Meilenstein oder Anfang vom Ende?
Im Januar 2021 veröffentlichte DIE WELT einen Artikel, in welchem auf Änderungen in der Online-Version des Dudens hingewiesen wird. Ab sofort wird, zumindest vorerst in der Online-Version, im Duden gegendert: Zu jeder männlichen Bezeichnung gibt es nun auch die passende weibliche Form und zusätzlich Empfehlungen zur geschlechtergerechten Bezeichnung von Paaren oder Gruppen. Der Duden wurde deshalb in DER WELT scharf kritisiert: Diese Änderungen würden Sprache nicht nur falsch darstellen, sondern die LeserInnen auch in die Irre führen. Wer hierfür Geld verlange, begehe Betrug. Hierbei ist wichtig zu bedenken: Der Duden schrieb nie vor, was geschrieben wird, sondern beschreibt das Wie. Bis 1996 war der Verlag seit 1880 grundlegend für die deutsche Rechtschreibung. Nun ist er dies nicht mehr. Seit 1996 ist das Wörterbuch aus rechtlicher Sicht nur noch ein Verzeichnung von Rechtschreibung nach den amtlichen Regeln und gibt Empfehlungen, entsprechend der gesprochenen und geschriebenen Alltagssprache innerhalb der Gesellschaft. Die 29. Auflage des Dudens (Erscheinungsjahr 2020) beinhaltete 3000 neue Wörter. Der Verlag hatte diese nicht erfunden, sondern sich der Entwicklung und dem gesellschaftlich verbreiteten Sprachgebrauch angepasst. In jedem Fall ist der Duden deskriptiv, nicht präskriptiv. Das gilt auch für den Fall der gendergerechten Sprache.
Argumentiert wird weiter, dass Sprache Kommunikation nicht stören sollte. Das ist grundsätzlich richtig, aber geschlechtergerechte Sprache stört Kommunikation nicht, sondern erleichtert sie. Für Frauen, die sich dadurch vergewissern können, ob sie tatsächlich inkludiert sind. Ein Problem, das Männer nicht haben: „(D)as generische Maskulinum versteckt Frauen systematisch und legt ihnen die zusätzliche Bürde auf, ständig darüber nachzudenken, ob sie in einem konkreten Fall mitgemeint sind“. Bewusst wird dies vielen Personen erst, wenn die Sache einmal umgekehrt läuft. Als die Universität Leipzig 2013 in ihrer Grundordnung ausschließlich weibliche Formen, wie Studentin oder Professorin, verwendete, gab es den Aufschrei, die Männer würden sich ausgeschlossen fühlen. Dabei war bewusst gefordert worden, zu verstehen, dass Männer genauso wie Frauen an der Universität erlaubt und gewünscht sind. Das ist nur ein Beleg für die Falschheit der Aussage das geschlechtsübergreifende Maskulinum würde schon immer Frauen miteinbeziehen,. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die männliche Form auch deutlich als solche benannt. Ein Beispiel hierfür bietet eine Wahl von 1912:
„Anlässlich der Wahl einer Frau in den Böhmischen Landtag (1912) entspann sich ein juristischer Disput um das Problem, ob diese Frau überhaupt in den Landtag einziehen könne, hieß es doch im damals geltenden Gesetz von 1861: ‚Als Landtagsabgeordneter ist jeder gewählt, der (…)‘ Da sie nun aber eine Frau sein, träfe das Gesetz seinem Wortlaut nach gar nicht zu“
Bei Umfragen sind (scheinbar) alle der Meinung, dass jeder und jede, unabhängig von dem Geschlecht, gleichberechtigt sein sollte. Wieso gibt es also einen Widerspruch zwischen einem politischen Standpunkt und Handlungen und entsprechender Sprache? Wir müssen uns bewusst machen: Sprache ist hoch politisch und stark durch die Gesellschaft geprägt. Systematische und strukturelle Benachteiligungen wie Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Diskriminierungen jeglicher Art werden durch Sprache bestärkt und gefestigt. Wieso brauchen wir politisch korrekte Sprache? Diese Debatte, sei es geschlechtergerechte Sprache oder die Bezeichnungen von Minderheiten, ist auffällig selektiv: In den allermeisten Fällen stellen Richtlinien zur politisch korrekten Sprache Empfehlungen dar. Niemand wird hierdurch in der eigenen Meinungsfreiheit eingeschränkt (insbesondere, weil es nicht darum geht, ob etwas gesagt wird, sondern ausschließlich darum, wie). Als jedoch BeamtInnen in Frankreich 2017 die geschlechtergerechte Rechtschreibung ausdrücklich verboten wurde, sie also tatsächlich in ihrer Sprache eingeschränkt wurden, stieß das nicht auf Angst vor einer Zensur. Ganz im Gegenteil: Bei vielen wurde der damalige Premierminister Édouard Philippe dafür gefeiert. Wo wird also die Grenze gezogen, wann Sprachvorschriften in Ordnung sind und wann nicht?
In der Moralphilosophie wird oft die Goldene Regel verwendet, um Verhalten zu beeinflussen: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst“. Dies lässt sich auch auf die Sprache anwenden. Das bedeutet nicht, dass nicht gegendert werden sollte, wenn man der Meinung ist, man würde sich an der Stelle einer Frau im geschlechtsübergreifenden Maskulinum mitgemeint fühlen. Tatsächlich bedeutet es, dass, wenn man von Personen angesprochen werden möchte, man dem Gegenüber auch den gleichen Respekt entgegenbringt. Dies schließt unter anderem mit ein, Frauen anzusprechen und sie so explizit in die Sprache zu integrieren, um ihnen eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft zu ermöglichen. Politik findet sich also auch in dieser Perspektive des Genderns wieder. Politisch korrekte Sprache bezweckt, strukturelle sprachliche Ungleichheiten zu beseitigen. Das Geringschätzen und Verspotten des Versuchs, die Sprache als Ausdruck des gesellschaftlichen Zustands zu verändern, wirkt, als müssten diejenigen „Rücksicht auf eine Gruppe nehmen, der man diese nicht zugestehen möchte“.
Während sich immer mehr Menschen und Institutionen für die gesellschaftliche Gleichstellung der Frau eingesetzen und Geschlechterforschung sich mit möglichen Lösungen auseinandersetzen, zeigen Artikel wie die der WELT, wie viel Arbeit doch noch vor uns liegt. Der Duden Verlag hat den ersten Schritt in die richtige Richtung getan, nun sind andere an der Reihe, sich anzuschließen. Und es ist auch die Aufgabe von uns allen, Gespräche und Diskussionen zu führen, um einen Wandel des Denkens und Sprechens weiter voran zustoßen.