Frau geht durch eine Wüste

Ringvorlesung Sprache.Macht.Geschlecht. (II)

Schon acht Vorträge haben wir in der diesjährigen Ringvorlesung gehört. Im zweiten Teil des Recap stellen wir euch die Vorträge fünf bis acht vor.


Die ersten vier Vorträge haben wir euch bereits in einem Blogpost zusammengefasst, die nächsten vier stellen wir hier vor:

 

Professorin Dr. Sabine Vogt: Sex und Gender als Denk-Kategorien in der Antike

Professorin Dr. Sabine Vogt doziert nicht nur an der Otto-Friedrich-Universität sondern ist auch Mitorganisatorin der Ringvorlesung. Sie ist Leiterin der Professur für Klassische Philologie mit dem  Schwerpunkt Gräzistik und Sprecherin für das Projekt ‚KulturPLUS: Kulturbezogene Lehrerbildung‘ innerhalb des BMBF geförderten Projekts WEGE.

Der erste Teil ihres Vortrags beschäftigte sich mit den biologischen und physiologischen Vorstellungen der Geschlechterdifferenz in der frühgriechischen Philosophie. Einige Pythagoreer (6. Jh. v. Chr.) hatten zehn Prinzipien, die die binäre Oppositionen ihrer Naturphilosophie darstellten: Diese beinhalteten beispielsweise Ungerades und Gerades, Licht und Finsternis, Gerades und Krummes, aber auch Rechtes und Linkes, sowie Männliches und Weibliches. So gingen sie auch davon aus, dass das Geschlecht eines Embryos davon bestimmt wird, auf welcher Seite dieser sich im Uterus ansiedelt oder aus welcher Körperhälfte des Vaters der Samen stammt.

Mit vielen Zitaten schilderte Professorin Dr. Vogt wie die Geschlechterdifferenzen in der antiken Medizin ausgesehen haben: Beispielsweise galt der weibliche Körper als feuchter und leichter, weswegen er sich jeden Monat vom Warmen (dem Menstruationsblut) reinigt.

Im mittleren Teil ihres Vortrags, ging Sabine Vogt auf die Zuschreibung von Geschlechtertollen bei Aristoteles ein. Nicht nur optisch wurde stark zwischen männlich und weiblich unterschieden, sondern Frauen wurden auch als „feiger“ und „ungerechter“ bezeichnet, während Männer „mutiger“ und „gerechter“ seien.. Im weiteren Verlauf des Vortrags zeigte Professorin Dr. Vogt anhand  uns  teils heute noch bekannter Beispiele, dass in der griechisch-römischen Antike auch  Darstellungen der Pluralität von Geschlechterrollen zu finden sind  : Aristophanes’ Idee, dass Menschen früher Kugelwesen gewesen seien, die von Zeus getrennt wurden und nun ihre zweite Hälfte suchen, der Hermaphrodit, eine Gestalt, die sowohl männliche als auch weibliche Körpermerkmale besitzt, und viele weitere.

Ein interessanter Blick auf die Thematik der Gräzistik und vielleicht auch die ein oder andere Erklärung für Denkmuster, die wir bis heute haben.

 

Professorin Dr. Sabine Sczesny: Anti-Diskriminierung durch geschlechtergerechte Sprache?

Seit 2008 ist Dr. Sabine Sczesny Professorin für Soziale Neurowissenschaft und Sozialpsychologie in Bern. Zu ihren Forschungsgebieten gehören Themen wie Alter, Geschlecht und Migration. In ihrem Vortrag beschäftigte sie sich deswegen damit, wie mitgemeint Frauen in der deutschen (das generische Maskulinum nutzenden) Sprache tatsächlich sind, was das mit Frauen macht und inwiefern der Sprachgebrauch korrespondiert mit der Gleichstellung der Geschlechter.

Letzteres beantwortete die Professorin eindeutig: „Der Gebrauch geschlechtergerechter Sprachformen führt zu ausgeglicheneren mentalen Repräsentationen der Geschlechter als der Gebrauch maskuliner Formen.“ Denn Sprache trägt zur Entstehung und Verbreitung geschlechtlicher Stereotypisierungen bei. So beeinflusst sie beispielsweise Selbst- und Fremdbeurteilungen: Frauen fühlen sich eher angesprochen und sind interessierter bei Stellenausschreibungen für männlich dominierte Berufe, wenn sie explizit  genannt werden (bspw. weibliche Berufsbezeichnung oder Geschlechterkürzel)und reagieren auf die Verwendung von männlichen Sprachformen mit einem Gefühl von Ausgeschlossensein.

Studien zur Fremdbeurteilung zeigen: Der Sprachgebrauch hat Einfluss auf die Chancen vonFrauen für statushohe Führungspositionen ausgewählt zu werden.

Im letzten Teil des Vortrags erklärte Professorin Dr. Sczesny: Länder mit grammatikalischem Genus weisen geringere Gleichstellung der Geschlechter auf. Sichtbar wird das zum Beispiel bei der Grafik zu „Level of Female Labor Force Participation“: In Ländern, die wenig Geschlecht in ihrer Sprache verwenden, sind Frauen häufiger an Lohnarbeit beteiligt.

Der Ausblick, denn Professorin Dr. Sczesny gibt, ist deutlich: Die Umsetzung geschlechtergerechter Sprache gelingt am besten, wenn die Verhaltenssteuerung nicht auf Verbote oder Gebote zurückgreift, oder erst neue Anreize setzen muss. Dafür bietet sich zum Beispiel die Beidnennung an, bei der man einfach „drüber lesen“ kann.

 

Professorin Dr. Gabriele Diewald: Richtig Gendern

Gabriele Diewald ist seit 2002 Professorin für Deutsche Gegenwartssprache an der Universität Hannover und hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zum Thema „Geschlechtersensible Sprache“ veröffentlicht. Wer könnte also geeigneter sein, um uns das Gendern näherzubringen?

Als erstes bekamen wir einen Überblick darüber, wie die aktuelle Situation aussieht: Welche Leitfäden gibt es, welche rechtlichen Rahmen und was ist geschlechtergerechte Sprache überhaupt? Professorin Diewald erklärte, es sei einfacherer das Pferd von hinten aufzuzäumen und stattdessen zu definieren was sexistische Sprache ist: Sprache als Unterdrückungshandlung, die Frauen und ihre Leistungen ignoriert und in Abhängigkeit stellt, Stereotypisierungen verdeutlicht und Macht ausübt. Professorin Dr. Diewald schaffte eine Grundlage für die Zuhörenden, indem sie bereits bekannte sprachliche Mittel zur geschlechtergerechten Sprache diskutierte: Beidnennung, Bindestrich- und Klammerformen, Binnen-I, Neutralisierung, substantivierte Adjektive und Partizipien, Abstraktion und Entpersonalisierung.

Doch Sprache entwickelt sich weiter und damit auch die Gestaltungsvorschläge zum Gendern: Heute gibt es die Gender Gap, das Sternchen und den Doppelpunkt. Unter anderem werden diese Vorschläge bevorzugt, da man hierbei das binäre Geschlechtersystem durchbrechen kann und andere Geschlechter miteinbeziehen kann.

Professorin Dr. Diewald untersuchte außerdem mit uns das generische Maskulinum und wie „mitgemeint“ die anderen Geschlechter hierbei wirklich sind. Sie zeigte uns linguistische Untersuchungen, die eindeutig belegen, dass Frauen durch das generische Maskulinum benachteiligt werden, sowohl bei der Darstellungsfunktion als auch bei der Handlungsoption. Das bedeutet, dass Frauen eben nicht mitgedacht werden und sich auch oft nicht angesprochen fühlen.

In dem Mittelteil des Vortrags nahm sich Professorin Dr. Diewald Zeit, um die Thematik des Verhältnisses zwischen genus und Geschlecht im Deutschen zu vertiefen. Detailliert erklärte sie deutlich, woher das Unverständnis vieler Gender-Gegner*innen kommt: Doch der Unterschied zwischen biologischem und grammatischem Geschlecht zeigt eindeutig die Diskriminierung von allen Geschlechtern außer dem männlichen auf.

Zum Ende besprach die Professorin verschiedene Problematiken, die bei geschlechtersensibler Sprache aufkommen können: So wird von Gender-Gegner*innen oft der Vorwurf aufgebracht, die Anpassung der Sprache würde zu Undeutlichkeiten, Verlangsamen und Verlängerten Texten führen. Doch, so Diewald, sinnvoll eingesetzte gendergerechte Formen sind generell nicht der Grund für schlechte Verständlichkeit.

Die Linguistin gab allen noch einige Beispiele, Anwendungsempfehlungen und Daumenregeln an die Hand, die das Gendern erleichtern sollen. Auch diese könnt ihr euch gerne nochmal im VC anschauen.

Im Ganzen hat der Vortrag uns verdeutlicht, wie viele Möglichkeiten es tatsächlich gibt, geschlechtergerecht zu formulieren und wie wichtig es ist, diese zu nutzen.

 

Dr. Ilka Wolter: Does gender matter? Zum Zusammenhang von Geschlechtsstereotypen mit der domänenspezifischen Kompetenzentwicklung

Doktorin Ilka Wolter studierte Psychologie in Marburg, promovierte in Berlin und ist nun Habilitandin an der Otto-Friedrich Universität Bamberg. Sie ist außerdem Interimsleitende am Leibniz- Institut für Bildungsverläufe in der Abteilung 1 für Kompetenzen, Persönlichkeit und Lernumwelten. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf der Lesekompetenz.

Wichtig für ihren Vortrag war, zu wissen, wie Geschlechtsstereotype definiert werden. Diese beschreiben sozial geteilte Annahmen darüber, wie Frauen und Männer sind oder sein sollten. Beispiele hierfür waren, dass Männer als ehrgeizig, unabhängig und dominant gesehen werden, während Frauen als träumerisch, abhängig und furchtsam gelten. Aber auch schulische Kompetenzen zählen hier: Mathematik und Naturwissenschaften werden als männliches Gebiet angesehen, Lesen eher als weibliches. Und dies ist tatsächlich nicht grundlos: Bei Studien, die am Ende der Grundschulzeit gemacht wurden, haben Mädchen einen Vorsprung beim Lesen und Zuhören, während Jungen besser in Mathematik sind. Diese Geschlechtsunterschiede können sich im Bildungsverlauf ändern: Im Erwachsenenaltern nehmen die Unterschiede in der Lesekompetenz ab, im Bereich der Mathematik und Naturwissenschaften jedoch nicht.

Als Gründe hierfür nannte Dr. Wolter beispielsweise den Zusammenhang zwischen Leistung, Selbstkonzept und Interessen, höhere Angst vor Mathematik bei Mädchen, niedrige intrinsische Motivation zum Lesen bei Jungen. Außerdem konnte festgestellt werden, dass ein traditionelles Verständnis von Geschlechterrollen mit allgemein schlechterer Schulleistung einhergeht.

Aber inwiefern nehmen Erziehungspersonen Einfluss auf diese Stereotypen?

Bereits mit zwei Jahren suchen Kinder aktiv nach geschlechtsbezogenen Hinweisen und so lernen sie Geschlechterstereotypekennen. Eltern oder Lehrpersonen geben die eigene Vorstellung der Geschlechter, soziale Modelle und direkte Sozialisationspraktiken weiter. Dies kann beinhalten, dass im Klassenzimmer mehr Aufmerksamkeit den Jungen gewidmet wird oder Kinder von berufstätigen Müttern weniger starke Vorstellungen von Geschlechterrollen haben.

Am Ende gab Ilka Wollter uns, vor allem den Lehrkräften, noch Empfehlungen mit auf den Weg:

  • Schülerinnen und Schüler sollten ermutigt werden, geschlechtsuntypische Aktivitäten zu unternehmen
  • Differentielle Bekräftigung sollte vermieden werden
  • Geschlechtstypische Erwartungen vermeiden
  • Lehrkraft als positives Rollenmodell
  • Aufgabenstellungen sollten so formuliert werden, dass Geschlechtskonnotationen vermieden werden
  • Vermeiden, Kinder mit Geschlechtskategorien anzusprechen
  • Gendersensitive Gestaltung von Lehrmaterialien und Lernaktivitäten
  • Reflexion des eigenen Verhaltens

https://www.bildunginbayern.de/download/Aktionsrat_Bildung_Jahresgutachten_2009.pdf

Der Vortrag leistete besonders viel Input für die Arbeit von Erziehenden, Pädagog*innen, Lehrkräften und denen, die es noch werden wollen. Wir glauben jedoch, dass auch alle anderen sich diesen Vortrag ansehen sollten, um die nächste Generation besser unterstützen zu können.