrippen- und Kindergartenplatz zu bekommen, und es war ein Selbstverständnis vorhanden, unbedingt berufstätig sein zu wollen. Ich hatte persönlich nicht das Bedürfnis, nach der Geburt meines Sohnes drei Jahre zu Hause zu bleiben. Darüber kann man geteilter Meinung sein, man kann auch argumentieren, dass die Mutter für das Kind ganz wichtig ist in den ersten Lebensjahren. Die Entscheidung muss jede und jeder für sich selbst treffen. Ich finde es bis heute so, wie meine Familie und ich das gelöst haben, in Ordnung. Mein Mann hat sich viel um unseren Sohn gekümmert. Alexander ist bereits mit einem halben Jahr in die Kinderkrippe gegangen, danach in den Kindergarten. Ich denke, viel hängt von der emotionalen Situation in der Familie ab. Wenn da soweit alles okay ist und das Kind dann kollektiv betreut wird, fördert das die Gruppenfähigkeit und den Umgang mit Menschen. Mein Sohn ist in dieser Hinsicht gut drauf.

Hatten Sie bzw. haben Sie das Gefühl, dass Sie im Gegensatz zu Ihren männlichen Kollegen mehr leisten mussten bzw. müssen, um gleiche Anerkennung zu bekommen?

In der subjektiven Wahrnehmung würde ich sagen, ja, Männer werden gerade in Strukturen, in denen Männer das Sagen haben, vielleicht stärker gefördert als Frauen. Das kann man aber nicht verabsolutieren, das ist eine schwierige Frage. Ich denke, man sollte auch nicht jeden Mann blind stigmatisieren und sagen, ja, ja, der fördert sowieso immer nur die Männer, da muss man sehr vorsichtig sein.

Sehen Sie ein Problem darin, dass der Anteil der Professorinnen an Universitäten so gering ist?

Im Prinzip bin ich da optimistisch, schon deshalb, weil der Anteil der Studentinnen über 50 Prozent liegt. Ich bin sicher, dass sich die Zahl der ambitionierten jungen Frauen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben und alle Rahmenbedingungen, die von der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden, nutzen, um diesen Weg einzuschlagen, erhöhen wird. Aber es wird sich wahrscheinlich kein Automtismus entwickeln, insofern sind solche Ämter, wie Frau Wagner-Braun und ich sie hier an der Universität Bamberg innehaben, wichtig, um diesen Prozess zu begleiten und die bereits erreichten wirksamen Strukturen und Fördermöglichkeiten zu erhalten und auszubauen.

Was würden Sie Studentinnen raten, die sich für eine wissenschaftliche Laufbahn interessieren?

Dran bleiben! Das ist vor allem wichtig für sich selbst. Man sollte auch nur in einem Bereich arbeiten, wenn einem daran gelegen ist. Man muss mit Leidenschaft dabei sein, das war schon immer so, das ist jetzt nichts Frauenspezifisches. Wenn man für etwas „brennt“, kann man Einschränkungen, denen man sich zur Erreichung seiner Ziele unterwerfen muss, viel besser begegnen. Man packt das dann viel besser und empfindet es auch gar nicht so sehr als Belastung. Man muss sich so vieles wie möglich aneignen und Erfahrungen sammeln. Damit es vorangeht, muss man sich kümmern, aktiv sein, persönliche Unterstützung und geeignete Strukturen in Anspruch nehmen. Man muss zielorientiert vorgehen, aber auch nicht in Panik geraten, wenn sich etwa der Kinderwunsch regt. Das Leben mit einem Kind ändert vieles und hält große Herausforderungen bereit, aber mit Zielstrebigkeit und Engagement müssen die beruflichen Ambitionen nicht auf der Strecke bleiben. Man lernt in jedem Falle, sich besser zu organisieren und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

Würden Sie mit dem Wissen, das Sie heute haben, etwas an Ihrem beruflichen Werdegang ändern?

Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht hätte ich mich unter den heutigen Bedingungen bemüht, eher zu habilitieren, aber ich kann nicht sagen, dass ich etwas bedaure oder denke „ach hättest du mal“, das gewiss nicht.

Vielen Dank Frau Prof. Dr. Raev!

 

Das Gespräch führten Melanie Worack und Sophie Strauß.