▼Professorin Dr. Ute Schmid [2005]
\\ PROFESSORINNEN AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG
\\ INTERVIEW VON 2005
"Wenn man sich mit einer anderen Kultur auseinandersetzt, auch wenn sie der deutschen sehr ähnlich ist wie z.B. in den USA oder Frankreich, bildet das menschlich und fachlich weiter."
Frau Schmid, würden Sie uns bitte Ihre berufliche Laufbahn schildern?
Meine Laufbahn ist ein bisschen „geschlängelt“. Ich habe nach dem Abitur erst Psychologie studiert und wusste da schon, dass mich die Forschung interessiert und nicht die klinische Praxis. Mich hat interessiert, wie Menschen funktionieren, deshalb spezialisierte ich mich im Hauptstudium auf experimentelle und kognitive Psychologie. Da in diesen Bereichen auch Experimente mit dem Computer wichtig sind, belegte ich Kurse in Informatik, um eine Programmiersprache zu lernen. Außerdem ging es damals gerade los mit der Idee, zu versuchen - wie es Herr Dörner hier macht -, kognitive Modelle auf den Rechner zu bringen, also praktisch Ausschnitte von menschlichem Verhalten zu simulieren. Ich habe dann zu meinem großen Erstaunen gemerkt, dass ich Programmieren sehr gut konnte und dass es mir sehr viel Spaß machte, Programmieraufgaben zu lösen. Als ich gerade im Diplom in Psychologie steckte, kam ich in der Informatik zu den Theorie-Vorlesungen. Da merkte ich, dass die Art, wie Informatik als Wissenschaft betrieben wird, mich absolut begeistert. Nach dem Diplom war ich fünf Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Psychologie und schrieb meine Promotion, belegte aber nur eine Zwei-Drittel-Stelle, um mein Informatikstudium beenden zu können. Meine Promotion fing auch eher in der Psychologie an und wurde dann immer „informatischer“.
Wie ging es nach den zwei Diplomen und der Promotion weiter?
Die nächste Stelle als wissenschaftliche Assistentin hatte ich dann in der Informatik passend zu meinem Hintergrund in Psychologie im Bereich der so genannten künstlichen Intelligenz. Ich war in dieser Zeit eine Weile in den USA an der Carnegie Mellon University. Und wie das dann eben so ist, man hat dann seine Habilitation fertig und fragt sich, ob das wohl jemals klappen wird mit einer Professur, bei so viel Konkurrenz. Gerade in meiner Generation gibt es extrem viele extrem gute Leute in Deutschland. Ich habe dann eine Akademische Ratsstelle bekommen an der Uni Osnabrück, praktisch eine Dauerstelle. Das war für die Lebensplanung schon sehr wichtig, weil man nicht sein Leben lang von Zeitvertrag zu Zeitvertrag gehen kann, nicht wissend, wo man in drei Jahren wieder ist. Die Stelle war sehr angenehm, und ich wäre damit auch zufrieden gewesen. Aber ich probierte es trotz- dem einfach weiter, weil man auf einer Professur einfach mehr bewegen und Einfluss nehmen kann als auf einer Ratsstelle. Die Bamberger Ausschreibung passte mit der kognitiven Ausrichtung der Professur ideal zu mir. Vorletztes Jahr im Juni habe ich mich hier vorgestellt. Ende des Jahres erfuhr ich, dass ich die Stelle habe. Allerdings habe ich erst im September 2004 angefangen, weil ich in der Zwischenzeit ein Baby bekam.
Wie gefällt es Ihnen in Bamberg, können Sie nun so schalten und walten, wie Sie sich das wünschten?
Mir gefällt es sehr gut in Bamberg. Am Anfang ist es sicher so, dass viel Zeit in den Aufbau geht, gerade mit neuer Lehre, der Konzeption neuer Vorlesungen – gute Lehre ist mir sehr wichtig. Forschen konnte ich deshalb noch nicht sehr viel. Aber Kontakte konnte ich schon knüpfen, auch zur Psychologie. Herrn Dörner kannte ich ja schon vorher. Und was mir unheimlich gut gefällt, ist, dass hier an der Fakultät und auch an der ganzen Universität die Atmosphäre extrem kollegial ist. Mir gefällt die kooperative Stimmung zwischen den Professoren, aber auch zwischen Studierenden und Professoren.
Gab es denn auf Ihrem Weg Vorbilder und Menschen, die Sie dabei unterstützt haben, diesen „kurvigen“ Weg zu gehen?
Vorbilder gibt es immer wieder, Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen, die richtig gut sind und beeindrucken. Am meisten geprägt haben mich meine Chefs, als ich damals Hilfskraft war in der Psychologie und als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Das waren beides Männer, auch sehr verschieden, und gerade Professor Eyferth ist ebenso ein großer „Alter“ der Psychologie. Ein sehr weiser, gütiger Mensch, der immer für menschliche Werte stand. Ihn fand ich unheimlich beeindruckend und zu ihm habe ich auch heute noch Kontakt. Aber eine bestimmte Informatikerin als Vorbild hatte ich nicht. Sie haben schon ein bisschen berichtet, was angewandte Informatik und kognitive Systeme sind.
Was ist das Spannende an Ihrem Fach?
Die Verbindung zwischen formalem Herangehen in der Informatik und dem Versuch, eher komplexere erfahrungswissenschaftliche Dinge formal zu fassen, finde ich sehr spannend. Das ist wissenschaftlich einfach eine Herausforderung. Wenn man so will, eine Art theoretische Psychologie zu betreiben - wofür Herr Dörner bekanntlich steht. Praktisch bedeutet dies: Mit Mitteln der Informatik möglichst formal zu beschreiben, wie bestimmte kognitive Prozesse ablaufen. Ansonsten würde ich Studierenden raten, sich im Rahmen der Angewandten Informatik, wie sie hier in Bamberg angeboten wird, relativ schnell ein Anwendungsfach außerhalb der Informatik zu suchen, z.B. Geowissenschaften oder Kommunikationswissenschaften oder auch Psychologie. Im Hinblick auf die Anwendungsbereiche sollten Studierende aus ihrem Studium einen Blick dafür mitnehmen, wie Software und Oberflächen menschengerechter gestaltet werden können. Menschengerechter heißt wieder: im Sinne von kognitiven Prozessen, welche Information biete ich wie dar. Software wird ja immer komplexer, deshalb sollen die Studierenden in meinem Fach ein Methodeninstrumentarium bekommen, wie man in neuen Bereichen, in denen es nicht die Windows Standardoberfläche gibt, Informationen sinnvoll auswählen und gut darbieten kann.
Was würden Sie Studenten und vor allem Studentinnen raten, die sich für Ihr Fach interessieren?
Erst mal, dass sie die Sache spannend finden und neugierig sind. Wenn sie in der Forschung bleiben möchten, würde ich raten, sich in der Informatik wirklich gut zu bilden und da alles mitzunehmen, gerade auch in der theoretischen Informatik. Frauen sagt man oft nach, dass sie beim Programmieren hinter den männlichen Kollegen zurückbleiben. Man hört auch sehr oft, dass es bei Gruppenarbeit Gruppen mit nur einer Studentin gibt, und die dann das Programm dokumentiert und alles Mögliche macht – aber nicht programmiert. Das sollten sich Studentinnen aber auf keinen Fall nehmen lassen! Und weiter würde ich raten, in die Psychologie reinzuschauen und vor allem ins Ausland zu gehen. Wenn man sich mit einer anderen Kultur auseinandersetzt, auch wenn sie der deutschen sehr ähnlich ist wie z.B. in den USA oder Frankreich, bildet das menschlich und fachlich weiter. Man lernt dadurch in einem anderen Kontext und lernt auch andere Dozierende kennen. Es ist immer gut, sich ein bisschen umzuschauen. Sie haben schon anklingen lassen, dass das Zahlenverhältnis von Studentinnen und Studenten in der Informatik sehr ungleich ist. Und Sie sind ja auch die einzige Professorin an der Fakultät WIAI.
Wie ist das so als einzige Frau unter vielen Männern?
Ich geh da mal ein bisschen zurück. In der Psychologie gab es mehr Studentinnen als Studenten – aber nicht mehr Professorinnen. An der TU damals waren zwei Professorinnen und der Rest, ich glaube acht, waren Männer. In der Informatik gab es zu der Zeit ungefähr einen Anteil von 15 Prozent Frauen. Ich war zwar immer nur in Gruppen mit Studenten, ich hab mich aber nie diskriminiert oder zurückgesetzt gefühlt. Im Gegenteil, während des Studiums war es eher so, dass ich dadurch bekannter war an dieser Massenuni, weil ich eben gerade informatische Methoden lernen wollte und das auch sehr gut konnte. Als Dozentin machte ich in den ersten Übungen, in denen nur Männer saßen, die Erfahrung, dass diese meine Grenzen testen wollten und meine Schwächen gesucht haben. Ich weiß nicht, ob es männlichen Mitarbeitern auch so gegangen wäre, ich vermute nicht. Zum Glück war ich selbstbewusst und wusste, was ich konnte. Ich habe mich da nicht verunsichern lassen; so etwas kann aber schon unangenehm sein. Inzwischen finde ich es aber nicht mehr sonderbar, wenn ich nur vor Studenten stehe. Das ist zurzeit so in meinen Vorlesungen. In einem meiner Seminare waren auch drei Frauen, bei insgesamt 20 Teilnehmern. Es gibt ganz sicher einfach aus Neigung unterschiedliche Interessen, und ich finde es auch kein Drama, wenn in der Informatik nur 20 Prozent Frauen studieren und in Psychologie 70 Prozent. Schlimmer ist es, wenn man weiter nach oben schaut, wie sich das ausdünnt. Das könnte man dann mit den „anderen Lebensplänen“ von Frauen erklären. Frauen wollen eben Familie und Kinder und entscheiden sich dann von vorneherein für einen Beruf, bei dem mehr Flexibiliät und Zeit bleibt. Letztlich ist es aber ja doch so, dass häufiger die Frauen zurückstecken. Oft machen die Frauen einen Kompromiss und sagen, sie bleiben mal ein Jahr als Mutter daheim – aber im Prinzip war es das dann, weil der Wiedereinstieg oft nicht klappt.
Sie haben ein Kind, wie hat sich Ihre Karriere mit dem Kinderwunsch vereinbaren lassen?
Mein Mann arbeitet weit weg in Greifswald, der kommt nur am Wochenende. Ich habe eine tolle Kinderfrau. Die kostet viel Geld, ich kann sie mir leisten. Jemand auf einer Mitarbeiterstelle kann sich das aber nicht leisten... Es war ein absoluter Glücksfall, dass ich die Stelle hier sicher hatte, als ich das Kind bekommen habe. Ich wusste immer, nach einem Jahr gehe ich wieder arbeiten, und dafür muss ich etwas tun. Ich muss auch zugeben, dass ich zurzeit Dienst nach Vorschrift mache, ich arbeite die 42 Stunden und schaue, dass ich die Lehre gut mache, das ist mir wichtig. Ich kümmere mich um meinen Mitarbeiter und fördere ihn. Anderes muss jetzt natürlich ein wenig zurückstecken; sonst bliebe die Familie auf der Strecke. Aber ein Kind wird ja größer, und in diesem Beruf habe ich die Möglichkeit, wieder richtig loszulegen. Das hätte ich in der freien Wirtschaft nicht, in einer Management Position ist man nach einem halben Jahr weg. Die Familienplanung hätte ich nicht anders gemacht. Ich bin jetzt zwar eine „alte Mut- ter“ geworden – ich habe mein Kind mit 38 bekommen – aber ich weiß auch, dass ich jetzt nicht Professorin wäre, wenn ich mein Kind schon während der Zeit als Mitarbeiterin bekommen hätte. Ich weiß, es gibt Frauen, die schaffen das, aber so eine Powerfrau wäre ich wahrscheinlich nicht. Ich finde es wahnsinnig schwierig mit Familie und Beruf. Es war eine bewusste Entscheidung, die Karriere erst so weit zu sichern. Ich war dabei auch bereit zu sagen, wenn es nicht mehr klappt mit einem Kind, dann war das die Entscheidung, und dann darf man dem auch nicht nachheulen. Aber ich bin sehr froh, dass es nun so gekommen ist.
Sie sind jetzt auch Frauenbeauftragte der Fakultät WIAI. Haben Sie denn schon Ideen, die Sie verwirklichen möchten?
Ja, und ich hoffe, dass die sich durchsetzen lassen. Es gibt diese Aktion „Girls Day“, bei der es darum geht, Mädchen gerade für Technik und Naturwissenschaften zu begeistern. Auch bei den Kollegen ist Interesse vorhanden, dass wir hier für den Bereich der Angewandten Informatik und auch für die Wirtschaftsinformatik nächstes Jahr was auf die Beine stellen. Ich denke, das Engagement in Richtung Schülerinnen ist sehr wichtig. Dazu kommt noch, die Frauen an der Fakultät zu unterstützen, wo es notwendig ist. Aber da sehe ich keine bewusste Diskriminierung. Ich werde also nicht extra Frauentutorien machen oder einen Rechnerraum nur für Frauen fordern, das ist nicht mehr zeitgemäß. Das war in den 1980er Jahren sicher mal notwendig, aber ich glaube, das interessiert heute auch keine Frau mehr. Wichtiger ist es, dass man Schülerinnen besser aufklärt, was sie in einem Informatikstudium eigentlich erwartet. Ich wäre mit 19 Jahren auch nicht auf die Idee gekommen, Informatik zu studieren. Also das war eben wirklich dieser kleine Umweg, dass ich sozusagen durch Zufall mit 24 merkte, dass Informatik das ist, was ich machen wollte. Es muss selbstverständlicher werden, Frauen das zuzutrauen und zu merken, dass die eigenen Interessen auch in einem solchen Bereich liegen könnten. Denn ich denke, in solchen Bereichen gibt es auch bessere Berufschancen und Verdienstmöglichkeiten.
Würden Sie mit dem Wissen, das Sie jetzt haben, etwas an Ihrer beruflichen Laufbahn ändern?
Das ist eine schwierige Frage. Ich wäre wohl früher ins Ausland gegangen, als ich es getan habe. Ich bin während der C1-Stelle ins Ausland gegangen, nach der Promotion. Dort an der Carnegie Mellon University habe ich sehr viel mitgenommen. Das ist eine sehr gute Uni und ich finde das Modell hier in Bamberg sehr gut, dass die Wirtschaftsinformatiker und auch die der Angewandten Informatik ermutigt werden, ins Ausland zu gehen.
Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Johanna Bamberg.
NACHTRAG von Prof. Dr. Schmid aus dem Jahr 2017:
Nach mehr als 10 Jahren an der Universität Bamberg habe ich das Interview gelesen, das ich 2005 für die kuNIgunde gegeben habe. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern. Meine Tochter war noch keine drei Jahre alt, mein Mann arbeitete an einer Uni in Norddeutschland und war nur jedes zweite Wochenende da, Großeltern waren ebenfalls weit weg. Das war ein täglicher Spagat zwischen Beruf und Kind, oft ein schlechtes Gewissen -- wenn das Kind beim Abgeben in der Krippe geweint hat, wenn ich auf dem Spielplatz saß statt am Schreibtisch. Auf der anderen Seite habe ich sowohl damals als auch heute sowohl eine sehr große Befriedigung aus meinem Beruf als auch aus dem Muttersein gezogen. Seit 2005 habe ich -- mit viel Unterstützung von Mitarbeiterinnen, Studentinnen und Kollegen -- mehr und mehr Maßnahmen aufgebaut, die insbesondere jungen Frauen ermöglichen sollen, ihre möglichen Begabungen und Neigungen im Bereich Informatik zu entdecken. Ich bin sehr stolz, dass "meine" Fakultät die erste und bislang einzige Informatikfakultät mit einem Frauenanteil über 30 Prozent ist. Ich freue mich, dass ich seit ein paar Jahren eine Kollegin habe. Ich fühle mich sehr wohl im Kollegenkreis der Fakultät und habe viele sehr bereichernde Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen anderer Fakultäten, insbesondere der HUWI. Ich genieße das konstruktive und freundschaftliche Miteinander im Frauenbeirat. Noch immer bin ich sehr glücklich, dass ich genau in dem Bereich forschen und lehren kann, der mich inhaltlich schon seit Studierendentagen fasziniert hat -- die Künstliche Intelligenz, insbesondere das Thema Maschinelles Lernen. Ich wünsche mir, dass die Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Informatik dazu beitragen, dass Mädchen und Frauen den Weg in ein Studium und einen Beruf finden, der sie so ausfüllt wie der meine mich!