▼ Professorin Dr. Gabriele Faust † [2003]
\\ PROFESSORINNEN AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG
\\ INTERVIEW VON 2003
"Viele Professoren sind verheiratet und haben Familie, viele Professorinnen dagegen geschieden und kinderlos."
Könnten Sie uns bitte kurz Ihre berufliche Laufbahn vorstellen?
Nach der ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen (1972) und dem Diplom in Schulpädagogik (1975) habe ich - damals noch ohne Referendariat - die zweite Staatsprüfung abgelegt (1978) und meine Dissertation zum Thema "Themenkonstitution als Problem von Didaktik und Unterrichtsforschung" begonnen, die ich 1986 abgeschlossen habe. Anfangs hatte ich ein Stipendium einer Stiftung, das mir auch einen Auslandsaufenthalt ermöglicht hat. Später war ich daneben im Schuldienst tätig und übernahm Aufgaben als Ausbildungslehrerin der Pädagogischen Hochschule Reutlingen und als Mentorin für Lehramtsanwärterinnen und in der Religionslehrerausbildung. 1988 - 1991 war ich neben einer halben Stelle als Lehrerin an einer Tübinger Grundschule mit halber Stelle im DFG-Projekt "Religiöse Entwicklung in der Praxis des Religionsunterrichts", Projektleiter Prof. Dr. Karl Ernst Nipkow, Universität Tübingen, beschäftigt und hatte Lehraufträge an Pädagogischen Hochschulen. 1991 kam ich als Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Grundschulpädagogik/Anfangsunterricht ohne Habilitation u.a. aufgrund einer Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen an die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg. 1995 folgte ich dem Ruf auf eine C 4-Professur an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt. 2001 wurde ich auf den Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Otto-Friedrich- Universität berufen. Seit April 2002 forsche und lehre ich nun in Bamberg. 16 Jahre gehörte ich außerdem dem Bundesvorstand des Arbeitskreises Grundschule e.V./Der Grundschulverband an.
Erhielten Sie während der Studienzeit bzw. in Ihrer beruflichen Laufbahn Unterstützung?
Mein Lebensweg ist auch insofern ungewöhnlich, als ich als Erste in meiner Familie ein Gymnasium besuchte und das Abitur machte. Ich habe schon als Grundschülerin Menschen gefunden, die mich unterstützt haben. Meine Eltern haben mir damals erklärt, dass sie mir bei schulischen Angelegenheiten nicht helfen könnten und ich selbst dafür sorgen müsste, dass ich keine Probleme hätte. Das hat mich zwar belastet, aber auch für Selbstständigkeit gesorgt. Ich bin meinen Eltern dafür dankbar, dass sie mich meinen Weg gehen ließen. Während des Diplomstudiums hatte ich als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Tübingen und beim dortigen Deutschen Institut für Fernstudien (DIFF) engeren Kontakt zu den Lehrenden und zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dadurch habe ich viel gelernt.
Wie kamen Sie auf die „Idee“, eine akademische Laufbahn einzuschlagen?
Ich habe sehr gerne studiert und das anregende intellektuelle Klima an den Hochschulen, das um 1970 herrschte, sehr genossen. Zum Lebensgefühl trug auch die Unabhängigkeit im ersten eigenen Studentenzimmer bei, obwohl es ein Kellerzimmer war und mit einem Kohleofen beheizt werden musste. Nach der ersten Staatsprüfung wusste ich, dass ich bis zum Diplom 1 weiterstudieren wollte, im Diplomstudium entstand die feste Absicht zu promovieren. Alles Weitere folgte daraus.
Gab es für Sie Vorbilder oder Menschen, die Sie in Ihrem Vorhaben bestärkt haben?
Vorbilder sind für mich alle, die ihre Arbeit gründlich, präzise, mit Interesse und Freude machen. Hervorheben will ich meinen Doktorvater, den Tübinger Schul- und evangelischen Religionspädagogen Karl Ernst Nipkow. An ihm beeindruckt mich besonders, dass er kontinuierlich weiterarbeitet und publiziert, inzwischen als Emeritus. Viele haben mich gefördert, und ich habe mit vielen Mitstudierenden, Kolleginnen und Kollegen in Schule, Hochschule und im Rahmen des Arbeitskreises Grundschule/Der Grundschulverband e.V. sehr gerne zusammengearbeitet.
Könnten Sie bitte kurz Ihre Forschungsschwerpunkte vorstellen?
Es sind zwei Schwerpunkte: Seit 1991 interessiert mich der Schulanfang. Kindergarten und Grundschule sind in Deutschland personell, strukturell und curricular weitgehend voneinander getrennt und folgen unterschiedlichen pädagogischen Konzepten. Das macht die Abstimmung der Bildungsstufen, die den Kindern aufeinander aufbauende Förderung sichern soll, schwierig. In anderen Staaten ist schon vom Bildungssystem her mehr Kontinuität zu finden, z.B. in den Niederlanden mit ihrer Basisschule von vier bis zwölf Jahren, in Skandinavien oder auch in Neuseeland, wo die Kinder unmittelbar nach ihrem fünften Geburtstag zunächst in eine "Reception Class" kommen und dann bis zum 12. Schuljahr in einer, freilich stark differenzierten Schulform bleiben. Familie, vorschulische Einrichtung und Grundschule sind in ihrem Zusammenwirken zu betrachten. Viele Fragen, die sich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit bearbeiten lassen, sind dabei noch offen. Das zweite Gebiet ist die empirische Erforschung der Lehrerausbildung. Im Verhältnis zur Zahl programmatischer Schriften herrscht ein gravierender Mangel an empirischen Arbeiten. Vor Reformvorschlägen wären aber zunächst Bestandsaufnahmen notwendig.
Was finden Sie reizvoll an Ihrem Beruf und an Ihrem Fach?
Ich kann mir für mich keinen interessanteren Beruf denken. Mich fasziniert die Mischung aus intellektueller Arbeit in einem Fachgebiet, in dem man nach und nach ein Expertenwissen erwirbt, der Arbeit mit den Studierenden und der Möglichkeit, selbst Schwerpunkte zu setzen und dadurch das eigene Berufsumfeld zu gestalten. Hinzu kommt, dass mein Fach, die Grundschulpädagogik, erst seit ca. 30 Jahren an den Universitäten vertreten und als forschende Disziplin in vielen Teilbereichen noch "im Aufbau" ist. Das hat zwar auch Nachteile, z.B. wenn die eigenen Artikel nicht mehr in die praxisorientierten Grundschulzeitschriften "passen", gibt aber auch Freiraum und stellt einen besonderen Anreiz dar.
Ließ sich Ihr Beruf mit familiären Plänen in Einklang bringen?
Mit den familiären Plänen, die ich vor ca. 20 Jahren hatte, nicht. Dann haben sich meine Zukunftsvorstellungen geändert, und jetzt bin ich wieder damit einverstanden, wie ich lebe. Das Umfeld scheint es zu bestätigen: Viele Professoren sind verheiratet und haben Familie, viele Professorinnen dagegen geschieden und kinderlos. Gerade in meinem Fach aber haben einige Kolleginnen ein Kind, manche sogar mehrere. Eine Partnerschaft lässt sich nach meinen Erfahrungen mit der Arbeit als Hochschullehrerin vereinbaren. Wenn Kinder da sind, geht es wohl nur mit Rückendeckung durch den Partner, weiteren Unterstützungssystemen, guter Organisation und konsequenter Teilung der Arbeit. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kinder 2 in den Jahren geboren werden, in denen sich auch die beruflichen Weichen stellen. Da hilft nur, von vornherein ganz gezielt einen Partner zu wählen, mit dem man, sofern man dies will, beides leben kann.
Hatten Sie bzw. haben Sie das Gefühl, dass Sie im Gegensatz zu Ihren männlichen Kollegen mehr leisten mussten bzw. müssen, um die gleiche Anerkennung zu bekommen?
Nein. In zwei (Wahl-)Situationen war es für mich, nachdem ich zuvor positiv aufgefallen war, sogar ein Vorteil, eine Frau und - damals noch - Grundschullehrerin zu sein. Ich wurde gewählt, was mir weitere Möglichkeiten eröffnete, und die männlichen Mitbewerber aus dem Hochschulbereich trugen es mir glücklicherweise nicht nach. Aufgrund der großen Freiheit ist die Arbeitszeit von den eigenen Ansprüchen abhängig und so oft nur schwer zu beschränken. Hochschulen sind konkurrenzbetonte Umgebungen, umso schöner sind Kollegialität und Anerkennung.
Sehen Sie Probleme darin, dass der Anteil der Professorinnen an Universitäten so gering ist?
Je höher die Stellen in der Hierarchie angesiedelt sind, desto geringer ist der Frauenanteil. Unter den C 4-Stelleninhabern ist ca. "jeder 15. eine Frau". Selbstverständlich sollte die Verteilung ausgeglichener sein. Laut Unidoc 1/2003, S. 5, wurden erstmals vor 100 Jahren Frauen an den bayerischen Hochschulen zugelassen. Heute studieren an der Otto-Friedrich- Universität erheblich mehr Frauen (61 %) als Männer. Frauenförderung ist deshalb eine wichtige Aufgabe.
Was würden Sie Studentinnen raten, die sich für eine wissenschaftliche Tätigkeit interessieren?
Freude am Studium haben; auch im Lehramtsstudium Wert auf Kenntnisse in Forschungsmethoden legen und nach Möglichkeit, z.B. als studentische Hilfskraft, in der Forschung mitarbeiten; wenn es einzurichten ist, an die Universität gehen, wo man am meisten lernen kann; zügige Abschlüsse; Netzwerke mit Frauen, aber auch mit Männern bilden; schließlich sich bewerben und die Stellen antreten.
Gibt es etwas, das Sie an den Lehrveranstaltungen stört oder worüber Sie sich bei den Studierenden ärgern? Können Sie hierbei Unterschiede zu Ihrer eigenen Studienzeit erkennen?
Lehrveranstaltungen könnten noch viel intensiver sein, wenn sie nicht nach-, sondern vorbereitet würden. Aber dann müssten die Studierenden sehr viel mehr lesen und ihren Stundenplan radikal entrümpeln - und das ist in vielen Studiengängen und vor allem in der Lehrerausbildung kaum möglich. Mit den Bamberger Grundschulpädagogik-Studierenden arbeite ich bislang sehr gerne zusammen: Zwar sind Diskussionen in manchen Seminaren schwierig, aber Reader werden gelesen, die Seminarteilnehmerschaft ist konstant und viele arbeiten von Anfang an für ihr Studium, nicht erst unter dem Eindruck von Prüfungen. Bamberg ist nicht nur eine sehr schöne Stadt, sondern offensichtlich "etwas für Zielstrebige"! Da die Berufsaussichten viel unsicherer, die Ferienarbeitsplätze seltener und die Ansprüche an den Lebensstandard während des Studiums höher geworden sind, haben die Studierenden es heute schwerer.
Würden Sie mit dem Wissen, das Sie heute haben, etwas an Ihrem beruflichen Werdegang ändern?
Vielleicht etwas früher den Lehrerberuf aufgeben und an der Hochschule arbeiten. Aber das steht ja nicht mehr zur Debatte!
Vielen Dank für das Gespräch!