Perspektivwechsel: Melonis Wahlerfolg in Italien – Ein Erfolg für Frauen in der Politik?

Eine feministische Einschätzung des politischen Wechsels in Italien.

Giorgia Meloni wurde im Oktober 2022 zum ersten weiblichen Staatsoberhaupt Italiens gewählt. Eine Regierungschefin, eine weibliche Führung – eigentlich fortschrittlich und ‚feierbar‘, oder? Erinnert man sich nur daran, wieviel Lob und Zuspruch Regierungschefinnen wie Angela Merkel (Deutschland) oder Jacinda Ardern (Neuseeland) weltweit zu Teil wurde. Meloni ist allerdings Vorsitzende der Partei Fratelli d’Italia (FdI), die zum rechten Flügel gehört und sich sehr weit rechts positioniert.

Kann man trotz Melonis rechter politischer Ausrichtung von einem Wahlerfolg für Frauen sprechen? Ist die neue italienische Ministerpräsidentin ein ‚role model‘ oder doch eine weitere politische Persönlichkeit, die gegen Frauen arbeitet? Wir haben dazu mit Dr. Marco Depietri (Referent für Italienisch am Sprachenzentrum und Vorsitzender des Personalrats) gesprochen.


Wie kam es zum Wahlsieg?

Melonis Partei hatte ein ‚einfaches Spiel‘, erklärt Depietri, da sie die einzige Oppositionspartei war. Ihre Kritik an der vorherigen Regierung von Mario Draghi kam gut an und sorgte für eine solide Basis. Nichtsdestotrotz rührt ihr Wahlerfolg sicher auch von ihrer starken Persönlichkeit und ihrer Alleinstellung als starke Frau her. Die anderen Figuren im rechten Lager sehen im Vergleich zu ihr eher schwach aus, so Depietri. Auch das italienische Wahlsystem kam ihr zugute.

Denn das Wahlsystem in Italien ist eine Mischung aus einem Proportionalsystem und direkten Mandaten. Zwei Drittel des Parlaments wird proportional über die Parteilisten gewählt, der Rest über Direktmandate aus sogenannte Einerwahlkreisen. Je ein Drittel des Senats und des Abgeordnetenhauses werden in den Wahlkreisen direkt gewählt, der Rest der Sitze wird je nach landesweitem Abschneiden der Parteien vergeben. Dadurch werden kleine Parteien, von denen es in Italien viele gibt, benachteiligt. Sie sind meist schon vor der Wahl gezwungen, Koalitionen einzugehen.

Die drei rechten Parteien haben sich also vor der Wahl zusammengetan, das linke Lager jedoch nicht. Da sich im mittleren und linken Lager so viele verschiedene Kandidat:innen haben aufstellen lassen, verteilten sich die Stimmen unter ihnen, wohingegen Meloni für die drei rechten Parteien in mehreren Direktwahlkreisen Stimmen sammeln konnte. Mit 26 Prozent wurde die FdI somit zur stärksten Partei gewählt, die Koalition Mitte-Rechts erhielt insgesamt circa 43 Prozent der Stimmen.

Rechtspopulistische Versprechen, Rollenbilder und Queerness

Was ist nun seit ihrer Amtseinführung passiert? Viele der Vorschläge aus dem Kabinett Meloni dienen der Provokation, Profilierung und Positionierung. Nichtsdestotrotz werden auch einige der Entwürfe tatsächlich umgesetzt. So wurden per Dekret innerhalb kürzester Zeit Rave-Partys verboten. Auch wenn dieses Gesetz entschärft wurde, zeigt es, wie schnell Verbote und Einschränkungen durchgebracht werden können. Zu Beginn von Melonis Amtszeit schien die Angst berechtigt, es könne weitere solcher Gesetzesentwürfe aus der rechten Ecke geben, da Meloni z.B. die traditionelle Familie stärken und deshalb die Beratungen zu Abtreibungen strenger gestalten möchte.

Die Lega, eine der rechten Regierungsparteien, brachte den Gesetzvorschlag ein, heterosexuelle Paare unter 35, die kirchlich heiraten, mit einem Steuerbonus in Höhe von bis zu 20.000 Euro unterstützen zu wollen. Die Kirche in Italien distanzierte sich von diesem Vorschlag. Depietri schätzt das Ganze als Profilierungsversuch ein, bei dem es nicht darum geht, dieses Gesetz ernsthaft auf den Weg zu bringen, sondern eher die Debatte um das sich wandelnde Familienbild anzuheizen und sich in ihr zu positionieren. Es gebe vor allem zwei Themenkomplexe, bei denen sich rechte und linke bzw. links-mittige Parteien wirklich voneinander abheben können. Einer der Komplex ist alles rund um Migration und Einwanderung, der andere besteht aus Themen rund um Familie, Partnerschaft und sexuelle Identität. Für lange Zeit war auch Corona eines der Themen, bei denen man Fanatiker:innen und Rechte politisch gesehen ‚abholen‘ konnte.

Das Gefährliche an solchen Gesetzesentwürfen wie dem Steuerbonus für heterosexuelle Ehepaare – auch wenn es letztendlich bei Vorschlägen und Ideen bleibt – ist, dass sie Homophobie und Queerfeindlichkeit innerhalb der Gesellschaft normalisieren. Sie vermitteln, dass es okay wäre, queere Lebensentwürfe abzulehnen und heterosexuelle Beziehungen über diese zu stellen – nicht nur ‚okay‘, sondern sogar durch die Politik legitimiert.

Fehlende Abgrenzung zur Mussolini-Diktatur?

In der Flagge der Fratelli d‘Italia findet sich eine Flamme in den italienischen Nationalfarben, welche in Verbindung gebracht wird mit dem politischen Erbe des Diktators Benito Mussolini.[1] Außerdem sind vor einiger Zeit ältere Videomitschnitte der neuen Ministerpräsidentin aufgetaucht, in denen sie auch positive Aspekte der faschistischen Diktatur hervorhob – à la „Es war ja nicht alles schlecht“. Mittlerweile spricht sie sich deutlich gegen den Faschismus aus, beherbergt in ihrer Partei allerdings Verteidiger:innen der Mussolini-Diktatur. Diese seien jedoch die Extremen der Extremen, erklärt Depietri. Aus vielen Richtungen wird trotzdem eine stärkere und klare Distanzierung Melonis vom Faschismus gefordert.

Ein Erfolg für Frauen in der Politik trotz rechter Partei?

In Deutschland wurden Parteien von rechts-außen auf Bundesebene weitestgehend am Regieren gehindert; auch gesamtgesellschaftlich werden sie nicht akzeptiert. Für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist es also vielleicht erst einmal kontraintuitiv bei Melonis Wahlsieg von einem Erfolg zu sprechen. Aber ja, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung schreibt sie italienische Geschichte als erstes weibliches Staatsoberhaupt. Dies unterstreicht auch Marco Depietri:

„Man kann von ihr alles sagen, aber es ist ein wichtiger Erfolg, dass endlich mal eine Frau Ministerpräsidentin geworden ist."

Meloni scheint ein ambivalenter Charakter zu sein. Sie überrascht – betrachtet man den sonst populistischen Modus rechter Parteien – mit ernsthaften Versuchen Realpolitik zu betreiben; sie steht zur Europäischen Union, zur NATO und ordnet den Ukraine-Krieg ganz klar als Angriffskrieg von russischer Seite ein. In ‚ihrem‘ rechten Lager ignoriert Meloni polemische Vorschläge, was auch zu Unstimmigkeiten untereinander führt. Trotzdem nutzt sie typisch rechte Themen wie die Diskussion um die Grenz-„sicherung“ vor Migrant:innen, um ihre Wähler:innen abzuholen. Auch hier werden Ängste geschürt, die nicht zwingend mit den Fakten übereinstimmen.

Und jetzt?

Ja, Meloni ist Kopf einer rechten Partei, vertritt in vielen Belangen nationalkonservative Ansichten, grenzt sich nicht ausreichend zum Mussolini-Faschismus ab und nutzt Themen wie Migration auf populistische Art und Weise, um Wähler:innen zu gewinnen. Trotz allem setzt sie sich gegen ihre männlichen Parteikollegen oder andere Kollegen im rechten Parteienlager durch und wimmelt einige ihrer Gesetzesentwürfe ab. Und sie ist – und diesen Fakt über sie muss man von all ihren politischen Ansichten trennen und klar als Errungenschaft einordnen – seit der Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts 1946 die erste weibliche Ministerpräsidentin und führt als erste Frau eine italienische Regierung an. Meloni wird in gewisser Weise eine Wegbereiterin eines Wandels, gegen den sie und ihre Partei stehen. Italien und auch andere europäische Länder können sich durch ihre Legitimation weiter an weibliche Staatsoberhäupter gewöhnen. Für die Zukunft bleibt also zu hoffen, dass noch mehr Frauen hohe politische Ämter bekleiden – und diese nicht aus dem rechten Lager stammen.

Text und Interview: Theresa Werheid.

[1] Mehr dazu im Artikel der Süddeutschen Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-giorgia-meloni-fratelli-d-italia-faschismus-1.5639437 [Zuletzt aufgerufen am 18.4.2023].